Die klinische Diabetologie ist im Umbruch. Keiner weiß, welche Auswirkungen die Krankenhausreform haben wird. Dr. Matthias Frank macht hier einen Vorschlag, wie die stationäre Diabetologie erhalten bleiben könnte.

SHG-Kliniken Völklingen

Das Diabetesteam (siehe Foto):

PD Dr. Frank (l.). Daneben das Team, bestehend aus Ärzten, Diabetesberaterinnen, Ernährungsberaterin, Fußschwester

Abteilungszusammensetzung:

  • Diabetesambulanz
  • Fußambulanz auf Überweisung durch die diabetologische Schwerpunktpraxis
  • Endokrinologe auf Überweisung durch den internistischen Facharzt
  • 10 stationäre Betten

Machen wir uns nichts vor. Die stationäre Diabetologie Deutschlands ist in einem katastrophalen Zustand. Seit Einführung der Fallpauschalen (DRG), die den Diabetes der ambulanten Behandlung zuordnet, wird die stationäre Diabetesbehandlung ab einer Liegedauer von 7 Tagen mit der Hauptdiagnose Diabetes unterfinanziert. Es werden keine weiteren Einnahmen generiert. Eine möglichst kurze Liegezeit in Verbindung mit einer voll bezahlten DRG (Grenzverweildauer) ergibt den größten Gewinn; in anderen Worten: Mit möglichst wenig Betten möglichst viele Patienten durchschleusen.

Zu Recht ist das Einfordern von Vorhaltepauschalen für den komplizierten Diabetes im Gespräch. Ich glaube jedoch bei insgesamt klammen Finanzen nicht an eine verbesserte Vergütung und versuche im Heute Lösungen zu finden.

Obiges Szenario hat dazu geführt, dass die stationäre Hauptdiagnose Diabetes mellitus stirbt, daneben auch die diabetologische stationäre Kompetenz für Therapie und Schulung. Diabetes mellitus ist nicht erlösrelevant. Diabetesabteilungen kommen nur noch in wenigen diabetologischen Fachkliniken, vereinzelt großen städtischen oder Universitätskrankenhäusern vor.

Kaum eine Klinik kann heute den Diabetes mellitus kompetent behandeln oder drohende Problemszenarien erkennen; z.B. insulinpflichtige Diabetiker, insbesondere Typ 1 Diabetiker, sind vital gefährdet, wenn vor einer OP das Insulin abgesetzt wird und nach einer OP in Folge von Nahrungskarenz nicht erneut unmittelbar und lückenlos angesetzt wird.

Menschen mit Diabetes sind oft zeitaufwendige Patienten bei der Behandlung. Die Vergütungspraxis orientiert sich nur an der Behandlung der Hauptdiagnose, so dass der Diabetes anamnestisch oder labortechnisch nicht erfasst, die Notwendigkeit der Mitbehandlung negiert wird. Offizielle Zahlen sprechen von 20 % Menschen mit Diabetes in stationärer Behandlung. Die Wahrheit liegt eher bei 40% (1), in meiner Klinik bei > 70%.

Es herrscht Unsicherheit zur Diagnose und Behandlungsnotwendigkeit des Diabetes-HbA1c-Werte werden oft nicht erhoben und fälschlicherweise erst einem Diabetes mellitus >6,5% zugeordnet. Von gelegentlichen Blutglukosemessungen und sich anschließenden Konsequenzen ganz zu schweigen. Ernsthafte Blutglukosemessungen fordern von knappem medizinischen Personal unerwünscht Zeit zum Dokumentieren, Erklären, Behandeln und Kontrollieren. Eine erste Chance, die Bedeutung des Diabetes zu stärken, ist das Codieren der Nebendiagnose Diabetes mellitus mit Komplikationen. Die Nebendiagnose Diabetes mellitus kann die Hauptdiagnose schwerer gewichten, also besser vergüten, falls nachweislich ein Ressourcenverbrauch entsteht, der oft begründet die Liegezeit verlängert; Beispiel Herzinsuffizienz und Niereninsuffizienz mit Insulintherapie.

Dazu müssen Sie sich mit dem "Controlling" der Klinik verbünden, Nebendiagnosen und diabetologischen Ressourcenverbrauch zu codieren. Das ist wichtig, da die Nebendiagnosen oft nicht erfasst werden und somit Ihr Tätigkeitsnachweis wie auch die gesteigerte Vergütung fehlen. In der finanziell klammen Situation der Kliniken hört Ihnen der Verwaltungsdirektor nur zu, wenn es um Mehreinnahmen geht. Diese werden gegen diabetologisches Personal hochgerechnet. Dabei müssen alle Bewertungsrelationen, die mit dem Diabetes eng verbunden sind wie: Nephropathie, Herzinsuffizienz, Koronare Herzkrankheit, Neuropathie, Apoplex, angiologische Interventionen…. und die diabetologischen Maßnahmen codiert werden. Sie benötigen dazu eine lückenlose Dokumentation für den Med. Dienst der Krankenkasse (MD), die auch eine verlängerte Liegezeit plausibel macht.

Rechnen Sie mit der Psychologie des Chefarztes. Was triggert ihn? Ein ungestörtes Arbeiten in seinem Fachgebiet, keine Auseinandersetzungen mit dem Verwaltungsdirektor wegen der Einnahmesituation, Qualität der Behandlung

Die leidige Diskussion um Liegezeiten polymorbider Diabetiker werden mit Ihrer Hilfe und Dokumentation – weil vergütet – beendet. Vergessen Sie bitte nie: Ohne Geld läuft nichts! Geld, nicht Behandlungsqualität, ist das erste Argument. In einem nächsten Schritt werden Ihre Leistungen vom Controlling erfasst und Ihnen virtuell, z.B. nach GOÄ, zugeordnet (innerbetriebliche Verrechnung). Machen Sie dabei nicht den Fehler, Ihre Leistungen von anderen Fachabteilungen aktiv einzufordern, sondern verwenden Sie diese Einnahmen als Begründung für Ihre Existenz und die verbesserte Behandlungsqualität. Wenn einer Fachabteilung aktiv Einnahmen entzogen werden, gehen häufig die Anfragen zurück. Sollte Ihnen dabei durch Ihre Tätigkeit eine verkürzte Verweildauer gelingen, sind Sie auf jeden Fall auf der Siegerseite. Im Entlassungsbrief Ihrer und anderer Fachabteilungen werden Sie mittels diabetologischer Textbausteine Ihre Leistungen sichtbar einbringen. Dies ist für die Codierung (Gewichtung) des Falls eine große Hilfe.

Wichtig ist in der Perspektive, die moderne Diabetologie nicht als Zuckerbehandlung, sondern als innovatives Zentrum einer aktuellen internistischen Behandlung der Arteriosklerose zu positionieren. Dazu gehören im Entlassungsbrief: Insulinresistenz/Inflammation neben den klassischen Risikofaktoren, Schulung und der Vorschlag zur konzeptionellen an Prognose und Lebensqualität orientierten Weiterbehandlung (Therapieziel, Behandlungsempfehlung an den Hausarzt oder die Kooperation mit der diabetologischen Schwerpunktpraxis). Sie werden dadurch als stationärer Ansprechpartner interessant, und die Patienten-Wiederkehrerrate steigt.Dem bis dato zur Frage Diabetes uninteressierten Assistenzarzt wird die Bedeutung des Diabetes nahe gebracht.

Patientenzufriedenheit berücksichtigen

Ideal wäre, wenn Sie diese Textbausteine auch in anderen Fachabteilungen positionieren können.

Wenn Sie jetzt noch die Kraft haben, setzen Sie mit dem Qualitätsmanagement der Klinik einen Fragebogen durch, der neben dem schon vorhandenen Fragebogen zur Patientenzufriedenheit bei Entlassung (Benennen der Fachabteilung und auch Diabetesbehandlung) Aufnahmegründe erfragt wie: Warum haben Sie diese Klinik gewählt? Was liegt Ihnen als Patient am Herzen? Was liegt Ihnen als Angehöriger am Herzen, was möchte ich gesundheitlich erreichen?

Diabetolog:innen sind im Krankenhaus eine Rarität, die weiterhin bestehen wird, da die Gemeinschaft der Diabetologen zu wenig Nachwuchs ausgebildet hat. Es hat wenig Sinn, sich ohne eine ärztliche Unterstützung als Diabetesberater:in/assistent:in stationär erfolgreich kümmern zu wollen. Sie sind in der Klinikhierarchie eine "zahnlose Tigerin". Niedergelassene Diabetologen sind überlastet. "Diabetesversierte Pflegekräfte" in enger Zusammenarbeit mit einer ambulant tätigen Diabetolog:in oder mit Belegbetten können das Problem reduzieren. Pflegekräfte sind im Gegensatz zu Diabetesberater:innen im Pflegebudget enthalten. Es ist dabei wichtig sicherzustellen, dass externe Anordnungen auch befolgt werden. Sie erinnern sich: Das Kümmern um den Diabetes ist anstrengend und fordert bei engen Personalressourcen einen unerwünschten zusätzlichen Aufwand. Sind Sie nur als ärztlicher Nebenberuf Diabetolog:in, ist Ihre Aufgabe weniger die einer guten Diabetologie, als das Verhindern von Stoffwechselkatastrophen.

Zusammenfassung

Ziel des Artikels ist in der heutigen Situation, den Diabetes stationär nicht sterben zu lassen. Auch unter den aktuellen finanziellen Voraussetzungen ist ein Mehrwert an Einnahmen zum Diabetes mellitus und Bewusstwerdung des Wertes der Diabetesbehandlung möglich. Die immer wieder geäußerte Erwartung einer besseren Finanzierung ist in der Fläche bei beschränkten Geldern für Kliniken illusorisch.


Literatur:
1. In Kliniken wird Diabetes vielfach nicht diagnostiziert. Schleicher, E. et al. Diabetol. Stoffwechsel 2023, 18:275-280

Autor:
Priv. Doz. Dr. med. Matthias Frank
Sektionsleitung Diabetologie/Endokrinologie/Diabetischer Fuß
Sektion Kardiologie Innere I im Herzzentrum Völklingen
Richard Str. 6-9, 666333 Völklingen


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (12) Seite 46-47