Die Behandlung von Menschen mit Diabetes im Krankenhaus stellt die Behandlungsteams und natürlich die Patienten oft vor große Herausforderungen. Das liegt auch daran, dass die Hauptdiagnose Diabetes auf der Station recht selten ist. Dr. Markus Menzen aus Bonn berichtet.
Foto oben: Insulingabe mit Dosisvorschlag am Tablet.
Mindestens jeder 12. Deutsche ist ein Mensch mit Diabetes (MmD) (1). Durch eine gesteigerte Morbidität und Mortalität im Vergleich zur Nomalbevölkerung ohne Diabetes wundert es nicht, dass der Anteil von MmD unter stationären Krankenhauspatienten nochmals höher liegt. Je nach Fachbereich liegt die Prävalenz bei bis zu 30% der stationären Fälle (2). Dabei macht die Hauptdiagnose Diabetes – und damit die Behandlung in spezialisierten Fachbereichen – eine verschwindende Minderheit aus. Oft erfolgt die Behandlung des Diabetes als Begleiterkrankung in Abteilungen mit einer geringen Expertise in Diabetestherapie. So wundert es nicht, dass eine höhere Rate behandlungsassoziierter Komplikationen, eine längere Krankenhausverweildauer und folgend höhere Behandlungskosten entstehen. Die Diabetestherapie stellt das behandelnde Team auf Station vor große Herausforderungen. Anders als bei vielen anderen Erkrankungen kann die vorbestehende Therapie oft nicht einfach eins zu eins auf Station fortgeführt werden. Verändertes Ernährungs- oder Bewegungsverhalten, der Behandlungsstress aber auch die zur Krankenhausbehandlung führende Erkrankung und deren Therapie haben einen direkten Einfluss auf die Blutzuckerhöhe. Über- oder Untertherapie, d.h. Hypoglykämien oder Phasen der ausgeprägten Hyperglykämie werden dabei als die Faktoren angesehen, die zur erhöhten Mobidität und Mortalität führen.
Dabei geben Leitlinien ambitionierte Ziele vor. Angestrebt wird ein Bereich von 140 - 180 mg/dl, bei gleichzeitiger Unterzuckerungsvermeidung. Hierfür musses möglich sein, flexibel auf wechselnde nüchtern, Behandlungs- oder Erkrankungsphasen reagieren, die einen direkten Einfluss auf die Blutzuckerhöhe und damit den Insulinbedarf haben. So erfolgt oft die Umstellung hin zu einer Basis-Bolus Insulintherapie. Diese sollte nach einem standardisierten Vorgehen mit validierten Algorithmen erfolgen. Dies wird in der täglichen Praxis ebenso wie das Erreichen der angestrebten Blutzucker-Ziele oft verfehlt. Trotz beträchtlichem Arbeitsaufwand sind Fehler häufig (4, 5, 6).
Die Festlegung der Insulindosierung benötigt neben der regelmäßigen Glucosekontrolle, die aufgenommenen Kohlenhydratmenge, die verabreichte Begleitmedikation (z.B. Cortison) den Zeitpunkt sowie Art und Menge des zuletzt verabreichten Insulins. Diese stetige Adjustierung der Therapie nach einerseits individuell vereinbartem Regelwerk und andererseits die Notwendigkeit, dies an wechselnde Anforderungen des Behandlungsalltags anzupassen, erklärt, dass Diabetestherapie geradezu prädestiniert ist für digitale Lösungen (3). Ziel ist einerseits die Therapieführung für den Behandler zu erleichtern und andererseits die stationäre Behandlung von Menschen mit Diabetes sicherer zu gestallten. Weltweit wurden verschiedene Systeme entwickelt, die nur in einzelnen Krankenhäusern Einzug in die klinische Regelpraxis gefunden haben. Dies lässt sich durch viele Gründe erklären. Augenfällig ist z. B. die geringe Verbreitung einer digitalen Patientenakte in deutschen Krankenhäusern (10).
In Deutschland besitzt dabei nur ein System zum heutigen Zeitpunkt die Zulassung als Medizinprodukt – GlucoTab® der Firma Decide (Klasse IIa). Dies soll daher im Weiteren vorgestellt werden.
GlucoTab® berechnet automatisch geeignete Insulindosen und unterstützt Arbeitsabläufe und Dokumentation der Insulintherapie. An die Bedürfnisse des Patienten orientierte stehen Therapievarianten zur Verfügung (Basis-Bolus Insulintherapie, BOT-Therapie, Algorithmen für Perfusortherapie usw). Exemplarisch soll die automatische Anpassung für Typ-2-Diabetes als Basis-Bolus Insulintherapie beschrieben werden.
Wird eine Diabetestherapie im Medikationssystem vorgesehen, erfolgt direkt aus dem Krankenhaus-Informationssystem der Absprung zu GlucoTab, in dem die Verordnung vorgenommen wird. Informationen zur bisherigen Therapie können über Datenschnittstellen übernommen werden. Die Insulin-Tagesdosis kann entweder aus der bisherigen Therapie abgeleitet werden oder das System berechnet einen Vorschlag auf Basis von Körpergewicht, Alter und Nierenfunktion. Zweite Stellschraube zur Steuerung ist die Insulinsensitivität, mit der das Korrekturinsulin, welches später bei hohen Blutzuckerwerten zusätzlich berechnet, festgelegt wird. Nach Bestätigung der Verschreibung sind unmittelbar Aufgaben für die Pflege in der Pflegeplanung aktiv.
Üblicherweise wird vor den Hauptmahlzeiten mit Point-of-Care (PoC)-Testung der Blutzucker (Patientenidentifikation durch Barcode Scan) gemessen. Nach Eingabe, ob die MmD eine Mahlzeit zu sich nehmen, wird automatisch ein Dosisvorschlag berechnet. Bei Nüchternheit wird noch wirksames "Insulin on Board" aus vorhergehenden Gaben automatisch berücksichtigt. Eine manuelle Anpassung der zu verabreichenden Dosis ist manuell möglich. Nach der Insulininjektion wird die Insulingabe am PoC bestätigt. Somit sind für diese Patient:innen die für die aktuelle Tageszeit geplanten Arbeitsschritte abgeschlossen und dokumentiert.
Einmal täglich wird der Insulinbedarf der Patient:innen neu ermittelt. GlucoTab berechnet aus dem bisherigen Therapieverlauf, wenn erforderlich, eine angepasste Tagesdosis, die vom medizinischen Personal bestätigt oder bei Bedarf angepasst wird. Die geplante Therapie bei Entlassung sowie weiterführende Maßnahmen können während des Aufenthaltes fortlaufend geplant und dokumentiert werden.
Das System ist dabei als Client-Server Anwendung konzipiert. Die Bedienung des Systems kann mit verschiedenen Endgeräten erfolgen. Als Point-of-Care kann die Umsetzung über cobas® pulse System von Roche Diagnostics erfolgen, das mit dem alle Aktivitäten von der Blutzuckermessung über den Dosisvorschlag bis zur Dokumentation der Insulingabe alle Therapieschritte auf einem einzigen Gerät ermöglicht. GlucoTab kann aber auch am Desktop PC ausgeführt werden. (s. Abb.)
Verschreibung der Therapie am PC.
Der zentrale Server wird innerhalb des Krankenhauses betrieben und mit Schnittstellen an die bestehende Krankenhaus IT-Infrastruktur für Benutzerauthentifizierung, Patient*innen-Stammdaten, Labordaten und Archiv angebunden.
Mehrere klinische Studien zu dem System zeigen positive klinische Ergebnisse. Die BZ-Kontrolle war effektiv und sicher. Die Anwendung zeigte eine hohe Benutzerfreundlichkeit und Akzeptanz (2,7,8). Im Vergleich zum papierbasierten Protokoll zeigt es eine geringere Fehlerrate (9,10) bei gleichzeitiger Zeitersparnis fürs Personal (11). Zunehmend relevant ist der wachsende Einsatz von Devices (12) für Gewebezuckermessung und Pumpen während des stationären Aufenthalts. In Zukunft wird neben der regulatorischen Frage, ob diese im Krankenhaus generell Einsatz finden dürfen, die technische Anbindung an CSSD gelöst werden müssen.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (9) Seite 37-39
