Sie kennen wahrscheinlich den Song "Chill mal dein Gesicht" aus dem Kinofilm "Willkommen bei den Hartmanns", der 2016 mit großem Erfolg in den deutschen Kinos lief (wenn Sie den Streifen noch nicht gesehen haben sollten: ansehen; es lohnt sich).

Vor einigen Tagen ist mir die "Hutschnur gerissen". Ein Patient mit einem Diabetes mellitus Typ 1, der bisher eher unregelmäßig die Blutglukose-Messungen durchgeführt hatte, wollte unbedingt das Messsystem FreeStyle libre® der Firma Abbott haben und brauchte dafür – natürlich umgehend und sofort – eine Bescheinigung für seine Krankenkasse. Da ich derzeit sehr viele solcher Bescheinigungen bzw. Anträge – natürlich jeweils individuell formuliert, ansonsten gibt es Nachfragen von den Krankenkassen – für das FGM-System bzw. die rtCGM-Systeme erstellen muss, erhielt er von einer Praxismitarbeiterin die Information, dass sein Wunsch nicht sofort erfüllt werden könnte. Das konnte oder wollte er nicht verstehen; er wollte umgehend mit mir sprechen. Da ich gerade über den Praxisflur lief und sein Gespräch mit meiner Mitarbeiterin mitbekommen habe, musste und wollte ich "eingreifen": ich habe ihm mit ziemlich deutlichen Worten zu verstehen gegeben, dass ich gerade mit anderen Dingen beschäftigt wäre, die derzeit noch vordringlicher wären, als seine Bescheinigung auszustellen, und dass er einfach aufgrund meiner aktuellen Arbeitsbelastung noch einige Tage darauf warten müsste. Mein "emotionaler Ausbruch" hat ihn ziemlich irritiert, und ich sah es seinem Gesichtsausdruck an: Ich hatte ihn gerade enttäuscht. Die meisten Patienten haben eine klare Vorstellung von ihren "Wunscharzt" im Hinterkopf, und dieses "Arztbild" wird hauptsächlich durch Fernsehserien generiert. Das war schon zu Beginn meiner ärztlichen Tätigkeit so – da war es Prof. Brinkmann aus der "Schwarzwaldklinik" und heute ist es unter anderem der "Bergdoktor": Es werden Ärzte dargestellt, die natürlich fachlich immer auf dem Stand der Zeit sind und alle medizinischen Probleme im Handumdrehen beheben können. Natürlich kümmern sie sich nicht nur um die medizinische Versorgung, sondern haben immer viel Zeit, für alles Verständnis und regeln noch nebenbei die weiteren "Baustellen" (Beziehungsprobleme, finanzielle Probleme usw.) ihrer "Filmpatienten". Fast jeder Fernsehsender in Deutschland hat derzeit eine "Arztserie" im Programm, die dieses Bild des "9/10-Gottes in Weiß" vermittelt. Und diese Serien werden von vielen Menschen natürlich auch mit Freude konsumiert.

Mit diesem Bild vom "Traumarzt" kommen viele Patienten in medizinische Einrichtungen und haben in der Regel noch einen 2. Gedanken im Kopf: Ich bin jetzt der "wichtigste" Patient, und alle müssen sich sofort und uneingeschränkt um mich kümmern. Wenn diese Wunschvorstellungen der Patienten auf die real existierenden Zustände im Medizinbetrieb treffen, dann ist natürlich Enttäuschung programmiert.

Je länger ich als Arzt berufstätig bin, desto mehr ist mir klar geworden, dass ich diesem Bild des Superarztes natürlich nicht entsprechen kann und vor allem auch nicht will. Es ist nicht immer hilfreich für Patienten, wenn ich ihnen als emotionale Gummiwand begegne und für alles Verständnis habe und auf alles mit einer stoischen Gelassenheit reagiere. Manchmal ist es – mittelfristig gesehen – für den Patienten hilfreich, wenn ich gelegentlich emotional explodiere: Er ärgert sich darüber und beschließt, es mir zu zeigen, dass er auch anderes kann. Leider ist diese gewünschte Trotzreaktion des Patienten nicht immer auslösbar: Manchmal funktioniert es, manchmal funktioniert es aber auch nicht. Die ärztliche Kunst besteht darin, dieses Kommunikationswerkzeug nur sehr dosiert einzusetzen, ansonsten verpufft die Wirkung.

Eine andere Mitarbeiterin der Diabetespraxis hatte meine emotionale Eruption gegenüber dem Patienten mit dem FGM-Messsystem mitbekommen und sagte – da sie eine solche Verhaltensweise von mir gegenüber Patienten eigentlich nicht gewohnt ist – sofort: "Mensch Chef, regen Sie sich wieder ab, es lohnt sich nicht." Mir kam spontan der Refrain des Liedes aus dem "Hartmann-Film" in den Kopf: "Chill mal dein Gesicht". Diese Haltung ist sicherlich fast immer hilfreich, aber manchmal müssen Gefühle einfach sein und auch gezeigt werden.



Autor: Dr Martin Lederle
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2017; 29 (7/8) Seite 5