Eine neue Studie des VDBD, die im Juni in Berlin vorgestellt wurde, zeigt: Beim Diabetes-Selbstmanagement sind in strukturschwachen Gebieten signifikante Defizite zu erkennen.

Wie effektiv hier eine gezielte Diabetesberatung ist, wurde schnell deutlich: Die Selbstmanagement-Fähigkeiten der untersuchten Patienten konnten schon durch eine kurze Einzelberatung deutlich verbessert werden. Dieses Selbstmanagement müssen Patienten heutzutage bei den unterschiedlichsten Erkrankungen entwickeln.

Ganz besonders gilt dies für Menschen mit Diabetes: Die chronische Erkrankung verlangt ihnen eine Menge ab. Sie müssen Fertigkeiten zur Stoffwechselkontrolle, Ernährungsanpassung, Vermeidung von Hypo- und Hyperglykämien sowie von Folgeerkrankungen erlernen und zugleich ein Verständnis für ihre Krankheit entwickeln.

Defizite beim Blutzuckermessen und beim Insulinspritzen

Das gelingt vor allem mit hierfür besonders qualifizierter Fachkräfte – mit Diabetesberaterinnen und Diabetesassistentinnen. Wo die sonst so gute medizinische Versorgung unzureichend ist und Schulung sowie Beratungsangebote fehlen, entstehen bei den Patienten große Defizite.

Die Versorgungsangebote für Menschen mit Diabetes und damit auch ihre Selbstmanagement-Fähigkeiten sind jedoch – je nach Region und Struktur – unterschiedlich. Die neue Pilotstudie des VDBD zeigt das klar: Diabetespatienten auf dem Land haben Defizite beim Blutzuckermessen und beim Insulinspritzen.

Die Studie untersuchte 120 Patienten mit Diabetes im Bayerischen Wald nahe der tschechischen Grenze, die nicht in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis betreut werden. Das Ergebnis: Nur ein Drittel der durchschnittlich 72 Jahre alten Menschen ist gut eingestellt. Lars Hecht, Studienleiter und Gesundheits- und Diabeteswissenschaftler am RED Institut in Oldenburg, erklärte: "Insgesamt zeigten sich deutliche Defizite in der diabetologischen Versorgungsqualität – vor allem im Bereich des Selbstmanagements."

Kurze Beratung, deutliche Besserung

So waren elementare Fähigkeiten nicht vorhanden, um eine eigenverantwortliche Therapie vorzunehmen. Nur 20 Prozent der untersuchten Patienten konnten eingenständig ihr Insulin injizieren und nur 15 Prozent ihren Blutzucker korrekt bestimmen. Schon nach einer Einzelberatung von maximal 2 Stunden durch eine Diabetesberaterin DDG verbesserten sich die Selbstmanagementfähigkeiten der untersuchten Patienten deutlich.

Fast 80 Prozent der Probanden konnten sich danach das Insulin korrekt spritzen. Deutlich mehr Menschen waren in der Lage, ihren Blutzucker korrekt zu messen. Zudem steigerten sich die Behandlungszufriedenheit und die Lebensqualität der Diabetiker.

Der VDBD fordert deshalb dringend, Diabetesberaterinnen in strukturschwachen Regionen zu etablieren. "Menschen mit Diabetes müssen den Umgang mit ihrer Erkrankung lernen. Sie brauchen eine spezialisierte Behandlung, die neben der ärztlichen Betreuung aus einer intensiven Schulung durch Dia-betesberaterinnen besteht, die die Betroffenen in ihrem Selbstmanagement unterstützt", sagte die VDBD-Vorsitzende Dr. Nicola Haller.

Bei der Vorstellung der Pilotstudie sprach Hecht auch von einer "massiven Polymedikation": Etwa 40 Prozent der untersuchten Patienten waren übertherapiert.

Um die Ergebnisse aus der Studie besser in die medizinische Versorgung in Deutschland einordnen zu können, sind folgende Zahlen interessant: Der Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hielt 2014 in seinem Gutachten fest, dass die Versorgungskapazitäten in Deutschland insgesamt auf sehr hohem Niveau vorhanden sind. Zunehmende Schieflagen zwischen Ballungsgebieten und der Fläche sind allerdings zu befürchten. Die Politik sucht deshalb derzeit nach Lösungen für eine nachhaltige Versorgung ländlicher Räume mit immer älter werdenden Menschen.

Was muss Diabetesberatung künftig leisten?

Um die wichtigsten strategischen Handlungsfelder zur Diabetesversorgung zu identifizieren und Forderungen an die Politik zu formulieren, hat die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) im Herbst 2016, gemeinsam mit dem VDBD und weiteren Organisationen, das Strategiepapier "Diabetologie 2025" verfasst (wir berichteten).

Moderne Schulung mit Apps

Eines der 10 Handlungsfelder gilt der "Patienteninformation: Schulung und Empowerment". So müssen künftig etablierte Schulungsprogramme durch individuelle, modulare Beratungen ergänzt werden, fordert die Fachgesellschaft. Dazu gehören Online-Schulungen, neue Schulungskonzepte für Diabetes-Technologie (z.B. durch Apps) und niederschwellige Schulungsangebote für Patienten mit kognitiven oder anderen Einschränkungen. Dabei soll man sich an den unterschiedlichen und veränderten Lebenswelten der Patienten orientieren.

Ohne individuelle, zeitnahe Fortbildungen für Diabetesberaterinnen funktioiniert das Ganze aber nicht. Im Strategiepapier wurde hierzu das Handlungsfeld "Digitalisierung (Technologie)" definiert.

Viele junge Menschen mit Diabetes nutzen sie heute gern und regelmäßig: Diabetes-Apps. Die gemessenen Glukosewerte müssen dabei nicht mehr per Hand eingegeben werden, sondern werden über eine Bluetooth-Verbindung direkt vom Blutzuckermessgerät an die App vermittelt. Diese übernimmt dann die Auswertung aller wichtigen Daten in Grafiken und Tabellen oder erinnert auch an indviduell festgelegte Messzeitpunkte. So können Diabetes-Apps den Alltag mit der chronischen Erkrankung erleichtern und unterstützen.

Der VDBD
Diabetesberaterin DDG ist eine qualifizierende Berufsbezeichnung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), die man durch eine umfassende Weiterbildung erwirbt. Fachliche und personale Kompetenzen zur eigenverantwortlichen Schulung und Beratung von Menschen mit Diabetes werden dabei vermittelt. Der VDBD engagiert sich seit langem auch für die staatliche Anerkennung der Diabetesberaterin als eigenständigen Beruf im Gesundheitswesen.

Nähere Infos gibt es unter www.vdbd.de und ab Seite 46.

Bei der Masse an digitalen Angeboten noch den Überblick zu behalten, ist nicht leicht. Allein bei Google werden unter dem Stichwort "Diabetes Apps" über 13 Millionen Suchergebnisse angezeigt. Bei Qualität, Datenschutz und Datenquellen müssen Anwender von Diabetes-Apps deshalb sehr genau hinschauen. Einheitliche Standards gibt es bislang nicht, sind jedoch in Arbeit, erklärte der VDBD. Diabetesberaterinnen sollen Patienten in der Anwendung von Apps unterstützen. Das können sie aber nur, wenn sie selbst immer auf dem neuesten Stand der Technik sind.

Die Sicht der Krankenkassen

Dr. Werner Wyrwich, Leiter des Geschäftsbereichs Indikation im Unternehmensbereich "Versorgungsmanagement – Programme, Verträge" bei der AOK Nordost, sprach über neue Ansätze seiner Kasse in der Diabetesversorgung. Sie ist die größte regionale Krankenkasse mit 1,8 Millionen Versicherten in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

Gemeinsam mit Partnern entwickelt die Gesundheitskasse neue Versorgungsansätze für Menschen mit Diabetes, die "über das Maß der Regelversorgung hinausgehen", so Wyrwich, und auch die unterschiedlichen Strukturen der 3 Bundesländer berücksichtigen. Während die Region Berlin sehr dicht besiedelt ist – von Versicherten, Ärzten und medizinischen Einrichtungen – und damit eine "Insel der Glückseligkeit" sei, sieht es in den Flächenländern Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg ganz anders aus.

So sprach er etwa die massiven Problemen in Mecklenburg-Vorpommern an, weil es dort viel zu wenige Kinderdiabetologen gebe. In Brandenburg haben 13,2 Prozent der AOK-Versicherten Diabetes und liegen damit weit über dem Bundesdurchschnitt von 9,8 Prozent. Die AOK Nordost setzt deshalb verstärkt auf telemedizinische Ansätze zur Betreuung von Diabetikern.

Telemedizinische Versorgungsprogramme sollen helfen

Vor allem Diabetespatienten mit stark schwankenden Blutzuckerwerten brauchen ein "möglichst lückenloses Monitoring ihrer Daten", betonte Wyrwich und stellte das telemedizinische Versorgungsprogramm "Esysta" vor. Für Diabetiker mit schlechten oder stark schwankenden Blutzuckerwerten, vor allem mit intensivierter Insulintherapie, ist eine engmaschige Kontrolle der Werte wichtig.

Der neue Telemedizinansatz besteht aus einem patentierten, mit Insulinen aller Hersteller kompatiblen Insulin-Pen, dem Blutzuckermessgerät und einer Übertragungseinheit. Pen und Messgerät verbinden sich automatisch mit der Sendeeinheit. Diese erfasst die Daten per Mobilfunk in einem eigenen Portal und auf einem gesicherten Server. Die Werte gibt es visuell als Ampelsystem. Dies ermöglicht dem Nutzer, die aktuelle Stoffwechselsituation schnell zu erkennen.

Der Vorteil dieses Telemedizinsystems: Es kann in Flächenländern wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern auch über Entfernungen hinweg die Therapieführung bzw. -treue der Diabetespatienten verbessern und ihren Stoffwechsel langfristig stabilisieren.

Seit 2014 nutzt die Kasse auch das computergestützte Versorgungsprogramm "Kadis", das sie gemeinsam mit dem in Mecklenburg-Vorpommern ansässigen Institut für Diabetes Karlsburg (KADIS) anbietet.

Das patentgeschützte Simulationsprogramm unterstützt den Arzt bei der Therapieein- und umstellung seiner Patienten mit Diabetes. Derzeit wird das Pilotprojekt ausgewertet – aktuell sind daher keine Einschreibungen in das Programm möglich. Erste Auswertungen zeigten die hohe Zufriedenheit der Versicherten und Ärzte mit diesem Versorgungsprogramm, betonte der Kassenvertreter.

Berufsbild der Diabetesberaterin gesellschaftlich und finanziell aufwerten

Zurück zu den Berater/innen: Im Rahmen der Pressekonferenz forderte der VDBD von Politik und Kostenträgern auch mehr Initiative, um das Berufsbild der Diabetesberaterin sowohl gesellschaftlich als auch finanziell aufzuwerten. "Dazu gehören eine bundesweite Anerkennung der Weiterbildung zur Diabetesberaterin als eigenständiger Beruf sowie eigene Abrechnungsmöglichkeiten", sagte VDBD-Geschäftsführerin Dr. Gottlobe Fabisch.

Flankierend könnten digitale Angebote, wie das Beispiel AOK Nordost zeigt, die Diabetesbehandlung im ländlichen Raum verbessern. "Dafür muss jedoch zunächst die Infrastruktur geschaffen und die digitalen Kompetenzen der Patienten und Behandler gestärkt werden", so Fabisch.



Autorin: Angela Monecke
Redaktion Diabetes-Forum, Kirchheim-Verlag
Kaiserstraße 41, 55116 Mainz
Tel.: 06131/96070-0, Fax: 06131/9607090

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2017; 29 (7/8) Seite 6-8