Der VDBD engagiert sich seit vielen Jahren in der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), die sich zu einem schlagkräftigen Bündnis aus 22 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Gesundheitsverbänden gemausert hat. DANK ist der Prävention von chronischen Erkrankungen wie Diabetes verpflichtet und thematisiert unbequeme Themen.

Die Notwendigkeit für eine Reduktion des Zuckeranteils in Lebensmitteln, und insbesondere in Softdrinks, ist hinlänglich bekannt. Softdrinks enthalten Mengen an Frucht- und Haushaltszucker, die bei regelmäßigem Konsum über längere Zeit die Entwicklung von Übergewicht und Diabetes begünstigen. Starkes Übergewicht (Adipositas) gehört laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit zu den größten gesundheitspolitischen Herausforderungen in diesem Jahrhundert.

2015 unternahm das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) mit der Nationalen Reduktionsstrategie den Versuch, den Zuckeranteil in Softdrinks um 15 Prozent bis 2025 zu senken. Allerdings vermied das BMEL eine verpflichtende Regulierung und wählte stattdessen den Ansatz der Selbstverpflichtung der Lebensmittelwirtschaft. Der Industrie wurde eine Auswahl an Instrumenten zur Zuckerreduktion empfohlen:

  • Innovation durch neue Rezepturen
  • Reformulierung bestehender Produkte (Änderungen der Rezepturen oder Herstellungsprozesse)
  • Erweiterung des Produktportfolios durch kalorienreduzierte und kalorienfreie Varianten
  • Einführung kleinerer Packungsgrößen für den Einzelverzehr
  • verstärkte Ausrichtung der Werbung auf kalorienreduzierte bzw. -freie Getränke
  • Verzicht auf Werbung oder Marketingaktivitäten für Erfrischungsgetränke an Grundschulen
  • Beschränkung des Angebots von Erfrischungsgetränken an weiterführenden Schulen auf kalorienarme oder -freie Getränke
  • Verzicht auf Werbung für Erfrischungsgetränke in Medien, die sich speziell an Kinder richten
  • Angabe des Kaloriengehalts pro Portion auf der Hauptseite der Verpackung

Ernüchternde Realität nach sechs Jahren Reduktionsstrategie: Schlappe 2 Prozent ist der durchschnittliche Zuckergehalt von Softdrinks in Deutschland zwischen 2015 und 2021 gesunken. Das ist das Ergebnis einer Studie, die vom VDBD mitfinanziert und von DANK initiiert und in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und der Technischen Universität München (TUM) durchgeführt worden ist. Die Ergebnisse sind jüngst in der Fachzeitschrift "Annals of Nutrition and Metabolism" veröffentlicht worden. Dass die Reduktionsstrategie die gewünschten Effekte zu verfehlen droht, hatte das BMEL schon selbst 2020 in einem Zwischenbericht konstatiert.

"Unsere Daten zeigen, dass der Zuckergehalt von Softdrinks in Deutschland zwischen 2015 und 2021 nur geringfügig zurückgegangen ist", so Dr. Peter von Philipsborn, Hauptautor der Studie und Wissenschaftler am Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der LMU. "Aktuell ist Deutschland daher nicht auf Kurs, das Reduktionsziel 15 Prozent weniger Zucker bis 2025 zu erreichen." Im Vergleich: Großbritannien führte 2018 eine verpflichtende Herstellerabgabe auf stark zuckerhaltige Softdrinks ein mit dem eindeutigen Ergebnis, dass der Zuckergehalt von Softdrinks im selben Zeitraum um knapp 30 Prozent reduziert wurde.

Aus Sicht des VDBD ist es daher höchste Zeit für eine verbindliche Regelung, die auch weitergedacht werden sollte. So fordert der Verband, hinsichtlich der alternativen Inhaltsstoffe, sinnvolle Vorgaben für die Industrie aufzustellen. "Hersteller sollten Zucker in Softdrinks nicht einfach durch Süßstoffe ersetzen dürfen, denn diese trainieren weiterhin den Süßgeschmack", erklärt Vorstandsvorsitzende Dr. Nicola Haller. Erste Studien legen zudem einen Effekt von Süßstoffen auf den Stoffwechsel nahe.

Mehrwertsteuer Null

Zucker ist nicht nur in Softdrinks ein Problem. Grundsätzlich stehen energiedichte Lebensmittel, d.h. mit hohem Fett-, Salz- und Zuckergehalt, im Verdacht, Treiber für Übergewicht, Diabetes und Fettleber-Erkrankungen in Kombination mit Bewegungsarmut zu sein. Daher fordert der VDBD im Konzert mit DANK seit langem auch eine Mehrwertsteuersenkung für Gemüse und Obst als Maßnahmen der Verhältnisprävention, um eine gesunde Ernährungsweise für alle Bevölkerungsschichten zu ermöglichen. Untersuchungen belegen, dass die oft empfohlene mediterrane Ernährung etwa 20 bis 40 Prozent teurer ist als die sogenannte "Western diet". Deshalb begrüßte der VDBD in einer Pressemitteilung den Vorstoß von Bundesminister Özdemir, als er sich Anfang Januar 2023 dafür aussprach, die Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte gänzlich abzuschaffen.

Werbebeschränkungen

Es geht nicht weniger als um unsere Gesundheit, ein gesundes Ernährungsumfeld, das die gesunde Wahl selbstverständlich macht, insbesondere und vor allem für Kinder. Gemeinsam mit einem Aktionsbündnis von insgesamt 38 Organisationen wandte sich der VDBD im November 2022 in einem Offenen Brief an die Parteispitzen der Bundesregierung und forderte Beschränkungen für an Kinder gerichtete Werbung zu energiedichten Lebensmitteln. Wenige Monate später stellte Cem Özdemir im Februar 2023 seine Pläne zu an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung vor. Aus Sicht des VDBD ein gelungener Aufschlag; denn der Vorschlag greift die Empfehlungen des Aktionsbündnisses auf. So sind folgende Maßnahmen geplant, um Kinder zu schützen:

  • Werbebeschränkungen für Lebensmittel mit hohem Fett-, Salz- und Zuckergehalt in für Kinder relevanten Medien, inklusive Marketing durch sogenannte Influencer:innen
  • Insbesondere im Zeitfenster zwischen 6 Uhr und 23 Uhr im Fernsehen und Hörfunk
  • Werbebeschränkungen für Außenwerbung zu diesen Produkten im Umkreis von 100 Metern von Kitas, Spielplätzen und Schulen
  • Die Bewertung eines hohen Fett-, Salz- und Zuckergehaltes soll sich nach dem Nährwertprofilmodell der Weltgesundheitsorganisation richten

Heftiger Gegenwind

Bei aller Begeisterung für Özdemirs Pläne erwartete der VDBD mit seinen Kooperationspartnern heftigen Gegenwind aus Richtung Lebensmittelindustrie und Werbewirtschaft und wurde nicht enttäuscht. So initiiert die Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie (BVE) aktuell eine Kampagne gegen die Pläne Özdemirs zur Lebensmittelwerbung. In ganzseitigen Anzeigen in WELT und BILD warnt die BVE vor "Cem Özdemirs Verbotskatalog". Auf der Kampagnen-Webseite heißt es "Für diese Lebensmittel dürfte nicht mehr geworben werden". Darunter sind unter anderem Maultaschen, Backwaren, Ananas aus der Dose, Gnocchi oder Früchtemüsli abgebildet und rot durchkreuzt. Zudem zweifelt die BVE die wissenschaftliche Evidenz für die Einführung von Werbeschranken an. Ein Faktencheck von DANK offenbart, dass viele Aussagen der BVE einer Überprüfung nicht standhalten.

"Mit ihrer Kampagne versucht die Ernährungsindustrie, das Problem zu verharmlosen, Zweifel an den Gegenmaßnahmen zu säen und Verantwortung auf andere abzuwälzen", sagt Barbara Bitzer, Sprecherin der DANK und Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). "Der Großteil der Werbeausgaben im Ernährungsbereich entfällt nicht auf Gnocchi, Dosenananas oder Maultaschen, sondern auf Süßwaren, Snacks oder Limonade. Das trägt nachweislich zum ungesunden Ernährungsverhalten der Kinder bei – auch wenn die Ernährungsindustrie es leugnet", so Bitzer. Eine Studie der Universität Hamburg zeigte 2021, dass ein Kind in Deutschland, das Medien konsumiert, durchschnittlich mit 15 Werbespots pro Tag für energiedichte Lebensmittel konfrontiert wird.

Das WHO-Nährwertmodell wurde 2015 veröffentlicht und in 2023 überarbeitet. Es soll Staaten dabei unterstützen, Regeln für Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung zu schaffen. Lidl Deutschland, Aldi Süd sowie mehrere Staaten (Portugal, Türkei, Slowenien) machen das Modell bereits zur Grundlage für freiwillige bzw. verbindliche Beschränkungen der Werbung für Lebensmittel, weitere Staaten wie Spanien planen es. Das WHO-Modell teilt Lebensmittel in 18 Gruppen ein und definiert kategorienspezifische Grenzwerte beispielsweise für Zucker, Fett, Salz oder Süßstoffe, um die Produkte mit einer hohen Nährwertqualität zu identifizieren. Für diese soll weiterhin uneingeschränkt geworben werden dürfen – auch im Kinderprogramm.

Der VDBD hofft, dass Cem Özdemir sich politisch durchsetzen kann und die allgemeine Bevölkerung, insbesondere Eltern, sich durch die Kampagne nicht in die Irre führen lassen, sondern die Position des Ministers unterstützen. Damit endlich verbindliche Maßnahmen der Verhältnisprävention eingeführt werden und auch Deutschland auf dem Weg zu einer gesunden Ernährung für alle Bevölkerungsgruppen einen Schritt weiterkommt.

Link zur Studie
Zur Studie in der Fachzeitschrift "Annals of Nutrition and Metabolism" (open access, Englisch): https://www.karger.com/Article/Abstract/529592

Autorin:
Dr. Gottlobe Fabisch
Geschäftsführerin VDBD e.V. und VDBD AKADEMIE GmbH


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (5) Seite 44-45