Religiöse Gewohnheiten lassen die Qualität der Behandlung oftmals leiden. Das zu verhindern, ist eine besondere Herausforderung für die Therapeuten. Wir zeigen hier, wie Sie das am besten in den Griff bekommen.

Durch die Zuwanderung von Menschen aus allen Regionen der Welt nach Deutschland ergeben sich für das Gesundheitssystem neue Herausforderungen. Auch die Diabetesberatung wird damit konfrontiert. Neben der Überwindung sprachlicher Barrieren sind die Lebensgewohnheiten der neuen Mitbürger für uns ungewohnt. Ein großer Anteil praktiziert den islamischen Glauben.

In jeder Religion gibt es besondere Riten, die auch Menschen mit Diabetes mellitus begehen wollen. Darauf sollte man sich bei der Beratung einstellen. Bezogen auf den islamischen Glauben ist hier zum Beispiel der Fastenmonat Ramadan als wichtiges Ereignis zu nennen. Er beginnt dieses Jahr im Juni und endet mit dem Ramadanfest, das über 3 Tage geht. Heike Schulze aus dem Diabeteszentrum Bad Lauterberg gibt uns in ihrem Artikel Hinweise, welche Besonderheiten bei der Ernährung im Ramadan für Diabetiker zu berücksichtigen sind.

Dr. med. Thomas Werner, Dr. med. Johannes Huber

Weltweit begehen jährlich gläubige Muslime den Ramadan-Monat. Er beginnt traditionell mit dem Sichten der Mondsichel und startet in jeder Region an unterschiedlichen Tagen. In Deutschland wird der Fastenmonat vom "Koordinatsrat der Muslime" festgelegt. Da sich der islamische Kalender nach dem Mond richtet, fällt dieser Fastenmonat jedes Jahr in eine andere Zeit. Meist beginnt die Zeit des Ramadan in der Mitte des Monats Juni und endet im Juli.

Ramadan: Glauben und die Selbstdisziplin stärken

Im Jahr 2016 wird der Fastenmonat für gläubige Muslime am 6. Juni beginnen und endet am 5. Juli traditionell mit einem dreitägigen Fest, dem Fastenbrechfest "Eid al-Fitr". Das dreitägige Fest wird auch "Zuckerfest" genannt, weil es viele Süßigkeiten gibt. Das Fastenbrechfest steht im Zeichen der Familie. Die Menschen beglückwünschen sich mit "Alles Gute zum Id" und wie hierzulande zu Weihnachten, freuen sich alle auf Geschenke und viele Sachen zum Naschen.

Der Ramadan erinnert an die Zeit, als der heilige Koran durch den Erzengel Gabriel dem Propheten Mohammed offenbart wurde. Er soll den Glauben und die Selbstdisziplin der Gläubigen stärken und stellt eine der fünf Säulen des Islams dar. Sie gehört zu den Hauptpflichten, die ein gläubiger Muslim als Gottesdienst durchführt. Er gilt als Monat des Friedens und der Versöhnung.

Fasten für Gesunde Pflicht

Das Fasten im Ramadan ist für den gesunden Erwachsenen verpflichtend, aber wenn die Gesundheit des Einzelnen bedroht ist, hat Allah eine Ausnahme vorgesehen: "Allah will es euch leicht, er will es euch nicht schwer machen." (Al-Baqara,185)

In den ersten Tagen kann es zu Begleiterscheinungen kommen, wie Schwindel, Müdigkeit, Kopf- bzw. Rückenschmerzen, da sich der Körper auf die Nahrungs- und Wasserkarenz einstellen muss. Bereits nach wenigen Tagen fühlen sich Fastende befreit und leicht euphorisch. Der Körper hat sich auf den Nahrungsentzug eingestellt. Ab etwa dem dritten Tag sinkt die Produktion des Stresshormons Kortisol und zugleich schütten die Gehirnzellen vermehrt Serotonin aus.

Fastenregeln im Ramadan
  • Die Fastenzeit beginnt in der Morgendämmerung, ab dem Frühlicht (ca. 4:40 Uhr) und endet beim Sonnenuntergang (ca. 21:50 Uhr)
  • Währen der Fastenzeit (17 Stunden täglich) verzichten gläubige Muslime auf Essen, Trinken und Rauchen. Geschlechtsverkehr ist ausdrücklich verboten.
  • Essen, Trinken und Rauchen sind nur in den übrigen sieben Stunden erlaubt.
  • Ausgeschlossen von der Fastenpflicht sind Reisende, Schwangere, stillende Mütter, Kinder, Kranke und Alte.

Als Mitteleuropäer und gerade in einem die Gesundheit betreffenden Beraterberuf steht man dem Glaubensbekenntnis der Muslime häufig verwundert gegenüber. Obwohl die Regeln des Koran Kranke von ihrer Fastenpflicht befreien, ist es auch gläubigen Muslimen mit Diabetes ein wichtiges Bedürfnis (entgegen ärztlichem Rat) ihr nachzukommen.

Das Fasten während des muslimischen Monats Ramadan ist mit einer erhöhten Gefahr für Hypo-und Hyperglykämien verbunden. Trotz dieses Wissens ist es nicht möglich, einen gläubigen Muslim von der Teilnahme an der Fastenzeit abzuhalten. Diesem Vorhaben sollte man mit Respekt und Toleranz seitens der Diabetesberatung zur Seite stehen. Vorhaltungen über gesundheitliche Beeinträchtigungen werden nicht akzeptiert.

Ernährungs-Tipps für Menschen mit Diabetes

Ausreichend Trinken

Während des Ramadans ist gläubigen Muslimen zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang das Trinken untersagt. Das Risiko für Dehydrierung und Thrombosen ist erhöht. Zu den erlaubten Zeiten sollten bevorzugt Wasser oder kalorienfreie Getränke getrunken werden. Koffeinhaltige Getränke (Kaffee, schwarzer Tee) in größeren Mengen sollten vermieden werden, da diese entwässernd wirken können.

Langsame Kohlenhydrate

Zum Morgenmahl (SUHUR) ist es sinnvoll, bevorzugt Lebensmittel mit komplexen Kohlenhydraten zu sich zu nehmen, da diese nur langsam in die einzelnen Zuckerbausteine abgebaut werden. Sie machen länger satt und sind noch in den Tag hinein wirksam. Heißhungerattacken und Unterzuckerungen können damit vorgebeugt werden. Geeignet sind z. B. Vollkornprodukte, Vollkornnudeln, Reis, Bohnen, Linsen.

Zum Abendmahl (IFTAR) werden von gläubigen Muslimen gern schnell verdauliche Kohlenhydrate gegessen, weil diese den Blutzuckerspiegel rasch ansteigen lassen, z. B. Brot oder Brötchen aus Weizenmehl. Bei Menschen mit Diabetes sind solche Produkte eher ungeeignet und es sollten auch hier Vollkornprodukte bevorzugt werden. Datteln sind seit den Tagen des Propheten Muhammad eine hervorragende Quelle für Zucker, Fasern, Kohlenhydrate, Kalium und Magnesium und gehören mit zu den bevorzugten Speisen in der Fastenzeit.

Während des Fastens im Ramadan besteht nicht die Notwendigkeit, übermäßige Mengen von Nahrung zu sich zu nehmen als üblicherweise. Bei Menschen mit Diabetes (je nach Diabetestherapie) ist es sinnvoll, die Morgen- und auch Abendmahlzeit auf zwei bis drei kleinere Mahlzeiten zu verteilen, um hohe postprandiale Blutzuckeranstiege zu vermeiden.

Tipps zum Diabetesmanagement

Blutzuckerkontrolle:

Diabetespatienten sollten häufiger messen, um Hyper- oder Hypoglykämien zu vermeiden. In der Praxis wird diesen Empfehlungen nicht gefolgt, weil viele Muslime glauben, dass der Stich zur Blutzuckermessung während der Fastenzeit nicht erlaubt ist. Hier ist Beratung und Aufklärung sehr wichtig. Zur Überzeugung des Einzelnen können Untersuchungs- und Studienergebnisse als Beratungsargumente zu Rate gezogen werden.

"Die Rolle der Medikamentendosis, Zeitpunkt der Veränderung, aktive Glukosemessung und Patienten-Bildung"

In der Ambulanz von Baqai (Kuwait) wurde am Institut für Diabetologie und Endokrinologie unter der Leitung von Prof. Akhtar eine prospektive Studie durchgeführt, um die Auswirkungen der aktiven Blutzuckermessung, Veränderung der Medikamentendosis und Zeitpunkt, Ernährungsberatung und Aufklärung der Patienten in dem Auftreten von akuten diabetischen Komplikationen während des Fastenmonats Ramadan zu beobachten.

Durchführung: 110 Probanden sollten an 15 Fastentagen mindestens zwei Blutzuckermessungen durchführen und dokumentieren.

Ergebnis: Die höchsten Frequenzen von hypo- und hyperglykämischen Episoden wurden vor der Morgendämmerung beobachtet.

Durch aktive Blutzuckerkontrollen, Veränderung der Medikamentendosis und Zeitpunkt, Ernährungsberatung und Aufklärung der Patienten wurden bei der Mehrheit keine akuten Komplikationen durch den Diabetes beobachtet.

"Praktisches Management des Diabetes im Ramadan-Fasten"

Die meisten Menschen mit Diabetes Typ 2 fasten während des heiligen Monats Ramadan. Eine Beratung vor Beginn des fastens für die Bewertung, Motivation, Ernährung und Medikamenteneinstellung ist unerlässlich. Menschen mit Diabetes können durch vorherige Beratung ein gesundheitliches Risiko erheblich reduzieren.

Fasten verbessert die Stoffwechselsituation, reduziert das Gewicht und hilft bei der Behandlung von Hypertonie (vorausgesetzt man hält sich an die normalen Ernährungsempfehlungen, wird gern in den Nachtstunden übermäßig gegessen).

Treten Hypoglykämien während des Fastens auf, dann muss schnell "gebrochen" werden. Der Islam erlaubt, regelmäßig Blutzuckerselbstkontrollen durchzuführen. Patienten sollten einem individualisierten Management-Plan folgen (Ausarbeitung mit dem Diabetes-Team).

Kalorien und Nährwerte von Datteln

Frische Datteln
Aufgrund ihres hohen Zuckergehaltes gehören die Datteln zu den kalorienreichsten Obstsorten. Eine frische Dattel wiegt ca. 7 Gramm. Nachfolgend die Kalorien und Nährwerte von 100 Gramm frischen Datteln:

  • 477 kJ / 114 kcal
  • 1 Gramm Eiweiß
  • 0 Gramm Fett
  • 27 Gramm Kohlenhydrate

Getrocknete Datteln
Durch die Trocknung verliert Obst an Wasser und auch die Zusammensetzung ändert sich, das Obst wird wesentlich süßer, enthält mehr Zucker. Das ist auch bei getrockneten Datteln so. Nachfolgend die Kalorien und Nährwerte von 100 Gramm Datteln, getrocknet:

  • 1.194 kJ / 285 kcal
  • 2 Gramm Eiweiß
  • 1 Gramm Fett
  • 66 Gramm Kohlenhydrate
Getrocknete Datteln enthalten auch mehr Ballaststoffe (9 Gramm) als frische Datteln (3 Gramm). Der in den getrockneten Datteln enthaltene Zucker teilt sich auf in 24,9 Gramm Fruktose und 25 Gramm Glukose. Eine getrocknete Dattel wiegt ca. 10 Gramm.

Tipps zur Diabetes-Medikation

  • Bei Medikamenten, bei denen kein erhöhtes Hypoglykämie- Risiko besteht, ist während der Fastenzeit keine Dosisanpassung erforderlich (z.B. DPP-4-Hemmer).
  • Bei Metformin-Therapie sollten Zeitpunkt, Einahme und Dosis (evtl. Dosisreduktion) den Mahlzeiten angepasst werden.
  • Orale Antidiabetika mit erhöhtem Hypoglykämierisiko (z.B. Sulfonylharnstoffe) können während der Fastenphase reduziert eingesetzt werden. Auch hier sollten der Zeitpunkt und die Dosismenge sich an den jeweiligen Mahlzeiten orientieren.

Tipps zur Insulintherapie

Die Insulindosis muss während des Ramadans entsprechend den Zeitpunkten der Nahrungsaufnahme und unter Berücksichtigung des jeweiligen Diabetes-Typs angepasst werden.



Autorin: Heike Schulze
Diabetesberaterin, Leiterin Pumpenberatung
Diabeteszentrum Bad Lauterberg

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2016; 28 (6) Seite 32-34