Das Diabetische Fußsyndrom (DFS) ist eine Erkrankung mit einer multifaktoriellen Genese. Neben der Prävention von Fußulcera ist die konsequente qualitätsgesicherte Behandlung ein wesentlicher Baustein zur Verhinderung von Amputationen. Was in Rheinland-Pfalz in dieser Sache geleistet wurde, lesen Sie hier.

Um dies zu erreichen ist konsequente Fortbildungsarbeit Grundvoraussetzung.

Mittlerweile sind 36 Ärzte in 28 Zentren sowie 9 Orthopädieschuhmachermeisterbetriebe zertifiziert. Ausgewertet wurden 14020 zur Zertifizierung eingereichte Verläufe aus 20 Jahren.

In ALLEN Jahren kam es zu einer signifikanten Heilung / relevanten Besserung der Läsionen nach 6 Monaten Behandlung in einer spezialisierten/ zertifizierten Einrichtung für Patienten mit Diabetes und DFS

Hintergrund

Das Diabetische Fußsyndrom (DFS) ist eine wesentliche Komplikation des Diabetes mellitus. Knapp 3% der Menschen mit Diabetes in der Primärversorgung leiden daran. 50% haben Minor- oder Major-Amputationen[1]. Ursächlich sind viele Faktoren die schließlich eine Diabetische Polyneuropathie und eine pAVK bedingen. Vermehrte Druckbelastung durch Veränderung der Fußmobilität und fehlende Reaktion wegen fehlender Schmerzen führen über Hyperkeratose – Einblutung – Infektion – zur Läsion [2].

Für die betroffen Patienten bedeuten die lange Behandlung und gelegentlich auch notwendige Amputationen eine erhebliche Verminderung der Lebensqualität und oft auch Lebenszeit. Die Zahl der Patienten nimmt auch zu, weil Herz-Kreislauferkrankungen und Nephropathie besser behandelt werden können.

Infolge der multifaktoriellen Genese müssen viele Akteure aus den Bereichen stationäre und ambulante Versorgung, die Hilfs- und Heilmittelerbringer sowie Kostenträger zusammengebracht werden. In allen Bereichen müssen die Akteure für das Thema sensibilisiert und fortgebildet werden.

Material und Methoden

Restrospektiv werden die Ergebnisse der Implementierung einer regionalen Versorgungsstruktur und deren Auswirkung auf die Versorgung von Menschen mit Diabetischem Fußsyndrom beschrieben.

Historie [3]

  • ab 1997 Erfahrungsaustausch auf Initiative von Frau Dr. Brunk-Loch. Jährlich mehrmaliges Treffen der an der Versorgung des Diabetischen Fußes engagierten Diabetologen.
  • ab 2001 optimierte, standardisierte Versorgung des "Diabetischen Fußsyndrom" durch regelmäßigen Wissenstransfer.

Eine Interdisziplinäre Gruppe erarbeitet Strukturen zur Zertifizierung von Fußbehandlungseinrichtungen.

DDG-Kongress Aachen - Poster zu den Ergebnissen der AG Fuß RLP-Saarland.

  • 2001 AG Fuß - erste Arbeitsgruppe der ADE, der rheinland-pfälzischen Diabetes Fachgesellschaft.
  • 2004 Zug um Zug - landesweites Entstehen zertifizierter stationärer und ambulanter Fußambulanzen
  • 2009 Namensgebung "Diabetes Fußnetz Südwest" belegt das flächendeckende interdisziplinäre Vernetzen der Versorgungsstrukturen für das "Diabetische Fußsyndrom" [3]

Von vorneherein war klar, dass eine Erkrankung mit einer multifaktoriellen Genese nicht durch eine monokausale Intervention anzugehen ist. Daher hatte die Arbeit der aus dem zunächst lockeren Zusammenschluss hervorgegangen AG Fuß verschiedene Ansatzpunkte:

  • Erstellen von Behandlungsleitlinien:
  • Dokumentationsbogen zur strukturierten Behandlung
  • Anleitung zur Schuhtechnischen Versorgung (Schuhverordnungsbogen)
  • Empfehlungen zur Behandlung von Patienten mit MRSA
  • Systematische Erfassung von Infektionen und Erstellung von Keimspektren
  • Schulung von Behandlungseinrichtungen zu den Themen
  • paVK, siehe Poster hierzu [4]
  • Druckentlastung
  • Infektkontrolle
  • Wundbehandlung
  • soziales Umfeld, häusliche versorgung
  • Training einer strukturierten Dokumentation: Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte, Schuhmacher, Wundassistent*innen mit Themen hierzu finden ca viermal jährlich statt.

Fortbildungen im Rahmen der Jahrestagung und der Herbsttagung der Regionalgesellschaft.

  • Zertifizierung von mittlerweile 36 ärztlichen Fußbehandlern, 9 Orthopädieschuhmachern und 1 Orthopädietechniker [5], [6].
  • Bereits im ersten DMP-Vertrag mit der Kassenärztlichen Vereinigung konnte die Behandlung des Diabetischen Fußsyndroms eingebracht werden. Die Fußambulanzen müssen jährlich einen Nachweis über die Einhaltung der Voraussetzungen gegenüber der KV erbringen. Die Zertifizierung der AG-Fuß wird anerkannt. Siehe Anlage 3.
  • Viele Gespräche mit dem MDK
  • Einbringen in Kommissionen der Kostenträger und der KV
  • Politik: Landesdiabetesbeirat
  • Veröffentlichungen und Poster (siehe Homepage der ADE-RLP)

Um dies zu organisieren wurde ein "innerer Kreis" mit ca 20 Akteuren gegründet (Abbildung 1), der sich jährlich viermal, während der Corona Pandemie online, getroffen hat.

Zertifizierungsverfahren

Ärzte die sich zertifizieren lassen wollen dokumentieren auf dem Fußdokumentationsbogen fortlaufend 30 Fälle von Fußulcera. Hierzu gehört u.a. zwingend eine Fotodokumentation. (https://www.ade-rlp.de/ag-fuss-der-ade/zertifizierung) Diese werden von Frau Käse, ADE, gesammelt und von einer Zertifizierungskommission von 6 Behandlern geprüft. Ende des Jahres findet dann eine Zertifizierungsveranstaltung statt bei der jeder Bewerber einen ausgelosten Fall persönlich vorstellen und sich der Diskussion der anderen Teilnehmer stellen muss. Lediglich während der Corona-Pandemie fanden die Veranstaltungen online statt. Die Zertifizierung gilt nur für den Arzt, nicht für die Einrichtung. Wollen sich mehrere Ärzte einer Einrichtung zertifizieren müssen alle 30 bzw. 15 Fälle vorweisen.

Vergleichbar müssen die Schuhmachermeister drei Fälle dokumentieren und vorstellen.

Ergebnisse:

Die strukturierte Befunderhebung und -dokumentation hat sich mit den Jahren deutlich verbessert. So werden z. B. keine Läsionen oberhalb des Knöchels mehr vorgestellt. Die Qualität der Fotodokumentation hat sich (auch infolge einer Fortbildungsveranstaltung) gebessert und ist dadurch aussagekräftiger geworden. In Verbindung mit dem Schuhverordnungsbogen ist die Kommunikation zwischen Arzt, Schuhmacher und kostenträger besser geworden.

Jährliche Ergebnisberichte aus den Zertifizierungsdaten

Tönges, J. Bernkastel-Kues, fasst jährlich die Daten der Zertifizierung zusammen. [5]

In den 20 Jahren konnten insgesamt 14.020 Verläufe dokumentiert werden.

2021 konnten 36 Ärzte in 28 Zentren sowie 9 Orthopädieschumachermeisterbetriebe erst- bzw. rezertifiziert werden. In die Zertifizierung 2020-21 wurden 863 Patienten eingeschlossen (Abbildung 2(.

Eine Charcot Arthropathie DNOAP hatten 68 (7,1%) aller DFS (wie auch in den Vorjahren).

Statistische Auswertung

Liana Bergholz (Mainz) & PD Dr. Anca Zimmermann (Worms) haben die Daten von 2005 bis 2020 statistisch ausgewertet (Abbildung 3). [7]

2020 war nach 6 Monaten die Zahl der Patienten mit Stadium Wagner 1 auf 56%, die der mit Stadium 2 auf 33% und die der Patienten mit Wagner Stadium 33 auf 1% gesunken (Abbildung 4, Tabelle 1).

Mikrobiologie

Dirk Schulze aus Pirmasens sammelt und analysiert seit Jahren die mikrobiologischen Daten. Diese werden in den Behandlereinrichtungen aus den Mikrobiologischen Abstrichergebnissen gewonnen. Mit den Verantwortlichen der Labore fanden mehrere Treffen statt. Auf den Überweisungen wird das Wagnerstadium angegeben.

Keimspektrum – Analysen beim infizierten diabetischen Fußsyndrom [8]

Projekt der AG Fuß der ADE Rheinland-Pfalz - Schulze, D

Neben der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit stellen (tiefe) Weichteilinfektionen in Verbindung mit dem diabetischen Fußulcus, insbesondere bei gleichzeitiger pAVK das höchste Risiko für den betroffenen Diabetiker dar, einen Extremitätenverlust zu erleiden.

Früher gab es nur wenig gezielte Untersuchungen zu diesem Thema, insgesamt nur mit kleinen Fallzahlen:

  • F L Sapico, H N Canawati, J L Witte, J Z Montgomerie, F W Wagner Jr and AN Bessman (1980) 13 Fälle. [9]
  • Sapico FL, Witte JL, Canawati HN, Montgomerie JZ, Bessman AN. (1984) 32Fälle.
  • Hoelsch,H. 1999 (Daten 1976-1986)
  • Seewald, Reike, Chantelau (Daten 2003)
  • Wolf (AG-Fuss RLP 2004) 802 Fälle.
  • Kühnen, Trier (1998-2008) 1713 F. in 10 Jahren
  • Mittermayer, H., Linz (2006)
  • Seewald, Reike, Chantelau (Daten 2003, Nordrhein);
  • Wolf (AG-Fuss der Ade IE RLP 2004).

Vor allem angeregt durch die Erhebungen von Frau Seewald (in den Diabetes-Fußzentren in Nordrhein) aber auch in Verbindung mit Fortbildungsveranstaltungen in Werl haben wir nach Ausscheiden von Herrn Wolf aus der AG Fuß ein neues Konzept zur Erhebung der Keimspektren gemeinsam entwickelt.

Inzwischen übersehen wir die Entwicklung der Keimzahlen bei diabetischen Fußinfektionen über 14 Jahre. Seit 2007 wurde die Umfrage in unseren teilnehmenden zertifizierten Fuß-Behandlungseinrichtungen deutlich umfangreicher, seit der Herbsttagung der ADE 2008 (in Koblenz, gemeinsam mit den mikrobiologischen Labors) erfolgt eine neue Festlegung der Probenentnahme, die gezielte Fragestellung auf dem Überweisungsschein mit unterschiedlicher Bearbeitung abhängig vom Wagner/Armstrong-Stadium.

Mit dem auch in den Folgejahren weiterentwickelten Erhebungsbogen erfolgt zusätzlich die Erhebung der Problemkeime (MRSA, Acinetobacter, ESBL-Bildner, 3-MRGN, 4-MRGN, Pseudomonas aerug., (Citrobacter kos., Serratia marc., KNS mit Virulenzfaktoren) [7].

Für MRSA, Pseudomonas aeruginosa und ESBL-Bildner (3 MRGN, 4 MRGN) wird das Ausmaß der Resistenzen gegen bei uns ambulant oral verfügbare Antibiotika (Fluorchinolone, Clindamycin, Doxycyclin, Cotrimoxazol, Rifa) dokumentiert.

In Anbetracht der deutlichen Zunahme von CDAD (von 2008-2010) erfolgt auch eine regelmäßige Abfrage der positiven Toxin - Nachweise. CDAD sind inzwischen durch konsequente Hygienemaßnahmen und Änderung der Antibiotika-Strategien (außer in einzelnen klinischen Einrichtungen) nahezu nicht mehr beobachtet worden.

Die Probeentnahme aus infizierten Wunden wurde entsprechend dem "Wundheilungs Kontinuum nach Lobmann (2011) beziehungsweise den IDSA- Kriterien nur bei kritischer Kolonisation beziehungsweise Infektion durchgeführt, die Probeentnahme auf Curette, Biopsie bzw. eScrab umgestellt.

Im Ergebnis sehen wir inzwischen die bisher größte fortlaufende Erhebung der Keimbesiedlung beim diabetischen Fußsyndrom (die meisten früheren Studien betreffen Weichteilinfektionen allgemein).

In 14 Jahren beobachteten wir in der Summe 40.525 Keime bei 18.934 Fällen (bei z.T. unvollständiger Übermittlung).

Durchschnittlich nehmen 16,2 jährlich zertifizierte Fußbehandlungseinrichtungen (von ca. 30 zertifizierten Zentren und 40 zertifizierten Kollegen) an den Keimerhebungen teil

Die Kooperation mit den mikrobiolog. Labors sollte im Sinne einer eine standardisierten vergleichbaren Datenübermittlung durch die Labors entspr. unserem Konsens (HT der ADE 2008) optimiert werden.

Wie in anderen Erhebungen findet sich ein typisches Cluster relevanter Erreger beim infizierten diabetischen Fuß (– ähnlich wie bei Perioodontitis in der Zahnmedizin -)

Dies ermöglicht eine unmittelbare, gut begründete kalkulierte Therapie sofort bei Aufnahme des Patienten.

Im Verlauf der Jahre sehen wir einen deutlichen, kontinuierlichen Rückgang der MRSA-Fälle (Abbildung 5). Die Resistenzlage bei MRSA hat sich zuletzt leicht zum günstigeren verändert, weiterhin oral gut verfügbar sind Cotrim und Doxycyclin.

Pseudomonas aeruginosa ist in der Gesamtzahl leicht rückläufig, in den letzten Jahren sind in ca. 80 % der Fälle Fluorchinolone wieder wirksam (Abbildung 7).

ESBL-Bildner und MRGN zeigen auf sehr niedrigem Niveau nur vorübergehend eine zunehmende Gesamtzahl, zuletzt wieder rückläufig. Die geprüften Antibiotika zeigen (mit starken Schwankungen) eine nur geringe Ansprechrate (Abbildung 8).

Die Ergebnisse der Keimspektrum-Erhebungen der AG Fuß (ADE) Rheinland-Pfalz wurden - neben der Vorstellung bei den internen Veranstaltungen - wiederholt in Form von Postern bei der DDG-Jahrestagung, oralen Präsentationen, zuletzt auf der DDG Jahrestagung 2017 in Hamburg sowie der Jahrestagung der AG Fuß der DDG 2021 in Worms präsentiert.

Zusammenfassung

Von 2005 bis 2020 wurden von mittlerweile 36 Ärzten in 28 zertifizierten Fußbehandlungseinrichtungen insgesamt 14.020 Fälle dokumentiert. Die Kontrolluntersuchungen nach 6 Monaten ergaben eine signifikante Heilung/relevante Besserung der Läsionen).

Neun Orthopädieschumacher wurden zertifiziert. Schumacher und Ärzte arbeiten in verschiedenen Strukturen eng zusammen.

Die Ursache des Diabetischen Fußsyndroms ist multifaktoriell und daher muss auch die Behandlung multidisziplinär sein: vom hochspezialisierten Hybrideingriff an den Gefäßen über die stadiengerechte Wundbehandlung bis zur häuslichen Versorgung. Durch Maßnahmen in vielen Gebieten konnten wir eine Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Diabetischem Fußsyndrom erreichen die sich u.a. in einer geringen Amputationsrate widerspiegelt.

Bei den jährlichen Zertifizierungsveranstaltungen konnte eine kontinuierliche Verbesserung der Behandlungsqualität festgestellt werden. Die Einrichtungen haben ihre Strukturen und Prozesse deutlich verbessert. Erhebung des Gefäß- und Infektionsstatusses sind mittlerweile Standard. Eine geeignete Druckentlastung kann den Patienten überall angeboten werden. Die Wundversorgung ist standardisiert. Die Implementierung der ambulanten Pflegedienste kann allerdings noch verbessert werden. Im Flächenland Rheinland-Pfalz bestehen noch Defizite in der Versorgung immobiler Patienten. Dies könnte durch eine mobile Wundversorgung verbessert werden. Die soziale Unterstützung (Pflegegrad, Wohnungsanpassung, Mobilitätshilfen, Schwerbehinderung) muss noch verbessert werden. In einzelnen Kliniken existieren interdisziplinäre und z.T. sektorübergreifende Strukturen.

Die Anforderung an eine Überweisung an eine spezialisierte Einrichtung im DMP hat möglicherweise einen positiven Einfluss.


Autor:
Stephan Maxeiner M.A.
Internist
Diabetologe DDG
Ärztliches Qualitätsmanagement
An der Pforte 9
55545 Bosenheim
Text: S. Maxeiner, J. Tönges, D. Schulze, A. Zimmermann, L. Bergholz, S. Brunk-Loch.


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (6) Seite 26-31