Fällt die gute Versorgung von Menschen mit Diabetes dem Rotstift zum Opfer? Das war die zentrale Frage bei der Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) im März in Berlin.

Das DRG-System hat ursprünglich ein positives Anliegen verfolgt: die erbrachten Leistungen im Krankenhaus, nicht die Liegezeiten der Patienten zu honorieren. Doch seit dessen Einführung im Januar 2004 brachte es auch zahlreiche unangenehme Folgen mit sich. Weniger lukrative Bereiche, wie die sprechende Medizin, werden nicht mehr ausreichend honoriert. Für die Diabetologie ist das besonders bitter: Sie lebt vom Gespräch mit dem Patienten.

Über dieVersorgung von Diabetespatienten im Krankenhaus sprach Privatdozent Dr. Erhard Siegel, Past-Präsident der DDG und Chefarzt der Inneren Medizin im St. Josefskrankenhaus Heidelberg. In den Kliniken stehen derzeit die Abteilungen auf dem wirtschaftlichen Prüfstand, die einen hohen Anteil an sprechender Medizin aufweisen und damit als unrentabel gelten.

Mehrere internistische, diabetologische und endokrinologische Klinikabteilungen wurden schon geschlossen. Dringend benötigte Weiterbildungsmöglichkeiten für den medizinischen Nachwuchs entfallen somit, beklagte Siegel. Dabei sind gerade Menschen mit Diabetes eine stetig wachsende Patientengruppe, deren Versorgung auch künftig gesichert sein muss.

60 Millionen Diabetiker jährlich im Krankenhaus

Der Chefarzt berichtete aus dem Klinikalltag und von den Herausforderungen des demographischen Wandels. Im Jahr 2030 werden ein Drittel aller Menschen 4 bis 5 chronische Erkrankungen haben – von Herz-Kreislauf-Erkrankungen über Krebs bis Diabetes. 300 000 Personen erkranken jährlich in Deutschland neu an Diabetes. 2016 wurden 18,5 Millionen Menschen stationär betreut, etwa 60 Millionen von ihnen mit Haupt- und Nebendiagnose Diabetes.

"Wird der Diabetes schlecht behandelt, sind Verweildauer und Komplikationen im Krankenhaus signifikant erhöht gegenüber Patienten, die gut eingestellt bzw. behandelt sind", erklärte er. Diese Situation werde sich in den nächsten Jahren noch deutlich verschärfen – durch mehr multimorbide Patienten im Krankenhaus.

"Will man eine vernünftige stationäre Behandlung für diese komplex kranken Menschen erhalten, braucht man im Krankenhaus insbesondere gut ausgebildete Diabetologen, Endokrinologen und Internisten", so Siegel. Bedingt durch das heutige Vergütungssystem sei aber das Gegenteil der Fall. Er nannte ein Beispiel: Ein Patient mit diabetischem Fußsyndrom und einem behandlungsbedürftigem Zeh kommt ins Krankenhaus. Die Therapie, z.B. mit Verbänden und Antibiotika, kann bis zu 3 Wochen dauern.

"Wenn es gut läuft, erhält man für diesen Patienten etwa 3.000 Euro", sagte er. Wird diesem Diabetespatienten hingegen der betroffene Zeh amputiert, dauert die postoperative Phase lediglich 5 Tage und das Krankenhaus bekommt 6.000 Euro. "Die Verweildauer ist kürzer, der Patienten kann schneller entlassen und das Bett wieder belegt werden", führte der Diabetologe aus. Krankenhäuser seien inzwischen zu Unternehmen geworden – was sie auch sein müssten. "Das steht allerdings im Widerspruch zu einer guten, patientenorientierten Behandlung. Da kommen wir sehr häufig in Entscheidungskonflikte."

Gespräche und Schulung verursachen Kosten

Das persönliche Arzt-Patienten-Gespräch, aber auch die Schulung – wie die Aufklärung des Patienten aus dem Fallbeispiel, dass er eine Versorgung mit entsprechenden Schuhen benötigt – kosten Zeit und bringen der Geschäftsleitung einer Klinik erstmal einen Verlust ein. Siegel: "Ich bin ärztlicher Direktor. Diskussionen wie diese führe ich jede Woche mindestens einmal."

Diabetologie? Rechnet sich nicht!

Das bedeutet: Mit der Versorgung des internistischen, multimorbiden Patienten machen die Krankenhäuser nicht genügend Geld. Die Folge: Bettenabbau. "Dieser schleichende, aktuell stattfindende Rückbau internistischer Expertise läuft mit vermehrter Prävalenz multimorbider Patienten einher und führt künftig zu einem eklatanten Mangel. Das wird eine ganz schwierige Situation", warnte Siegel. "Wenn jetzt nicht gegengesteuert wird, kommt es zu schwerwiegenden Einschränkungen der Patientenversorgung im stationären Sektor."

DDG und IQTIG

Die DDG hat deshalb in den letzten Jahren Qualitätsstandards entwickelt – mit dem neuen Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG), das auch die Qualität im Krankenhaus beurteilt. Dieses Standards sollen vom IQTIG übernommen und bundesweit ausgerollt werden. "Damit könnte man den Prozess des Abbaus aufhalten", ist sich Siegel sicher.

Ohne Klinik kein Nachwuchs

Wer kümmert sich 2025 noch um Patienten mit Diabetes? Das fragte DDG-Präsident Prof. Dr. Baptist Gallwitz. Derzeit werden Diabetiker in Deutschland von rund 60.000 Hausärzten und etwa 1.100 Schwerpunktpraxen mit Diabetologen ambulant betreut. Die stationäre spezialisierte Behandlung erfolgt in rund 165 zertifizierten Einrichtungen in Krankenhäusern.

Schon jetzt zeigt sich ein Nachwuchsproblem: "Fast ein Drittel der Ärzte ist älter als 50 Jahre, fast ein Fünftel sogar älter als 60. Diese Entwicklung hängt nicht zuletzt mit der ständig sinkenden Zahl an klinischen Lehrstühlen für Diabetologie und Stoffwechsel an den deutschen Universitäten und Ausbildungsmöglichkeiten in Krankenhäusern zusammen", erklärte er.

Auch Gallwitz kritisierte, dass die Diabetologie als vermeintlich ambulantes Fach der "sprechenden Medizin" zunehmend in den Kliniken nicht mehr vertreten sei, sodass sie im Rahmen der Weiterbildung nicht mehr angemessen vermittelt werden kann. "Deshalb müssen die Bundesländer und der Bund dafür sorgen, dass die Zahl der diabetologischen Lehrstühle wieder steigt. Außerdem muss die Diabetologie als selbstständige Einheit an großen Versorgungskrankenhäusern erhalten bleiben und essenzieller Teil der Weiterbildung in der Inneren Medizin und in der Berufsausbildung anderer Gesundheitsberufe sein", betonte er.

AMNOG mit Folgen

Qualität und Patientenwohl sind jedoch nicht nur durch die schwierige Situation im stationären Bereich bedroht, sondern auch durch das AMNOG. Denn die im Rahmen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) bewerteten Therapiestrategien, die von wissenschaftlichen Fachgesellschaften als "medizinischer Standard" empfohlen werden, sind oftmals in Deutschland nicht mehr verfügbar.

Auf dieses Thema ging Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland, Vizepräsident und Mediensprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft, ein. "Die DDG unterstützt die sinnvolle Notwendigkeit und das Konzept des AMNOG zur Kostenbegrenzung grundsätzlich", betonte er. "Allerdings sehen wir in mehreren Punkten Verbesserungspotenzial". Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sollte strukturiert die wissenschaftlichen Fachgesellschaften bei der Definition des "medizinischen Standards" miteinbeziehen. Die Patientenvertreter müssten stimmberechtigt werden. Nur so könnten sie deutlicher wahrgenommen werden. Auch einen unabhängigen wissenschaftlichen Beirat, u.a. zur medizinischen Plausibilitätskontrolle der AMNOG-Ergebnisse, hält die DDG für sinnvoll.

Genauerer Test auf Gestationsdiabetes

Prof. Dr. Ute Schäfer-Graf, Leiterin des Berliner Diabeteszentrums für Schwangere am St. Joseph Krankenhaus Berlin-Tempelhof, ging auf den Glukosetoleranztest bei Risikoschwangerschaften ein. Damit ein Schwangerschafts- oder Gestationsdiabetes mellitus (GDM) nicht unerkannt bleibt, wird allen Schwangeren zwischen der 24. und 28. Woche ein entsprechender Blutzuckerbelastungstest angeboten.

Die Mutterschaftsrichtlinie sieht jedoch nur die einfachere von 2 Testvarianten vor. So könne ein GDM jedoch nicht zuverlässig erkannt werden, kritisiert die DDG. Bei Risikoschwangeren – etwa Frauen über 30 oder übergewichtige Frauen – soll direkt der aufwändigere, aber aussagekräftige, diagnostische Glukosetoleranztest eingesetzt werden.

Bei dem derzeit vorgeschriebenen Screening-Test trinkt die Schwangere eine Zuckerlösung mit 50 Gramm Glukose. Eine Stunde später wird der Blutzuckerwert gemessen; liegt dieser über 135 mg/dl (7,5 mmol/L), besteht der Verdacht auf einen Schwangerschaftsdiabetes. "Leider schließt aber auch ein niedrigerer Wert einen GDM nicht sicher aus", so Schäfer-Graf. .

Sobald sich Warnzeichen für einen Gestationsdiabetes zeigen – etwa vermehrtes Durstgefühl der Schwangeren, eine deutliche Zunahme der Fruchtwassermenge oder des kindlichen Bauchumfangs – sollte der Frauenarzt seiner Patientin daher unbedingt auch den aussagekräftigeren oralen Glukosetoleranztest anbieten.

DDG und Diabetologie
Derzeit werden in Deutschland Menschen mit Diabetes von circa 60 000 Hausärzten und etwa 1.100 Schwerpunktpraxen mit Diabetologen ambulant betreut. Die stationäre spezialisierte Betreuung wird in etwa 165 zertifizierten Einrichtungen in Krankenhäusern.vorgenommen. Die DDG fordert, dass die Zahl der diabetologischen Lehrstühle wieder steigt, statt weiter zu sinken.

Der 75-g-oGTT

Für diesen, kurz als 75-g-oGTT bezeichneten, Test muss die Schwangere morgens nüchtern in die Praxis kommen. Nachdem der Nüchtern-Blutzucker gemessen wurde, trinkt sie eine Lösung mit 75 Gramm Glukose. Nach einer sowie nach zwei Stunden wird erneut der Blutzuckerwert bestimmt. "Aus eine weltweiten Studie mit 25.000 Schwangeren wissen wir, dass bei fast jeder dritten Schwangeren mit GDM nur der Nüchtern-Blutzucker erhöht ist", so die Expertin. In diesen Fällen könne die Stoffwechselentgleisung nur mit dem 75-g-oGTT erkannt werden, nicht aber mit dem einfachen Screening – denn hier werde der Nüchtern-Blutzucker schließlich gar nicht gemessen.



Autorin: Angela Monecke
Redaktion Diabetes-Forum, Kirchheim-Verlag
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2017; 29 (4) Seite 6-8