Die von der Bundesregierung geplante Krankenhausreform legt den Finger in eine Wunde der Diabetologie: die stationäre Versorgung von Diabetespatienten. Sie sei schon jetzt oft kritisch, so DDG-Vize Prof. Andreas Fritsche. Wie kann die Reform helfen?

Die Messlatte lag hoch: Ganz so viel Übereinstimmung wie mit Bundesernährungsminister Cem Özdemir war nicht zu beobachten, als Anfang März der Grünen-Politiker Prof. Dr. med. Armin Grau auf der Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) zu Gast war. Aber er sprach eben auch nicht über die geplanten Einschränkungen bei der an Kinder gerichteten Werbung für ungesunde Lebensmittel, sondern über die Reform der Klinikfinanzierung. Bei der grundlegenden Reformbedürftigkeit des DRG-Systems der stationären Versorgung waren sich Grau und die anwesenden Diabetologen einig: "Benachteiligt waren in diesem Finanzierungssystem Fächer wie die Diabetologie, die wenig mit Operationen und Prozeduren zu tun haben, ja deren Aufgabe es gerade genau ist, Operationen und Prozeduren vermeiden", beschrieb der Bundestagsabgeordnete den Status quo wie etwas, das bereits überwunden ist. "Die ist sicherlich unterbezahlt gewesen in diesem System, und deswegen bedarf dieses System der deutlichen Reform", erklärteGrau. Die geplante Reform diene dazu, gegen den durch das bisherige DRG-System bedingte Hamsterrad-Effekt anzugehen, "da muss ganz klar ein Fach wie die Diabetologie auskömmlich finanziert werden", bestätigte das Mitglied im Bundestags-Gesundheitsausschuss.

Austausch nötig

Grau begrüßte in dieser Phase der Reform ausdrücklich den "intensiven Austausch" mit Fachgesellschaften und machte klar, dass zum Beispiel, was die Ausgestaltung der in der Reform vorgesehenen Leistungsbereiche angeht, die Fachgesellschaften intensiv mitarbeiten müssten, "das kann keine Regierungskommission", sagte er deutlich. Im Vorschlag der besagten Reformkommission sei der Leistungsbereich Diabetologie nicht weiter unterteilt. Sie habe 128 Leistungsgruppen vorgeschlagen, in NRW gehe man im Krankenhausplan 2022 außerhalb der Psychiatrie von 60 Leistungsgruppen aus. "Wir wollen nachher auch Bezahlung an Leistungsbereiche andocken, da muss man dann wahrscheinlich doch ein bisschen feiner granular arbeiten und wird nicht mit 60 alleine hinkommen", gab Grau eine Einschätzung ab.

Diabetes als Stufenfrage

Prof. Dr. med. Andreas Fritsche äußerte auf der Pressekonferenz für die Fachgesellschaft Bedenken, dass Diabetes bei der Reform in die unterste Versorgungsstufe rutscht und nicht mehr in den Krankenhäusern der zweiten und dritten Stufe behandelt wird. Er plädierte angesichts der großen Zahl an Patienten mit Diabetes in den Krankenhäusern dafür, dass es auf allen Stufen eine diabetologische Versorgung geben muss. Prinzipiell stimmte auch Grau da zu: "Diabetologische Fachexpertise muss überall hingebracht werden – bei einer Volkskrankheit von 8,7 Millionen ist das dringend notwendig!" Ebenso dringend gebraucht werde eine Kooperation der Krankenhäuser über die Level hinweg. "Das Ziel muss sein, eine gemeinsame Versorgung der Krankenhäuser der jeweiligen Bevölkerung zu gewährleisten. Wir brauchen einen Wettbewerb nicht mehr um Fallzahlen und Höhe der Einnahmen, sondern um Qualität. Und da wird es auch darum gehen, Ausbildungsverbünde zu schaffen. Da muss diabetologische Fachexpertise auf allen Leveln zur Verfügung stehen. Wo es offene, nicht klärbare Fragen gibt, ist zum Beispiel moderne Digitalisierung, telemedizinische Vernetzung auch ein wichtiges Thema", hob Grau hervor.

Zu viele stationäre Diabetespatienten?

Leise Kritik schwang mit, als Fritsche erwähnte, dass die 17-köpfige Kommission, die die Krankenhausreform erarbeitet hat, hauptsächlich mit Gesundheitsökonomen und Juristen besetzt gewesen sei. Laut Fritsche gehe die Kommission davon aus, dass in Deutschland zu viele Diabetespatienten stationär behandelt werden, die angeblich sehr gut ambulant versorgt werden könnten. In dem Zusammenhang wies der Tübinger darauf hin, dass zwischen der Haupt- und der Nebendiagnose Diabetes zu unterscheiden sei; Menschen mit Diabetes als Komorbidität hätten im Krankenhaus eine längere Liegedauer, viel mehr Komplikationen und würden häufiger sterben, insbesondere vergleichsweise jüngere Patienten, berichtete er. Diabetespatienten, die wegen ihres Diabetes im Krankenhaus liegen, seien schwer krank, erklärte Fritsche. "Dieses Bild vom leicht kranken Diabetespatienten ist im Krankenhaus völlig falsch", betonte der Kliniker. Grau wandte ein, dass Deutschland auch in den Diabetes-Hauptdiagnosen in Kliniken im OECD-Vergleich weit oben stehe.

Ganz generell sieht der Politiker im stationären Bereich Änderungsbedarf: "Wir sind weit weg von dem Ideal eines Krankenhauses als Kompetenzzentrum und nicht allein nur als bettenhaltende Einrichtung", schilderte er die Lage in Deutschland. In vielen Ländern liege der Anteil der Patienten, die in einem Bett sind, bei deutlich weniger als der Hälfte – hierzulande seien es weit mehr als 90 Prozent. In dem Zusammenhang plädierte Grau auch für mehr Tageskliniken und kritisierte, dass diese bisher oft nicht finanzierbar waren. "Das ist nicht patientengerecht!", so der ehemalige Direktor der Neurologischen Klinik im Klinikum Ludwigshafen.

Dr. med. Tobias Wiesner bezeichnete auf der Pressekonferenz das Prinzip "ambulant vor stationär" als gelebten Alltag in der Diabetologie. Der in Leipzig niedergelassene Diabetologe betonte, dass die fachliche Expertise nicht nur der Arzt sei, sondern auch die Beratungsberufe – "und diese müssen auf allen drei Ebenen der Reform vorgehalten werden", forderte das DDG-Vorstandsmitglied. Die Reform biete aus Sicht der Niedergelassenen die Möglichkeit, sektorübergreifende Planung auf den Weg zu bringen. Die Bundesregierung hat laut Grau in diesem Jahr viele Gesetze im Gesundheitsbereich vor, darunter zwei Versorgungsgesetze. Im ersten werde der Gedanke der Gesundheitsregion kommen. Grau schilderte dies als umfassenderen Ansatz verglichen mit den bisherigen einzelnen Verträgen der integrierten Versorgung. "Wir müssen umfassend regional denken und für Vertragsmöglichkeiten sorgen, die in der Region ein gemeinsames Handeln der verschiedenen Leistungserbringer ermöglicht."

Eine sektorenübergreifende Versorgungsplanung werde nicht im ersten Versorgungsgesetz enthalten sein, "aber hoffentlich auch bald kommen", so Grau. "Das ist ein ganz, ganz wichtiges Thema!", was im Prinzip auch im Koalitionsvertrag stehe. "Ich wünsche mir sehr, dass das auch noch in ’23 gelingt", gab er zu Protokoll.

Man brauche auch eine Qualitätssicherung in der stationären Versorgung, die etwa die Behandlung von Diabetespatienten mit einbezieht, und zwar auf allen Leveln von der untersten bis zur Maximalversorgung.

Weiterbildung im Verbund der Sektoren

Wiesner brachte auch die Idee eines Weiterbildungsverbunds in die Diskussion ein, entsprechende Strukturen müsse man als Fachgesellschaft und als Berufsverband mitgestalten. Die bisherige strikte Trennung der Sektoren führe auch zur strikten Trennung der Finanzen. "Ich habe mir schon oft Gedanken gemacht, wie ich mit Ausbildungsassistenten aus den Kliniken zusammenarbeiten könnte, aber es scheitert immer wieder am Thema Finanzen." Denn dass sich der ambulante Sektor vorteilhaft in die Versorgung einbringt, gehe nur, wenn in diesem Bereich auch Fachkräfte vorhanden sind, erinnerte er.

Fritsche malte die Folgen der derzeitigen Finanzierung der stationären Diabetologie düster: "Auch jetzt haben wir schon Probleme, dass Diabetespatienten gut versorgt werden", von einer kritischen Situation sprach er. Der Vizepräsident der DDG gab zu: "Ich bin besorgt, weil ich jeden Tag von Fehlbehandlungen im Krankenhaus höre." Die Notwendigkeit von diabetologischer Kompetenz in Kliniken untermauerte Fritsche mit Verweis auf Umfrageergebnisse unter Menschen mit Typ-1-Diabetes, die sehr schlechte Erfahrungen in Kliniken dokumentieren. Über 80 Prozent der Nutzer von moderner Diabetestechnik würden berichten, dass sie im Krankenhaus ohne Ansprechpartner dafür bleiben. Patienten mit Typ-1-Diabetes werde Insulin vor Koloskopien oder Herzkatheteruntersuchungen vorenthalten, da die Betroffenen ja nüchtern bleiben, "da wird also Typ-1- und Typ-2-Diabetes verwechselt!" Auch wenn Patienten mit Diabetes bewusstlos in die Notaufnahme kommen, käme es immer wieder zu Durcheinander, "ein Mensch mit Unterzuckerung bekommt noch Insulin zusätzlich, ein Mensch mit Überzuckerung bekommt noch Glukose", schilderte Fritsche. "Solche Fälle kommen immer wieder vor, weil Ärzte mit Diabetes nicht mehr gut zurechtkommen", mahnte er. "Auch eine Hüftoperation kann für einen Diabetespatienten extrem gefährlich werden, weil die Chirurgen gut die Hüfte operieren können, aber mit dem Diabetes überhaupt nichts am Hut haben", so Fritsche.

Fünf-Punkte-Plan der DDG

Die DDG hat einen Fünf-Punkte-Plan zur Krankenhausreform vorgelegt. Einer der Punkte ist laut Fritsche die Forderung, "Diabetes-Units" in Krankenhäusern zu etablieren, besonders an denen der Maximalversorgung. Das meine, dass ein Behandlungsteam aus Diabetologen und Diabetesberatern zusammen konsiliarisch Patienten behandelt. Aber weil hier von drei Millionen Patienten jährlich die Rede ist, betonte der Tübinger Diabetologe, dass eine qualifizierte und stufengerechte Diabetesbehandlung auf allen Ebenen nötig sei. Für Häuser ohne eine solche Diabetes-Unit brachte er Abschläge bei der Vergütung ins Gespräch. "Wir brauchen die Expertise der Fachgesellschaften, um diese Strukturvorgaben zu definieren, und da wird es eben auch die Aufgabe sein, für eine Struktur wie die Diabetes-Unit zu plädieren", schrieb Grau der DDG ins Pflichtenheft. Der gelernte Neurologe erläuterte, dass die unterste Ebene der Kliniken in der Reform noch einmal unterteilt ist: Level In seien Krankenhäuser der untersten Notfallstufe, Level-Ii-Krankenhäuser können diese Notfallversorgung nicht bieten und sollen geöffnet werden auch für eine enge Zusammenarbeit mit niedergelassenen Fachärzten und Hausärzten. Hier komme die Diabetologie ganz stark mit ins Spiel, "da kann man sich auch von niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen den Sachverstand hereinholen ins Krankenhaus", erklärte er. Wiesner zeigte sich dankbar für dieses Beispiel der gemeinsamen Versorgung, "ich glaube, die Reform der Krankenhausversorgung wird auch und insbesondere den ambulanten Sektor deutlich beeinflussen", prognostizierte er.

Wie konkret die Diabetologie auskömmlicher werden könnte, bezeichnete Grau als komplexe Frage. Er verwies darauf, dass die Reform einen allmählichen Umbau der Krankenhauslandschaft anstoßen werde. "Dazu wird es natürlich auch mehr Geld brauchen, das ist, wenn man so will, der weiße Elefant im Raum", gestand er zu. Zum Thema der Besserstellung der "sprechenden Medizin" musste er einschränken, dass auch die nun geplanten Vorhaltekostenbezahlung sich anteilig auf die DRG-Abrechnungen der letzten drei Jahre beziehe, die bisher benachteiligte Diabetologie wäre so also auch nach der geplanten Reform noch im Hintertreffen. "Das ist über das jetzige Programm hinaus eine wichtige Aufgabe, sich auch darüber Gedanken zu machen", kündigte Grau an.


Autor:
Marcus Sefrin
Chefredaktion DiabetesNews
Schmiedestraße 54
21335 Lüneburg


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (4) Seite 6-8