Bei der Insulininjektion geht es für Patienten darum, dass sie so schmerzarm wie möglich ist. Die Injektionsgewohnheiten spielen dabei eine Rolle. Die Ergebnisse einer Umfrage zur Insulininjektion fasst Dr. Gerhard-W. Schmeisl zusammen.

Der ersten Auflage des VDBD-Leitfadens „Injektion bei Diabetes mellitus“ gingen jahrelange regelmäßige Treffen auf internationaler und europäischer Ebene insbesondere von Ärzten aber auch von Diabetesberaterinnen und Betroffenen voraus, die sich alle mit den Problemen bei der Insulininjektion beschäftigten (z. B. T.I.T.A.N.- Workshop Athen 2009 BD).

Leitfaden vom VDBD

Der erstmals 2011 veröffentlichte Leitfaden des VDBD, der so mit intensiver Unterstützung der Firma BD zustande kam, hat erstmals nach intensiven langjährigen Vorarbeiten Leitlinien und Empfehlungen vorgestellt, die eine sichere und effektive Insulininjektion ermöglichen. Bis dahin wurden die Probleme und Fallstricke bei der Insulininjektion weltweit weitgehend unterschätzt und oft sträflich vernachlässigt.

Das war zum Teil verursacht durch unzureichende Kenntnisse über die lokale Anatomie der Haut (A. Frid), insbesondere des subkutanen Fettgewebes, aber auch der Pathophysiologie der Insulinwirkung und Pathologie der Haut sowie der Vorgänge bei der Injektion und Wirkung des Insulins selbst.

Fehler bei der Injektion, die mit Lipohypertrophien und auch sogenannten „unerklärlichen Glukoseschwankungen“ verbunden waren, wurden in einer Studie, die ich selbst mit Evelyn Dobrinski betreuen durfte und die von Becton Dickenson unterstützt wurde, in der Zeitschrift Diabetes, Stoffwechsel  & Herz 2009 veröffentlicht.

Die dort genannten Probleme treten bis heute sowohl bei Typ-1- als auch bei Typ-2-Diabetikern auf, obwohl in den letzten Jahren zahlreiche Fortschritte bezüglich einer effektiveren und sicheren Insulininjektion registriert werden konnten.

Da es bisher trotz zahlreicher Versuche keine echten alternativen Applikationsformen des Insulins gibt, ist das ständige Arbeiten an einer besseren, sichereren und effektiveren, für den Patienten auch schmerzärmeren und somit praktikableren Insulininjektion stete Verpflichtung. Daran arbeiten bis heute mehrere Firmen sehr engagiert zum Wohle der betroffenen Patienten.

Co-Inzidenzen zwischen Injektionsgewohnheiten, Lipohypertrophien und Glukoseschwankungen

Die bereits angesprochene Studie, veröffentlicht in Diabetes, Stoffwechsel & Herz 2009 an 500 insulinpflichtigen Diabetikern mittels Patientenfragebogen und Auswertung, Bewertung der Injektionstechnik sowie der Injektionsstellen durch Diabetesberaterinnen hatte das Ziel Injektionsgewohnheiten der insulinpflichtigen Diabetiker zu erheben und Co-Inzidenzen zwischen Injektionsgewohnheiten und dem Auftreten von Komplikationen wie Lipohypertrophien und/oder Glukoseschwankungen aufzuzeigen.

Im Ergebnis fand sich: Die Kanülen wurden laut Patientenangaben für die Injektion von Kurzzeit-Insulin im Durchschnitt 4,4mal verwendet, für die Injektion des Langzeitinsulins 3,2mal.

Das Vorhandensein von Lipohypertrophien in den letzten 12 Monaten bestätigten 35 Prozent der Teilnehmer. Die objektive Begutachtung durch die Diabetesberaterin ergab einen höheren Prozentsatz von sogar 41,2 Prozent. Das Auftreten „unerklärlicher Blutzuckerschwankungen“ innerhalb der letzten 4 Wochen gaben 42 Prozent der Patienten an, wobei Typ-1-Diabetiker häufiger betroffen waren als Typ-2-Diabetiker (45,3 Prozent versus 38 Prozent).

Die vorliegenden Daten zeigten eindeutig, dass unerklärliche Blutglukoseschwankungen mit Lipohypertrophien signifikant häufiger auftraten als bei Patienten ohne Lipohypertrophien. Eine potentielle Erklärung für dieses Phänomen war die veränderte Insulinabsorption bei Injektion in Lipohypertrophien.

Bezüglich der aktuellen Empfehlungen zur Insulininjektion darf ich auf den mehrfach angesprochenen VDBD-Leitfaden hinweisen.

Aktuelle Patientenbefragung

Aktuell hat die Firma Ypsomed potentielle Anwender einer neuen Pen-Nadel „mylife Clickfine®“ mit „DiamondTip“ mittels eines von Ypsomed entwickelten Fragebogens im Rahmen einer Umfrage durch das ifak-Institut befragt. Ziel der Befragung war es zu evaluieren welche Erfahrungen die Anwender mit der neuen Pen-Nadel gemacht hatten, um unter anderem Hinweise zur Optimierung der Nadel selbst zu erlangen und auch um neue Kommunikationsmaterialien zu generieren – hatte sich in den letzten Jahren im Verhalten der Betroffenen etwas geändert?! Die Befragungen wurden in Deutschland in der Zeit von 6/2014 – 6/2015 durchgeführt.

Allgemeine Angaben zur Befragung

Insgesamt wurden 150 Personen befragt, davon 53 Prozent Frauen und 47 Prozent Männer. 61 Prozent der Befragten waren 50 Jahre und älter. 32 Prozent waren 30 – 49 Jahre alt und nur 7 Prozent 18 – 29 Jahre. 60 Prozent gehörten dem Typ-1-Diabetes an, 33 Prozent waren Typ-2-Diabetiker. Die Diagnose Diabetes wurde im Schnitt vor 22 Jahren gestellt und die Zeit der Insulininjektion betrug im Schnitt 20 Jahre, wobei 76 Prozent der Betroffenen hier bis 6 Injektionen pro Tag und 23 Prozent mehr als 6 Injektionen pro Tag durchführten.

Die am häufigsten verwendete Körperstelle für die Injektionen war der Bauch mit 60 Prozent, der Oberschenkel 31 Prozent, die Oberarme und das Gesäß wurden so gut wie nie verwendet.

Mehrheit wechselt die Nadeln nicht

Die Mehrheit der Anwender wechselte die Pen-Nadel nicht nach jeder Injektion (59 Prozent). Die befragten Test-Teilnehmer (88 Prozent) gaben an, dass sie dieselbe Pen-Nadel durchschnittlich 5 – 6mal verwenden würden, die Hälfte der Teilnehmer benutzte sie 3  –  4mal. Nach Angaben der Teilnehmer wechselten diese bei jeder Injektion zwar die Einstichstelle (93 Prozent), es war jedoch nicht klar, ob dabei wirklich komplett neue Spritzstellen verwendet wurden.

Die Befragten selbst konnten in der Mehrheit keine Veränderung des Fettgewebes an der Einstichstelle feststellen (62 Prozent), wobei nicht befragt wurde, ob dies nur ein Ergebnis auf „Sicht“ war oder ob auch die entsprechenden Stellen ertastet wurden. Die Patienten wurden ebenfalls befragt zu der Art der bisher verwendeten Nadeln: Danach wurden bisher von 47 Prozent BD Microfine-Pen-Nadeln verwendet, von 29 Prozent NovoFine-Nadeln und von 18 Prozent mylife Clickfine.

Die Nadellänge, die bei fast 2/3 der Befragten am häufigsten zum Einsatz kam, war eine 8 mm-Nadel, (65 Prozent), wobei mit großem Abstand die 6 mm-Nadel folgte (28 Prozent).

Angaben zur neuen Nadel

Auch in der Testphase mit der neuen Nadel mylife Clickfine mit DiamondTip kam an allererster Stelle eine Nadellänge von 8 mm zum Einsatz (59 Prozent), an 2. Stelle wurde die 6-mm-Nadel verwendet (31%) und erst an 3. Stelle die 4-mm-Nadel (10 Prozent). Interessant war, dass die Teilnehmer den neuen 6-fach-Schliff der mylife Clickfine-Nadel mit DiamondTip zwar eine schmerzärmere Injektion zusprachen, was jedoch in der Wahrnehmung der Betroffenen selbst nicht dazu führte, dass sie der Auffassung waren, dass sich ihre Diabetestherapie dadurch deutlich verbesserte.

Die Betroffenen sahen eher praktische Vorteile im Vordergrund wie vor allem die universale Verwendbarkeit (Nadel passt auf jeden gängigen Insulin-Pen) (83 Prozent) und vor allem in der schmerzärmeren Injektion dank „Dünnwandtechnologie“, sowie in der Hautfreundlichkeit. Insgesamt waren jedoch mehr als die Hälfte der Befragten der Meinung, dass die technischen Neuerungen dieser neuen Pen-Nadel eine positive Auswirkung auf ihre Diabetestherapie haben könnte. Für etwa 23 Prozent der Teilnehmer machte es keinen Unterschied.

Obwohl sich in den letzten Jahren die Injektionsgewohnheiten und insbesondere die Verwendung von längeren Nadeln wie 12 oder 10-mm-Nadeln zugunsten von 8, 6, 5 oder 4mm-Nadeln geändert haben, scheint es doch nach wie vor eine große Zahl von Betroffenen zu geben, denen nicht klar ist, dass es nicht egal ist an welcher Stelle des Körpers in die Haut injiziert wird, wie lang die Nadel ist und dass die Nadeln Einmalartikel sind.

„High-tech-Produkte“ sind gefragt

Die neueren sehr kurzen Nadeln stellen „High-tech-Produkte“ dar, die an der Spitze einen Mehrfachschliff und auch eine Beschichtung haben, die bereits nach der ersten Injektion „abgeschilfert“ ist. So kann es bei jeder weiteren Injektion mit derselben Nadel zu Verletzungen kommen. Dadurch sind auch die schon früher festgestellten „unerklärlichen Blutzuckerschwankungen“ und Lipohypertrophien zu erklären.

Fazit: Sanftere Injektion wird positiv bewertet

Wie die Befragung zeigt, wird zwar der technische Aufwand bezüglich der Nadelherstellung und auch das Ergebnis einer sanfteren Insulininjektion von Patienten positiv bewertet, aber gerade der Nutzen bezüglich einer optimalen Blutzuckereinstellung mit weniger Blutzuckerschwankungen und den daraus resultierenden langfristigen Auswirkungen wird nicht gesehen.

Daraus resultiert meiner Meinung dringend die Notwendigkeit nach einer stärkeren Vermittlung des Wissens um die Optimierung der Insulininjektion mit dem Ziel einer besseren Diabetestherapie und der langfristigen Reduzierung von Folgeschäden.

Die Notwendigkeit einer verbesserten und gleichmäßigeren Blutzuckereinstellung durch eine weiter optimierte Diabetestherapie sollte daher stärker kommuniziert werden.



Autor: Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist/Angiologie/Diabetologie/Sozialmedizin
Chefarzt Deegenbergklinik, Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen
Tel.: 0971/ 821-0, Fax: 0971/ 821- 84 84, E-Mail: schmeisl@deegenberg.de

Chefarzt Diabetologie Klinik Saale (DRV-Bund), Pfaffstraße 10, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 0971/85-01

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2015; 27 (11) Seite 40-42