Eine Diabetesprävention – speziell des Typ-2-Diabetes – ist durch regelmäßige sportliche Aktivitäten möglich. Und zwar: je intensiver, desto effektiver!

In einer aktuellen Studie (Strain T et al, Diabetes Care 23) aus England mit 90 096 Frauen und Männern (2006 bis 2010, UK BioBank Studie) konnte anhand von dokumentierten Aktivitätsdaten –Akzellerometer am Handgelenk – nach einer validierten Methode der Energieverbrauch/Energieumsatz pro Tag bei körperlichen Aktivitäten gemessen werden. Danach erfolgte die Beobachtung bis Ende 2020, wie viele von den Beobachteten einen Typ-2-Diabetes entwickelten. Die Beobachteten waren im Schnitt 62 Jahre alt, 57% waren Frauen: Es fand sich ein fast umgekehrt linearer Zusammenhang zwischen dem Energieumsatz bei der körperlichen Aktivität und der Häufigkeit einer neuen Diabetes-Typ-2-Erkrankung! Bei einem fixen Energieumsatz nahm das Risiko für eine Typ-2-Diabetes -Erkrankung mit der Intensität der körperlichen Aktivität ab! Ein zusätzlicher 20 minütiger schneller Spaziergang und dem damit verbundenen zusätzlichen Energieverbrauch senkte das Diabetesrisiko um 19%, bei Menschen mit erhöhtem BMI nur um etwa 12%!

Inzwischen zeigt er auch eine Metaanalyse (60 Studien), dass die Abschätzung des Energieverbrauchs durch am Handgelenk oder am Arm getragene Fitness Armbänder (Aktivitätsmonitore) je nach Aktivität relativ gut funktioniert (Aune D et al European J. Epidemiol 2015). Durch eine zusätzliche Messung der Herzfrequenz konnte die Abschätzung des Energieverbrauchs noch verbessert werden (O‘Driscoll R et al, Br. J. Sports Med 2020). Das Risiko für Typ-2-Diabetes hing auch davon ab, zu welcher Tageszeit trainiert wurde – effektiver waren körperliche Aktivitäten morgens und nachmittags – weniger abends!

Entgegen der zuvor beschriebenen Fakten haben während der Corona Pandemie (Covid-19-Infektion) laut Daten einer globalen Befragung körperliche Aktivitäten um etwa 20 % abgenommen und gleichzeitig hat die "Sitzzeit" um etwa 28 % zugenommen! Internationale Smartphone-Daten belegen dies. Durch das Schließen vieler Sportstudios, Schwimmbäder und anderer Freizeitaktivität -Stätten kam der Lockdown gleichzeitig einem Bewegungs Knock-Down gleich (Behrens et al Deutscher Gesundheitsbericht 2022).

Die mangelnde Bewegung hat tatsächlich insbesondere auch bei Menschen mit schon bekanntem Diabetes – zu einer Abnahme der Herz-Kreislauf-Fitness mit Verschlechterung auch der diabetischen Stoffwechsellage – sowohl bei Menschen mit Typ-2-Diabetes als auch bei Menschen mit Typ-1-Diabetes geführt. Eine Schwächung unseres Immunsystems ist ebenfalls durch die verminderten körperlichen Aktivitäten zusätzlich erfolgt. Nach dem Immunologen David C. Niemand ist die Corona-Pandemie ein Alarmzeichen für eine alternde, untrainierte, übergewichtige und Immungeschwächte Gesellschaft!

Bewegung als eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen neben allgemeinen hygienischen Maßnahmen wie Impfen etc. erlangt so immer mehr an Bedeutung – anhand von Studien konnte gezeigt werden, dass regelmäßig aktive Menschen weniger stark an den Folgen einer Covid-19-Infektion litten und auch weniger häufiger einer Krankenhausbehandlung bedurften – zu viel Sport zu intensiver Sport ohne ausreichende Pausen kann allerdings auch unserer Immunabwehr schaden. Auch hier gilt: Die Dosis macht den Unterschied!

Allgemeine Hinweise
  • Insulin wirkt bei Muskelarbeit stärker, deshalb verringert sich der Insulinbedarf.
  • Durch Sport (je länger, desto mehr!) werden Glukosespeicher in Muskel und Leber häufig entleert.
  • Ist kein Insulin mehr im Blut, kann der arbeitende Muskel nur Fett verbrennen, daraus entsteht Azeton, und es besteht die Gefahr einer Keto-Azidose.

Obwohl eigentlich klar ist, dass Bewegung Medizin ist und eine Art "Polypill" darstellt (Prof. Christine Joisten, Deutsche Sporthochschule Köln), wird das gewünschte Ziel bzw. die Empfehlung von 150-300 Minuten moderater Bewegung pro Woche in der Praxis meist weit verfehlt. Laut dieser Empfehlungen und gestützt durch wissenschaftliche Untersuchungen, müssen "Bewegungseinheiten", z.B. 30-60 Minuten 3-5x/Woche eben nicht "am Stück" durchgeführt werden – jeder Schritt zählt: Auch diese "Aktivitätssnacks" können nach einer Studie (Britische Diabetesorganisation) den Blutzucker effektiv senken. Danach können auch kurze Sitzunterbrechungen z.B. bei der Arbeit ("Activity-snacking") Menschen mit Typ-1-Diabetes helfen, ihren Blutzucker im normalen Bereich zu halten (www.diabetologie.online.de). Es muss nicht immer gleich von Sport gesprochen werden – regelmäßige Bewegung reicht oft! In der zurückliegenden Corona-Pandemie hat der Umfang der täglichen Bewegung laut Analysen natürlich weiter abgenommen. Wer sich nicht regelmäßig "aufraffte" etwas Sport oder Bewegung in sein Leben einzubauen, wurde selbst immer träger, meist verbunden mit Übergewicht mit den daraus resultierenden Problemen wie Herzinsuffizienz, Gelenkerkrankungen, Wirbelsäulenerkrankungen und einem gesteigerten Auftreten von Herz-Kreislauferkrankungen.

Zur Erinnerung: Nur eine Woche Bettruhe z.B. bei Krankheit führt dazu, dass unser Körper etwa 15% Muskelmasse abbaut. Genau das gilt es aber zu vermeiden: Regelmäßiger Sport, auch Schnellkrafttraining, auch im Alter, sollen dazu führen, dass eher Muskeln aufgebaut werden. Denn nur der Muskel verbrennt Fett – nur so ist langfristig eine Gewichtsreduktion, eine Verbesserung von Wirbelsäulen- oder Gelenkproblemen, der Osteoporose und eine bessere Blutzuckereinstellung möglich.

Sportphysiologische Veränderungen beim Sport auch ohne Diabetes

Die Leber eines gesunden Menschen produziert sowohl Tags als auch nachts (in der Nacht etwas weniger) etwa 10 g Glukose pro Stunde, wovon etwa 6 g alleine dem Gehirn zur Verfügung gestellt werden müssen. Der Rest, also etwa 4 g/Std., steht der Muskulatur aber auch den anderen Geweben zur Verfügung. In dem Augenblick wo wir körperlich aktiv werden, braucht unsere Muskulatur jedoch mehr als 4 g Glukose pro Stunde, die weitestgehend aus der Leber kommt (etwas auch aus der Niere!). In dieser Situation ist die Leber in der Lage durch Glykogenolyse und auch durch Gluconeogenese den Blutzuckerspiegel aufrecht zu erhalten.

Das Absinken des Insulinspiegels im Blut ist das Signal an die Leber mehr Glukose freizusetzen. Steht genügend Nahrungs-Glukose von außen zur Verfügung, steigt der Insulinspiegel (Pfortaderblut) durch Produktion von Insulin aus dem Pankreas wieder an, steht jedoch keine Glukose in Form von Essen zur Verfügung, führt der sinkende Insulinspiegel dazu, dass die Leber vermehrt Glukose ausschüttet, und somit der Blutzucker wieder ansteigt. Dies geschieht bei einem stoffwechselgesunden automatisch: Das heißt sobald bei körperlicher Betätigung durch die Muskelaktivität mehr Zucker benötigt wird, sinkt der Blutzuckerspiegel. Gleichzeitig führen die "Stresshormone" (Katecholamine, Cortisol) und auch Glukagon dazu, dass der Blutzucker nicht unkontrolliert abfällt. Fehlt Glukagon z.B. nach einer Pankreas-Tumor-OP oder bei einer chronischen Pankreatitis mit Zelluntergang der Alphazellen (Glukagon) ist eine Gegenregulations-Reaktion bei einer Hypoglykämie quasi aufgehoben – in diesen Fällen kann eine Hypoglykämie auch tödlich sein. Diese Situation mit Blockade der Gegenregulation durch eine fehlende "Glukagonwirkung" haben wir ansonsten nur bei starkem "Alkoholgenuss". Deshalb immer die Warnungen vor schweren Hypo’s im Zusammenhang mit übermäßigem Genuss von Alkohol!

Ursachen für eine Hypoglykämie beim Sport
  • Vor dem Sport wurden zu viele Zusatz-BE gegessen
  • Die zuletzt injizierte Insulindosis war zu gering: Ist der Blutzucker/Gewebezucker vor dem Sport zu hoch, so kann dies also einen Insulinmangel anzeigen. Die Leber schüttet dann vermehrt Zucker aus, dieser kann aber nicht verarbeitet werden (=Insulinmangel!)
  • Durch eine Hypoglykämie beim Sport kann es zur Gegenregulation mit Anstieg des Blutzuckers kommen
  • Bei extremer sportlicher Betätigung mit Stress kann es durch Ausschüttung von Stress-Hormonen (Adrenalin, Cortisol) zum Blutzuckeranstieg kommen.

Welche positiven Effekte hat der Sport bei Diabetes?

Durch regelmäßige körperliche Aktivität kommt es zu vermehrtem Energieverbrauch, der je nach Belastung und Dauer das 8-10fache des Ruhebedarfs erreichen kann. So kann die bei Menschen mit Typ-2-Diabetes, aber auch bei übergewichtigen Menschen mit Typ-1-Diabetes häufig vorliegende Insulinresistenz durch einen verstärkten Glukosetransport aus dem Blut in den Muskel reduziert und so gleichzeitig der Glukosespiegel im Blut gesenkt werden. Der durch die Muskelarbeit verursachte Blutzuckerabfall wird in der Regel durch die Steigerung der Glukosefreisetzung aus der Leber wieder ausgeglichen (Wiederauffüll-Effekt mit der Gefahr der Hypoglykämie). Dies muss bei Sport immer beachtet werden. Sport wirkt nach! (Insulindosis bzw. auch Tabletten reduzieren bzw. KH essen!). In Ruhe und bei längerer körperlicher Aktivität wird vom Muskel dagegen die Energie durch die Verwertung freier Fettsäuren gewonnen.

Dieser positive Effekt der körperlichen Aktivität auf den Glukosetransport in den Muskel, hält jedoch nach Wiederauffüllen nach Ausdauertraining nur für einige Tage an. Deshalb ist es in der Regel erforderlich, 3x/Woche mäßig zu trainieren. Am besten bewährt hat sich ein mäßiges Ausdauertraining, das der etwa 50-60%igen maximalen Herzfrequenz bei Maximaltraining entspricht.

Unterschiedliche Belastungen, z.B. beim Intervalltraining mit Intensitäten zwischen 60 % und 80 % der maximalen Herzfrequenz haben dabei die größten Effekte.

Klinische und statistische Auswertungen zeigen eindeutig, Menschen die mäßig aber regelmäßig etwas trainieren, haben weniger häufig und auch später Herz-Kreislauferkrankungen (Herzinfarkt und Schlaganfall), außerdem sinkt ihr Risiko für eine Alzheimer-Demenz – das Risiko wird in einigen Studien sogar halbiert. Auch mikrovaskuläre Schäden an Netzhaut, Nieren und Nerven können positiv beeinflusst werden.

Ein weiterer Effekt von regelmäßigem Herz-Kreislauftraining ist:

  • Rückbildung einer Steatose (→ Verbesserung der Blutzucker-Einstellung)
  • Senkung des LDL-Cholesterin (→ Gefäßschäden!), leichte Erhöhung des HDL
  • Senkung des Blutdrucks → bessere Einstellung der Hypertonie durch Herz-Nachlast-Senkung!
  • Reduktion der Insulinresistenz – dadurch wirkt das Insulin besser und die Betazellen werden geschont. Zucker, Fette und Eiweiß werden besser verstoffwechselt und der Blutzucker sinkt!
  • Herzentlastung durch langsamen Muskelaufbau- und Fettabbau, Senkung der Herzfrequenz (und damit auch des Sauerstoffverbrauch!), Steigerung der Durchblutung der Blutgefäße – sie reagieren wieder adäquat (= werden weitgestellt!) und können bei Bedarf wieder mehr Blut (= Sauerstoff) befördern (z. B. in den Coronarien und den Beinarterien)
  • Stetige Abnahme des Risikos durch Übergewicht für bestimmte Krebsarten (Mamma-Ca, Darmkrebs etc.) und auch chronische Lebererkrankungen (z. B. nicht-alkoholische Fettleber-Hepatitis).

Wenn man neu mit regelmäßigem körperlichem Training beginnt, z.B. im kommenden Frühjahr, sollte man einige grundsätzliche Dinge beachten (s. Kasten).

Karvonen-Formel
Formel zur Bestimmung der "optimalen Herzfrequenz" bei verschiedenen Formen des Ausdauertrainings: Trainingsfrequenz = Maximale Herzfrequenz [Männer 220/ Frauen 226] – Ruhepuls multipliziert mit Faktor 0,6 (bei Intensivtraining Faktor 0,75) + Ruhepuls

Bestes Ausdauertraining beginnt bei etwa 65-70% des Maximalpulses – dies ist auch die "Fettverbrennungszone", bei der die Fettverbrennung beginnt! (65-70% = Faktor 0,65-0,70)

Je nach Belastungszone ist der Faktor unterschiedlich:

  • Zur Stärkung des Herz-Kreislauf-Systems: 50-60% (=Faktor 0,5 - 0,6) der maximalen Herzfrequenz (HFmax)
  • Fettstoffwechselzone: 60-70% der HFmax (Faktor 0,6-0,7)
  • Aerober Bereich: 70-80% der HFmax, führt zu einer Verbesserung der Grundlagenausdauer (Faktor 0,7-0,8)
  • Anaerober Bereich: 80-90% der HFmax, führt zur Verbesserung der Lactat-Toleranz
  • Über der anaeroben Schwelle: 90-100% HFmax (0,9-1)

Vor Beginn des körperlichen Trainings unbedingt beachten
  • Um ein effektives Herz-Kreislauftraining durchführen zu können und damit auch entsprechende Stoffwechselverbesserungen zu erreichen, ist die Kontrolle der Herzfrequenz quasi unerlässlich (ein Schrittzähler hilft und fördert die Motivation)
  • Durch ein Belastungs-EKG kann beim Hausarzt/ Sportmediziner oder Kardiologen nach einer einfachen Formel die Trainingsherzfrequenz ermittelt werden. Beim Diabetiker hat sich die Karvonen-Formel (nach Marrti J.Karvonen) zur Abschätzung einer optimalen Herzfrequenz bewährt (n. M. Kemper/TH München, Cadiovasc 3/2010) bewährt.
  • Tägliche Übungen von 20-30 Minuten sind besser, als 3x/Woche 1-2 Stunden.

Insbesondere bei extrem übergewichtigen Patienten hat sich statt Laufen oder Walken das Fahrradfahren z.B. auf einem Cross-Trainer oder Ellipsoid-Trainer bewährt (oder mittels einer Hand-Kurbel!). Als Ergänzung für das Lauftraining gilt auch in begrenztem Umfang ein mildes Krafttraining mit z.B. 0,5-1kg Hanteln – oder Bändern (Therafit) mit dem zusätzlich auch ein Zuwachs an Muskelmasse erreicht werden kann.

Welche Art von Sport ist denn hilfreich?

Eine der schwierigsten Aufgaben ist es, erwachsene Menschen wieder zu mehr Sport und körperlicher Aktivität zu bewegen, weshalb heutzutage nicht nur die allseits empfohlenen Sportarten wie Laufen, Radfahren oder Schwimmen empfohlen werden, sondern neuere Sportarten z.B. "Soulflow", eine Kombination aus Ballett und Yoga, mit der man hervorragend Tiefenentspannung erreichen aber auch seine Muskeln stärken kann. In die Gruppe der neueren Sportarten, für viele auch "spannenderen" Sportarten gehört auch das "Piloxing", eine Kombination aus Pilates und Boxing, bei der sich elegante und körperkräftigende Pilates- mit rasanten Box-Einheiten abwechseln. Auch "Speedball" gehört dazu, ein effektives Fitnessprogramm aus den USA, bei dem die Bewegungsabläufe Techniken vom Kampfsport, traditionellen Medizinball-Übungen und funktionellem Trainingssport miteinander vereinen.

Zu beachten ist, dass die genannten Sportarten, aber auch das herkömmliche Training auf dem Fahrradergometer oder Crosstrainer, sich nicht für alle Menschen eignen. Vor allem nach langer möglicher Inaktivität, ist deshalb ein langsamer Trainingsbeginn evtl. mit vorausgegangener Untersuchung extrem wichtig, evtl. auch die Begleitung durch entsprechende Sporttherapeuten-oder Fitnesstrainer.

Spezielle Kohlenhydrate?

Um den Fettabbau zu fördern werden auch bei moderatem Ausdauertraining eher Kohlenhydrate mit einem niedrigen glykämischen Index (GI), also Nahrungsmittel, die eher langsam den Blutzucker steigern empfohlen – diese fördern die Fettverbrennung.

Wichtig: Auch nach dem Sport ist der Stoffwechsel noch für einige Stunden gesteigert – wenn man erst etwa 2 Stunden nach dem Sport wieder etwas isst, kann man so die Fettverbrennung noch längere Zeit hochhalten (→ weiterer Fettabbau!) – eine Unterzuckerung sollte allerdings vermieden werden!

Ein zusätzliches leichtes Schnellkrafttraining führt auch gerade bei älteren Menschen dazu, dass sie besser Alltagstauglich sind, z.B. weniger häufig stürzen, ihren Haushalt besser bewältigen aber auch z.B. Kompressionsstrümpfe an- und aussuchen können. Man sollte aber auch als Therapeut eine Sportart empfehlen, die dauerhaft Spaß macht, denn sonst ist der Effekt nur von kurzer Dauer.

Ist regelmäßiger Sport auch bei Typ-1-Diabetes sinnvoll?

Auch immer mehr Menschen mit Typ-1-Diabetes haben Übergewicht, weshalb Sport bei Ihnen dringend angeraten ist. Aber gerade bei Patienten mit Typ-1-Diabetes gilt es vor jeder körperlichen Aktivität bestimmte Vorsichtsmaßnahmen zu berücksichtigen, da eine Fehleinschätzung schwerwiegende Konsequenzen haben kann (z.B. Hypoglykämien).

Auch bei Menschen mit Typ-1-Diabetes kann das Fortschreiten von Folgeerkrankungen durch Sport verhindert oder hinausgezögert, teilweise sogar verbessert werden. Über den Spaß führt die körperliche Bewegung zu einem besseren Körpergefühl oft mit Steigerung des Selbstvertrauens aber auch zu einer Verbesserung des Herz-Kreislaufsystems mit einer Senkung der Blutfettspiegel und einer Gewichtabnahme. Isometrisches Krafttraining ist allerdings z.B. bei einer schweren Retinopathie verboten (Gefahr der Blutung!)

Merke: Jede körperliche Aktivität führt aber auch zu Stoffwechselveränderungen z.B. Blutzuckerschwankungen, die im Einzelfall nicht immer nur Vorteile bringen: Eine schwere Hypoglykämie, aber auch eine Keto-Azidose können die Folge sein.

Sicherer Sport treiben bei Typ-1-Diabetes

Um Sport sicher und sorgenfrei betreiben zu können und um insbesondere beim Typ-1-Diabetes schwere mögliche Hypoglykämien zu vermeiden, gibt es heute zahlreiche Hilfsmittel zur Unterstützung. So kann eine neue App (Professor Ottmar Moser, Uni Bayreuth) rechtzeitig vor Hypoglykämien bei verschiedensten Aktivitäten des täglichen Lebens wie Gartenarbeit, Fensterputzen aber auch beim Sport (Jogging, Radfahren etc.) warnen. Aber auch bei zu hohen Werten und vor den gefürchteten Spät -Hypoglykämien einige Stunden nach sportlicher Aktivität.

Viele Menschen mit Typ-1-Diabetes führen zur Vermeidung von schweren Unterzuckerungen und auch Entgleisungen bereits heute eine Therapie mittels automatisierter bzw. halb automatisierter Insulintherapie – einem CGM-System durch. Die neue App kann laut Professor Moser allen Menschen mit Typ-1-Diabetes, die eine intensivierte Insulintherapie durchführen – mit Pen oder Pumpe, mit oder ohne CGM-System – helfen.

Ausgenommen sind Patienten die ein Hybrid- oder Closed-Loop-System benutzen. Manche menschen mit Typ-1-Diabetes trauen den Sensoren nicht blind – auch für diese scheint die neue App auch ohne "komplette Automatisierung" einer Steuerung, insbesondere bei Sport und unterschiedlicher Ernährung, sinnvoll (A. Monecke Diabeteszeitung 2/23).

Wie Patienten zu mehr Bewegung motivieren?

Dass Sport zur Diabetes-Prävention Typ-2-Diabetes taugt ist unumstritten, aber auch bei der Therapie spielt er eine wichtige Rolle sowohl beim Typ-2-Diabetes als auch beim Typ-1-Diabetes. Aber wie kann man Menschen mit Diabetes, die aus ihrer Sicht oft fälschlicherweise davon ausgehen, dass ihnen viele schöne Dinge des Lebens wie z.B. genussvolles Essen und Trinken oder Naschen etc. eigentlich verboten sind, zu mehr körperlicher Aktivität bewegen?

Auch hier ist der Schlüssel: Keine Verbote! Sinnvolle, interessante und praktikable Angebote helfen, den erneuten Zugang zu mehr Bewegung/Sport zu finden, speziell dann, wenn man den Nutzen bzw. die Effekte auch schon kurzfristig bemerkt z.B.:

  • bessere Beweglichkeit
  • mehr Luft unter Belastung
  • gleichmäßigere Blutzuckerwerte bei adäquater Anpassung der Medikation
  • besseres Körpergefühl
  • oft bessere Psyche (= positiver Einstellung zum weiteren Leben)
  • Perspektive!

So gibt es seitens der Arbeitsgemeinschaft (AG) Diabetes Sport und Bewegung der DDG eine Reihe von Tools und Hilfestellungen, um den Einstieg in eine Bewegungstherapie zu unterstützen!

Tabelle 1: Tools zum Einstieg in die ­Bewegungstherapie.

Ziel ist es, durch eine Steigerung der Alltagsbewegung, einem regelmäßigen Ausdauer -und Muskeltraining auch mehr Freude am Leben selbst zu erreichen. Denn Depressionen fördern eher die Trägheit. Oft beginnt so ein Teufelskreis. Bewegung sollte Freude bereiten, nur dann wird sie als Medikament neben anderen verstanden und langfristig beibehalten – mit allen positiven Effekten. So fördert tägliches Gassigehen mit dem Hund z.B. sowohl die körperliche Fitness des Herrchens/Frauchens und natürlich auch des Hundes, als auch das psychische Wohlbefinden. So zeigte sich speziell auch während der Corona-Pandemie durch eine Zunahme der sitzenden Tätigkeiten und deren Dauer wegen längerer Arbeitszeiten eine deutliche Gewichtszunahme bei vielen Betroffenen – damit auch eine Abnahme deren Fitness und Belastbarkeit. Auch organisierte Sportangebote und die Möglichkeiten des Rehasports helfen diesem Problem vorzubeugen.

Ursachen für ansteigende Blutzuckerwerte beim Sport

1. Die notwendigen Zusatz-BE’s vor, während und nach dem Sport wurden vergessen oder nicht angepasst

2. Zu viel Insulin im Blut: die letzte Insulindosis wurde nicht ausreichend vermindert oder der Sport wurde bei niedrigen Blutzuckerwerten begonnen

3. Sport wurde zu intensiv betrieben. Dabei wurde zu viel Glukose verbraucht

4. Die entleerten Glukosespeicher in Leber und Muskel füllten sich nach dem Sport wieder auf und entziehen so den Zucker dem Blut. Dies führt oft zu Spät-Hypoglykämien, die unbedingt vermieden werden müssen.

Was Menschen mit Typ-1-Diabetes beachten sollten!

Durch körperliche Betätigung kann der blutzuckersenkende Effekt natürlich auch therapeutisch genutzt werden, denn bei langsamer, moderater körperlicher Betätigung sinkt der Blutzuckerspiegel um etwa 60mg/dl in einer Stunde, so dass ein Insulinspareffekt eintritt. Außerdem wird durch eine regelmäßige körperliche Betätigung die Insulinresistenz verbessert. Das bedeutet, dass der Muskel aber auch das Fettgewebe und andere Organe besser in der Lage sind mit weniger vorhandenem Insulin Blutzucker in die Zellen aufzunehmen und zu verbrennen.

Da Menschen mit Typ-1-Diabetes prinzipiell kein oder fast kein Insulin mehr besitzen, muss die Insulingabe bei sportlicher Aktivität dementsprechend von diesen angepasst werden – und zwar jedes Mal neu!

Beachte: Wenn bereits vor dem Sport eine schlechte Blutzuckereinstellung mit Blutzuckerwerten etwa zwischen 200-300mg/dl vorliegt und dann dieser Situation Sport betrieben wird, wird der Blutzucker in der Regel nicht gesenkt: Blutzuckerwerte zwischen 200 und 300mg/dl bedeuten, dass ein Insulinmangel vorliegt (Aceton testen!). Ist der Acetontest negativ kann mit der körperlichen Aktivität begonnen werden. Ist der Acetontest aber ++ oder +++ (2-oder 3fach positiv), keinesfalls sofort mit dem Sport beginnen sondern die Ketoazidose behandeln und Insulin zuführen!

Durch den Sport erfolgt dann nämlich in dieser Situation keine verbesserte Gluckseaufnahme in die Muskulatur – im Gegenteil: Die Leber produziert noch mehr Glukose und gleichzeitig führt der bestehende Insulinmangel zu einer verminderten Aufnahme der Glukose in die Muskulatur, so dass dieser nicht abgebaut werden kann. Die Folge kann eine massive Überzuckerung bis hin zum ketoazidotischen Koma sein! Dies ist einer der Gründe, warum Menschen mit Typ-1-Diabetes, die Sport machen, besonders geschult sein müssen. Bei schlecht eingestelltem Ausgangs-Blutzucker/Gewebezucker wird zunächst etwas Insulin benötigt, bevor die körperlichen Aktivitäten beginnen können.

Dosisanpassung bei Menschen mit Typ-1-Diabetes

Wenn Menschen mit Typ-1-Diabetes Sport treiben oder aktiv sind, muss die Insulintherapie an die körperliche Aktivität angepasst werden. Dazu muss man überlegen, wann man körperlich aktiv ist und welches Insulin zum Zeitpunkt der körperlichen Aktivität wirkt: Das Basalinsulin oder das Mahlzeiteninsulin? Dies trifft zumindest für die am meisten angewendete Insulintherapie, die intensivierte Insulintherapie (ICT), zu.

Für die weitere Anpassung der Insulintherapie bei Sport oder körperlicher Aktivität, spielt die Belastungsdauer und auch die Intensität der Belastung eine entscheidende Rolle. Eine nicht zu vernachlässigende Tatsache ist der "Muskel-Wiederauffülleffekt". Die beim Sport oder bei Bewegung verbrauchte Glukose versucht der Körper in den nächsten Stunden nach der körperlichen Betätigung zurückzugewinnen, um so seine Vorräte in der Leber und der Muskulatur wieder aufzufüllen. Dadurch sinkt der Blutzuckerspiegel ab und es können gefährliche Unterzuckerungen auch noch Stunden nach der körperlichen Aktivität auftreten.

Für die unmittelbare Insulintherapie vor, während und nach dem Sport gilt: Bei jeder kürzer dauernden Anstrengung (z.B. 1 Stunde Schwimmen, 1 Stunde Radfahren) sollte pro halbe Stunde etwa 1 BE zusätzlich an langwirkenden Kohlenhydraten gegessen werden. Bei Ausdehnung der Aktivität empfiehlt es sich zusätzlich kurzwirkende Broteinheiten aufzunehmen (z.B. Bananen). Bei Abschluss der sportlichen Maßnahmen ggf. zusätzliche "lange BE’s".

Bei einer geplanten länger andauernden Muskelarbeit, z.B. mehrere Stunden Ski Langlauf, mehrstündige Bergwanderungen oder Fahrradtouren etc.) muss unbedingt vorbeugend je nach geplanter Anstrengung bis zu 50% weniger Insulin injiziert werden. Dabei kann z.B. bei einer Halbtageswanderung evtl. komplett auf das kurzwirksame Insulin verzichtet werden und dann der Insulinbedarf nur durch das Basalinsulin abgedeckt werden. Auch bei deutlicher Verminderung der Insulindosis müssen bei anstrengender Aktivität zusätzlich 1 BE pro etwa 20 Minuten gegessen werden. Zu beachten ist, dass gerade nach einer außergewöhnlichen Anstrengung das Insulin, z.B. das Basalinsulin zur Nacht, weiter reduziert werden muss um nicht noch mehrere Stunden nach Abschluss der körperlichen Aktivität mit einer Unterzuckerung rechnen zu müssen ("Späthypo"). Durch die heutigen Möglichkeiten der Gewebe--Glukosemessung (Sensor) ist die tägliche mehrfache blutige Messung auch ohne sich mehrfach stechen zu müssen möglich, ideal um evtl. Insulindosisanpassungen vorzunehmen bzw. Kohlenhydrate aufnehmen zu können, um so schwere Unterzuckerungen zu vermeiden.

Maßnahmen vor und nach dem Sport
Vor dem Sport:
  • Wenn zwei verschiedene Insuline verwendet werden, dann das Insulin reduzieren, das zum Zeitpunkt des Sports wirkt!
  • Blutzucker-Gewebemessung: Bei Blutzucker/Gewebewerten unter 100mg/dl und/oder 250mg/dl und mehr nicht sofort mit dem Sport beginnen
  • Niedrige Blutzucker/Gewebewerte durch Zusatz-BE (Sport-BE) ausgleichen.
  • Hohe Blut-/ Gewebewerte erst mit wenigen Einheiten Kurzzeit-Analog-Insulin vorsichtig senken, erst dann Sport beginnen (vorher nochmals BZ-Kontrolle!)
Nach dem Sport:
  • BZ mehrfach testen und ggf. die folgende Insulindosis (z.B. Spätmahlzeit) unbedingt reduzieren ("Spät-Hypo"!). Vorsicht mit zusätzlichem Alkoholgenuss!
  • Zusatz-BE’s evtl. auch noch vor dem Zu Bett-gehen und nachts BZ-Kontrollen

Zusammenfassung

Sport ist nicht nur "Medizin" für Menschen mit Diabetes – er kann sogar, wenn auch in kleinen Einheiten, in Form von "Aktivität-Snacks" das Risiko für schwerwiegende Folgeschäden sowohl bei Menschen mit Typ-2- als auch bei denen mit Typ-1-Diabetes (vor allem übergewichtigen) senken. Regelmäßige Bewegung als Therapie erfolgt erfahrungsgemäß aber nur, wenn man neben dem zu erwartenden Nutzen auch den Spaß nicht vergisst. Menschen mit Typ-1-Diabetes – speziell sehr intensiv trainierende – sollten moderne Möglichkeiten zur Glukose- Überwachung nutzen. Mehr Bewegung oder auch sinnvoll durchgeführter Sport können eine extreme Lebensbereicherung sein!


Autor:
© privat
Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist, Angiologe, Diabetologe und Sozialmediziner
ehem. Lehrbeauftragter der Universität Würzburg und Chefarzt Deegenbergklinik
PrivAS Privatambulanz (Schulung)


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (3) Seite 24-29