Dr. Martin Lederle ärgert sich, dass er aufgrund des WANZ-Prinzips als Vertragsarzt immer wieder den "bösen Buben" spielen und die "Wunschverordnungen" der Patienten verweigern muss.

Kranke Menschen erwarten von den Leistungserbringern im deutschen Gesundheitssystem natürlich die bestmögliche Behandlung für sich. In Deutschland sind rund 90 % der Bevölkerung gesetzlich versichert und haben somit Anspruch auf Leistungen, um ihre Gesundheit zu erhalten und wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern.

Die Regularien für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) sind im Sozialgesetzbuch V definiert. Im § 12 des SBG V ("Wirtschaftlichkeitsgebot") steht folgende Passage: "Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen."

WANZ: wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig

Dieses WANZ-Prinzip (wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig) müssen somit nicht nur Ärzte bei der Verordnung von Leistungen beachten, sondern es gilt ebenfalls für Patienten und für die Krankenkassen.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass Gesundheitspolitiker in ihren Verlautbarungen häufig dieses WANZ-Prinzip, das sie einmal selbst ins Gesetz hineingeschrieben haben, einfach "vergessen". So sagte der Gesundheitsminister Hermann Gröhe in einem Interview zur gesundheitspolitischen Entwicklung am 17.11.2014:

"Wir erhöhen den Anreiz für die Krankenkassen, im Wettbewerb um Versicherte qualitativ hochwertige Leistungen anzubieten und dabei gut und effizient zu wirtschaften."

Diese Aussage über den gesetzlich definierten Umfang der GKV hört sich doch viel freundlicher an.

Vertragsarzt: WANZ-Prinzip im Nacken

Bei jedem "Kassenrezept", das ich unterschreibe, sitzt mir dieses WANZ-Prinzip im Nacken: So bin ich als Vertragsarzt in Westfalen-Lippe verpflichtet, für gesetzlich Versicherte mehr als 65 % der Blutglukose- (BG-) Teststreifen aus der preisgünstigeren Kategorie B zu verordnen. (Zwischen den beiden Preisgruppen besteht ein Differenzbetrag von derzeit 5,25 € pro 50 Teststreifen netto.)

Da die 35 % BG-Teststreifen aus der Kategorie A von Patienten "verbraucht" werden, die eine Insulinpumpe mit dem dazugehörigen Kombinationsgerät "Fernsteuerung" und "BG-Messung" nutzen, muss ich immer wieder Diskussionen mit Patienten führen, welche Teststreifen ich bei ihnen verordnen darf. Auch bei der Insulinverordnung muss ich natürlich das Wirtschaftlichkeitsgebot beachten.

So ist Tresiba (Insulin degludec) derzeit noch teurer als die anderen, in Deutschland verordnungsfähigen langwirksamen Insulinanaloga: Wenn ich einem Patienten dieses Insulin verordne, dann muss ich die offensichtliche "Unwirtschaftlichkeit" (höherer Preis) durch einen belegbaren Nutzen für den Patienten (z. B. weniger Hypoglykämien oder stabilerer BG-Verlauf) "ausgleichen" können.

WANZ-Prinzip bei Insulinpumpen-Verordnung

Gerade auch bei der Verordnung einer Insulinpumpe spielt das WANZ-Prinzip eine Rolle. Ein Patient, der seit Jahren in der Diabetespraxis Ahaus betreut wird und bei dem die medizinischen Voraussetzungen für die Durchführung einer Insulinpumpentherapie vorlagen, wollte – nach selbst durchgeführter Internetrecherche – unbedingt eine Patch-Pumpe haben.

Der Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung hat dazu geschrieben:

"Die Fortführung der Insulinpumpen-Therapie kann empfohlen werden. Die Erfordernis einer Patch-Pumpe kann gutachterlicherseits nicht nachvollzogen werden. Es ist darauf hinzuweisen, dass nach § 12 SBG V Leistungen ausreichend, zweckmäßig, und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Die Patch Pumpe ist jedoch mit erheblichen Mehrkosten verbunden, weil die Pods nicht durch den Nutzer wieder befüllt werden können und nur eine begrenzte Nutzungsdauer von wenigen Tagen aufweisen. Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Pumpe mit einer medizinisch nicht notwendigen Fernbedienung ausgestattet ist und somit über das Maß des Notwendigen hinausgeht."

Ich werde mit dem Patienten dieses Gutachten besprechen und sehen, wie er darauf reagieren wird.

Ich würde mir wünschen, dass Gesundheitspolitiker in ihren "Sonntagsreden" auch immer wieder auf das WANZ-Prinzip hinweisen und auch die Krankenkassen gegenüber ihren Mitgliedern diese vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen für Verordnungen offensiv vertreten würden. Ich habe keine Lust, als Vertragsarzt immer wieder den "bösen Buben" spielen zu müssen, der eine "Wunschverordnung" des Patienten verweigern muss.


von Dr. Martin Lederle
Diabetes-Forum-Chefredakteur


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2015; 27 (3) Seite 7