Die Behandlung des Diabetischen Fußsyndroms (DFS) ist eine Herausforderung für die diabetologischen Teams. Was zu tun ist, lesen Sie auf den folgenden Seiten.

Eine sehr spezielle Folgeerkrankung des Diabetes mellitus stellt das Diabetische Fußsyndrom (DFS) dar. Die Wahrscheinlichkeit für Menschen mit Diabetes (MmD) an einem DFS zu erkranken, beträgt über die gesamte Lebensdauer 19–34 %. Die jährliche Neuerkrankungsrate liegt bei 2 % (Armstrong et al 2017). Sowohl das Risiko von Amputationen im Bereich der Extremitäten als auch die Sterblichkeit dieser Patienten ist erhöht. (Jupiter et al 2016, Paisey et al 2019) Grund dafür sind die fortgeschrittenen Folgeerkrankungen des Diabetes und meist zusätzlich vorkommende internistische Begleiterkrankungen. Auch nach erfolgreicher Behandlung kommt es häufig zu Rezidiven. Armstrong et al geben die Rezidiv-Wahrscheinlichkeit diabetischer Fußulzera nach erfolgreicher Heilung von 40 % innerhalb eines Jahres bzw. 65 % innerhalb von 3 Jahren an (Armstrong 2017).

Kann man die Ursachen eines DFS benennen?

Die aktuelle Leitlinie der International Working Group on the Diabetic Foot (IWGDF) listet die unterschiedlichen Risikofaktoren auf, die eine Entstehung von DFS begünstigen (Schaper et al 2019). Dabei spielen die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) und die periphere Polyneuropathie (PNP) eine zentrale Rolle. Oft kommen beide Erkrankungen gemeinsam vor und beeinflussen sich gegenseitig. Häufig ist bei PNP das Schmerzempfinden vermindert. Aus diesem Grund können Beschwerden der PAVK maskiert sein. Es fehlen Warnsymptome, die Betroffene dazu veranlassen, bereits im Vorfeld akuter Ereignisse einen Arzt aufzusuchen. Im Falle einer Verletzung am Fuß kommt es schnell zu einer raschen Progredienz der Minderperfusion. Oft triggern Infektionen das Krankheitsgeschehen. Die PNP führt insbesondere dazu, dass Verletzungen oder lokale Fehlbelastungen nicht bemerkt werden. In den neueren Publikationen wird dies treffend als Verlust des Schutzgefühls (englisch: loss of protective sensation, LOPS) bezeichnet. Zusätzlich gibt es weitere Erkrankungen, die das Risiko der Entstehung eines DFS erhöhen können. Hier sollen beispielhaft das Vorliegen einer fortgeschrittenen Niereninsuffizienz oder Fußdeformitäten genannt werden. In der Nationalen Versorgungsleitlinie Diabetes mellitus Typ2 2010 wurden Risikofaktoren für einen pathologischen plantaren Druck am Fuß in intrinsische und extrinsische Faktoren unterschieden. Dies veranschaulicht die Vielfalt der möglichen Auslöser dieses Krankheitsbildes (Tab. 1).

Tab.1: Risikofaktoren für pathologischen plantaren Druck aus: NVL Typ-2-Diabetes Fußkomplikationen Langfassung Februar 2010, Vers. 2.8.

Ursachen eines DFS anhand von Praxisbeispielen

Die folgenden Beispiele sollen verdeutlichen, wie wichtig eine genaue Anamnese und fußspezifische Untersuchung ist, um die Entstehungsursache eines DFS zu ermitteln. Sie sollen zeigen, wie überraschend manchmal das Ergebnis dieser Nachforschungen sein kann.

Patient 1:

Norbert H. (geboren 1950; Abb.1) wurde wegen einer akut aufgetreten Blase am zweiten Zeh rechts stationär eingewiesen. Eine begleitende lokale Infektion konnte mit Antibiotika relativ problemlos beherrscht werden. Eine PAVK war bekannt, aber kompensiert. Nach wenigen Tagen zeigte das DFS eine gute Abheilungstendenz. Da es bereits im Vorfeld zu Fußsyndromen gekommen war, besaß Herr K. Hilfsmittel zur Rezidivprophylaxe. Sowohl Straßenschuhe als auch Hausschuhe waren vorhanden und erst kürzlich erneuert worden. Bei der Schuhvisite fand sich eine Socke im Schuh als wahrscheinlicher Auslöser des DFS. Diese wurde vom Patienten bei LOPS nicht bemerkt.

© Werner
Abb.1: Fremdkörper im Schuh als Ursache eines DFS.

Patient 2:

Gisela H. (geboren 1951; Abb.2) stellte sich wegen in letzter Zeit rezidivierend auftretender Kuppenulcera an den Kleinzehen vor. Es waren leichte Krallenzehfehlstellungen vorhanden. Spezialschuhe zur Druckreduktion oder eine Tenotomie zur Minderung sollten im Konsil diskutiert werden. Bei der Schuhvisite zeigte die Patientin eine durch ihren Ehemann zugerichtete konventionelle Riemchensandale. Diese führte offensichtlich nicht zu einer Druckreduktion.

© Werner
Abb.2: ungeeignete Zurichtung eines Schuhs als Ursache eines DFS.

Patient 3:

Siegfried S. (geboren 1947; Abb.3a; Abb.3b) stellte sich mit ausgedehnten thermischen Schäden an den Füßen vor. Diese waren akut aufgetreten, ein Auslöser nicht erinnerlich. In der Anamnese war zu ermitteln, dass der Schaden am Abend wegen durchnässter Hausschuhe nach dem Duschen bemerkt wurde. Die tieferen Nachfragen ergaben, dass der Patient seine Füße mit einem Fön trocknen wollte. Hier lag offensichtlich die Ursache des Problems.

© Werner
Abb.3: thermische Schäden am Fuß.

Patient 4:

Reinhold B. (geboren 1951; Abb.4) wurde primär wegen einer schweren Infektion am ersten Zeh links beim Chirurgen vorstellig. Auslöser war ein Hundebiss. Der Patient züchtete Hunde und hatte einen Welpen über Nacht im Schlafzimmer untergebracht. Dieser verbiss sich in seinen Großzeh, ohne dass es der Patient im Schlaf bemerkte. Er litt unter einer schweren peripheren Polyneuropathie. Der Chirurg musste Teile des Zehs entfernen. Nach Beherrschung der Infektion verlief die Heilung problemlos.

© Werner/Braatz
Abb.4: Z.n. Teilresektion der Großzehe nach Hundebiss.

Patient 5:

Werner H. (geboren 1937; Abb.5) stellte sich wegen wiederkehrender Infektionen am Fuß vor. Trotz penibler Hautpflege entwickeln sich kleine Eiterbläschen, aus denen sich der Infekt entwickelte. Aufgrund des Hautbefundes wurde differentialdiagnostisch eine Psoriasis pustulosa palmoplantaris vermutet. Im Abstrich konnten lichtmikroskopisch Leukozyten angefärbt werden. Mikrobiologisch wurden keine pathologischen Keime nachgewiesen. Unter Lokaltherapie mit einer steroidhaltigen Salbe sowie einem Vitamin-D-3-Präparat zeigte sich eine deutliche Besserung des Hautbefundes. Erwähnenswert ist ein wegen kardialer Erkrankung angesetzter Betablocker als möglicher Trigger.

© Werner
Abb.5: V.a. Psoriasis pustulosa palmoplantaris.

Patient 6:

S.U. (geboren 1954; Abb.6) wurde wegen einer trockenen Gangrän der linken Großzehe eingewiesen. In der Umfelddiagnostik zeigte sich ein extrem komplexes Bild der prämaturen generalisierten Arteriosklerose (peripher, extrakraniell, kardial). Bereits in jungen Jahren wurden sowohl an den Beinarterien als auch am Herzen Gefäßeingriffe durchgeführt. Neu diagnostiziert wurde eine hochgradige Verengung der rechten A. carotis interna. Diese musste vordergründig behoben werden. Anschließend wurden komplexe Gefäßeingriffe am linken Bein durchgeführt. Trotz dieser Interventionen konnte der Zeh nicht gerettet werden und wurde entfernt. Im Verlauf heilte die OP-Wunde nicht ab. Der Befund weitete sich aus. Man entschied sich für eine autologe Stammzelltherapie im Bereich des linken Unterschenkels. Damit konnte die Perfusion soweit stabilisiert werden, dass nur noch der benachbarte Zeh amputiert werden musste. Wichtig war, die Ursache der ausgeprägten Gefäßverkalkungen zu ermitteln. Neben eines schlecht eingestellten Diabetes mellitus wurde eine besondere Fettstoffwechselstörung gefunden. Neue diagnostiziert wurde eine ausgeprägte Lipoprotein (a)-Erhöhung. Der Patient wurde deshalb einer Lipidapherese-Behandlung zugeführt, die antilipämische Medikation optimiert. Erst dadurch konnte auch die Gefäßerkrankung stabilisiert werden. Angelegte Bypässe und Stents blieben über den Beobachtungszeitraum offen. Das DFS konnte zur Abheilung gebracht werden.

© Weck
Abb.6: Angiografiebilder bei PAVK. Im ersten Bild ist ein Verschluss der A. femoralis com. zu sehen.

Zusammenfassung

Die ersten 4 Beispiele zeigen ein ungewöhnliches Verhalten von Patienten mit DFS begründet durch das polyneuropathiebedingte LOPS. Zur Vermeidung solcher Fälle sollte man spezifische Fußschulungen der Betroffenen und ihrer Angehörigen durchführen. Durch vermittelte Informationen könnten diese das Krankheitsbild besser verstehen und ihr Verhalten entsprechend umstellen. Aber auch das Behandlungsteam muss sich bei Rezidiven hinterfragen. Neben medizinischen Aspekten sollte ein Augenmerkt auf die Hilfsmittelversorgung gelegt werden. Eine Untersuchung der Schuhe von stationär behandelten Patienten mit DFS-Rezidiven zeigte, dass in den meisten Fällen ein Verbesserungspotential vorliegt (Werner T, Strecker K 2022). Die beide letzten Behandlungsfälle zeigen recht unterschiedliche Beispiele systemischer Erkrankungen, die letztendlich auch am Fuß manifest wurden. Hier ist die Diagnosestellung und Behandlung der Grunderkrankung entscheidend. Besonders am Fall 6 wird deutlich, dass oft ist ein großes Team unterschiedlicher Spezialisten für eine erfolgreiche Behandlung eines DFS notwendig ist.


Literatur:
Armstrong DG, Boulton AJ, Bus SA. Diabetic foot ulcers and their recurrence. N.Engl.J.Med. 2017;376:2367-2375.
Jupiter DC, Thorud JC, Buckley CJ, Shibuya N. The impact of foot ulceration and amputation on mortality in diabetic patients. I: From ulceration to death, a systematic review. Int Wound J 2016 Oct;13(5):892-903.
Paisey RB, Abbott A, Paisey CF, Walker D: Diabetic foot ulcer incidence and survival with improved diabetic foot services: an 18-year study. Diabet. Med. 2019; 36, 1424–1430
Schaper NC, van Netten JJ, Apelqvist J, Bus SA, Hinchliffe RJ, Lipsky BA, IWGDF Editorial Board: Practical Guidelines on the prevention and management of diabetic foot disease (IWGDF 2019 update). Diabetes Metab Res Rev. 2020;36(S1):e3266. DOI: 10.1002/dmrr.3266
Werner T, Strecker K: Diabetisches Fußsyndrom: Ergebnisse einer orthopädieschuhtechnischen Beurteilung der Patienten-Schuhe. Orthopädieschuhtechnik 2022;(5):2-5.

Autor:
Dr. med. Thomas Werner
Chefarzt, Facharzt für Innere Medizin
Diabeteszentrum Bad Lauterberg
Kirchberg 21, 37431 Bad Lauterberg
Prof. Frank Braatz
Prof. Matthias Weck


 
 
 


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (10) Seite 42-44

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