Durch eine spezifische Schulung könnten Angehörige von Menschen mit Diabetes kognitive Einschränkungen kompensieren helfen. Dies gilt auch für Angehörige von Patienten mit Migrationshintergrund. Genau hier setzt das neue VDBD-Projekt an. Dr. Eric Risch weiß mehr darüber.

Die Patientenschulung ist ein wesentlicher Bestandteil der Diabetestherapie. Eine selbstverantwortliche Umsetzung wesentlicher Therapiemaßnahmen durch den Menschen mit Diabetes trägt maßgeblich zu einer gelingenden Therapie bei. Entsprechend ist die Anwendung von strukturierten Schulungs- und Behandlungsprogrammen in den Disease-Management-Programmen (DMP) der Krankenkassen strukturell verankert und in den evidenzbasierten Nationalen Versorgungsleitlinien zur Therapie des Diabetes gefordert.

Innerhalb des DMP Typ-1- und Typ-2-Diabetes sind aktuell 18 unterschiedliche Schulungsprogramme vom Bundesversicherungsamt zertifiziert und somit zur Patientenschulung einsetzbar. Nun soll ein weiteres, ein etwas anderes hinzukommen.

Alleinige Zielgruppe aller zugelassenen Schulungsprogramme ist der direkt Betroffene. Familienangehörige sind in den Schulungsprogrammen bestenfalls als Begleiter für Menschen mit Diabetes vorgesehen. Der fehlende Einbezug der Angehörigen in die Therapie ignoriert jedoch wichtige Faktoren, wie beispielsweise die demographische Entwicklung.

Im hohen Alter ist die Fähigkeit zu einem effektiven Selbstmanagement oft eingeschränkt. Durch eine entsprechende spezifische Schulung könnten Angehörige kognitive Einschränkungen kompensieren helfen. Dies gilt auch für Angehörige von Patienten mit Migrationshintergrund. Genau hier setzt das VDBD-Projekt an.

Absolutes Novum in der Geschichte des Verbandes

"Langfristiges Ziel des Projektes ist es, durch eine bedarfsgerechte Schulung von Angehörigen zu einer besseren Versorgung von Menschen mit Diabetes beizutragen, insbesondere von kognitiv eingeschränkten Patienten sowie Betroffenen mit Migrationshintergrund", erklärt Dr. Gottlobe Fabisch, VDBD-Geschäftsführerin und Leiterin des Projektes. Zu diesem Zweck wird ein Schulungsprogramm für Angehörige von Menschen mit Diabetes entwickelt.

Das Projekt ist mittelfristig angelegt und umfasst insgesamt drei Phasen. Die erste Projektphase 2016 besteht aus einer Bestandsanalyse bestehender Schulungsprogramme sowie einer zielgruppenspezifischen Bedarfsanalyse und wird vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert. "Dies ist ein absolutes Novum in der Geschichte des Verbandes, unterstreicht Dr. Fabisch, "und ein spannendes und wichtiges Zukunftsprojekt sowohl für den VDBD als auch für Angehörige und an Diabetes erkrankte Menschen."

In der Tat wird die Belastung durch eine Diabeteserkrankung von der gesamten Familie getragen, nicht nur vom Betroffenen selbst.

Die Fakten aus der jüngeren Literatur:
  • 70% der Diabetestherapeuten sind überzeugt, dass Angehörige ein wichtiges Element in der Behandlung sind. Dennoch haben 75% der Angehörigen von Menschen mit Diabetes noch nie an einer Schulungsmaßnahme teilgenommen.
  • 66% der Angehörigen von insulinbehandelten Patienten fürchten sich vor nächtlichen Hypoglykämien, die ihr Angehöriger erleiden könnte.
  • 63% der Angehörigen befürchten, dass bei der Person, mit der sie zusammen leben, Folgeerkrankungen auftreten.
  • 34% der Angehörigen gaben an, dass sich die Diabeteserkrankung ihres Angehörigen finanziell negativ auf sie auswirkt.

Vor diesem Hintergrund werden im Rahmen der ersten Projektphase zunächst die vom Bundesversicherungsamt anerkannten Schulungsprogramme für Menschen mit Diabetes mellitus analysiert. "Die jeweiligen Curricula werden auf Zielgruppen relevante Aspekte untersucht, die sinnvollerweise in das künftige Schulungsprogramm für Angehörige integriert werden sollten", beschreibt VDBD-Vorstandsmitglied Lars Hecht die Vorgehensweise.

Darüber hinaus soll der Schulungsbedarf hinsichtlich der Frage ermittelt werden, über welche Voraussetzungen Angehörige verfügen müssen, um Menschen mit Diabetes, insbesondere Patienten mit kognitiven Einschränkungen und Migrationshintergrund, im Alltag aktiv unterstützen und zu deren verbesserten Versorgung beitragen zu können.

"Aufbauend auf dieser Analyse zertifizierter Schulungsprogramme für Menschen mit Diabetes werden die Bedürfnisse der Angehörigen qualitativ und quantitativ erhoben, um adäquate Komponenten für das VDBD-Schulungsprogramm zu identifizieren", beschreibt Gesundheits- und Diabeteswissenschaftler Hecht die wichtigsten Elemente der ersten Projektphase, die von Mitte August bis Ende Dezember 2016 umgesetzt wird.

Kooperation

Damit dies gelingt, kooperiert der VDBD für die Analyse der Schulungsprogramme mit dem RED-Institut. Die qualitative Erhebung in Form von sogenannten Fokusgruppen sowie die quantitative Erhebung mittels eines Online-Fragebogens ist Aufgabe des Teams um Prof. Dr. Ulrich A. Müller, Leiter des Funktionsbereiches, Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen am Universitätsklinikum Jena.

Prof. Müller und seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Nicolle Müller haben jahrelange Erfahrungen in der Durchführung von klinischen Studien und waren auch an der Entwicklung von Patientenschulungsprogrammen sowie deren Evaluationen beteiligt. Beide sind als Autoren von Nationalen Versorgungsleitlinien für die Deutsche Diabetesgesellschaft und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft tätig und verfügen über Erfahrungen in der Schulung und Versorgung von Menschen mit Diabetes.

Interventionsstudie

Projektphase 2, die im nächsten Jahr beginnt, sieht die eigentliche Entwicklung des Curriculums vor und Projektphase 3 schließlich die wissenschaftliche Evaluierung und flächendeckende Implementierung des neuen Schulungsprogramms. Konkret heißt das: Die Wirksamkeit des Schulungsprogramms wird in einer methodisch geeigneten Interventionsstudie getestet.

Um eine flächendeckende Implementierung zu gewährleisten, ist zudem geplant, die Zertifizierung des Schulungsprogramms durch das Bundesversicherungsamt und eine Aufnahme in den Leistungskatalog der Krankenkassen zu beantragen.



Autor: Dr. Eric Risch

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2016; 28 (9) Seite 36-37