Kommt es durch die Verwendung citrathaltiger Blutentnahmeröhrchen zu "artifiziell" mehr Diagnosen eines Gestationsdiabetes?

Stand der Dinge

Die Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie (AGDT)/Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Vereinte Gesellschaft für klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) haben in mehreren aktuellen Stellungnahmen und Publikationen auf die Notwendigkeit der Verwendung von NaF/Citrat-Röhrchen anstelle von NaF-Röhrchen und der adäquaten Handhabung dieser Röhrchen bei der Diagnostik des Gestationsdiabetes (GDM) hingewiesen (1 – 4). Die Leitlinie für GDM erfüllt bereits seit 2011 die Anforderungen an eine S3-Leitlinie, plangemäß wird für 2016 eine Aktualisierung der S3-GDM-Leitlinie vorbereitet (5).

Im Dezember 2014 hat die DDG ihre daraus abgeleiteten Praxisleitlinien zur Diagnostik des Diabetes mellitus entsprechend aktualisiert (6). Es fehlt allerdings eine S3-Leitlinie zur Diabetesdiagnostik (auch unter Berücksichtigung der Sinnhaftigkeit der Nutzung der HbA1c-Messung zu diagnostischen Zwecken). In diesem Zusammenhang gilt es auch, die Anforderungen an die eigentliche Messtechnik bei der GDM-Diagnostik zu beachten. Dazu gibt es eine aktuelle gemeinsame Konsensempfehlung der DDG und der DGKL (7). Ein spezielles Thema in diesem Zusammenhang sind die Ringversuche. Bei der Messung dieser modifizierten Serumproben werden Abweichungen von ± 15 % akzeptiert, was in Anbetracht der Anforderungen an die Messgüte recht weite Grenzen sind.

Die Verwendung geeigneter Teströhrchen (z. B. Sarstedt S-Monovette® GlucoEXACT, Greiner Bio-One Vacuette® Glucomedics, Kabe Labortechnik Primavette S®, Kabevette G®, Terumo VenoSafe® Glycemia) wird nun für alle Patienten bei einer Diabetesdiagnoseuntersuchung empfohlen, nicht nur bei der GDM-Diagnostik. Bei dem häufig verwendeten Sarstedt-System (dieses hat ein vorgelegtes Citratvolumen und einen festen Korrekturfaktor) kann es bei Abweichungen im Hämatokrit oder nicht vollständiger Füllung der Monovette zu Fehlern im Ergebnis von ca. -4 % bis ca. +3 % kommen.

Der feste Korrekturfaktor ist auf einen Hämatokrit von 0,4 l/l (40 %) ausgelegt, bei Schwangeren sinkt der Hämatokrit und die untere Referenzbereichsgrenze liegt dann bei ca. 0,3 l/l (30 %), so dass hier ein Berechnungsfehler von ca. +2 % entstehen kann. Bei ausgeprägter Plasmavermehrung sind auch Fehlerwerte von bis ca. +3 % möglich (wenn der Hämatokrit z. B. 0,25 l/l bzw. 25 % beträgt). Eine Unterfüllung von 10 % führt zu einer Messabweichung von ca. -2 %. Bei dem System von Terumo liegen die Additive als Trockensubstanz vor, hierbei gibt es keinen Verdünnungsfehler. Allerdings müssen die Proben sehr gut gemischt werden, sonst kommt es auch hierbei zu Fehlmessungen. Von Laborärzten wird bei Verwendung solcher Röhrchen die Einsendung von hämolytischen Proben berichtet, d. h. das Blut wurde zu rasch in die Röhrchen aufgesogen.

Die Vermeidung solcher Handhabungsfehler verlangt entsprechend geschulte und motivierte Mitarbeiter – dies ist wohl in allgemeinärztlichen und gynäkologischen Praxen nicht immer der Fall, besonders dann nicht, wenn die Laborprozeduren nicht detailliert in Prozessbeschreibungen des Qualitätsmanagements niedergeschrieben sind und dementsprechend konsequent gelebt werden. Dafür stellt die Verwendung citrathaltiger Teströhrchen in Ländern wie Finnland, Dänemark, Schweden oder Polen und Japan den Standard dar. Unklar ist die Situation in den USA (8). Daraus kann man ableiten, dass in Deutschland idealerweise von den Herstellern für die GDM-Diagnostik nur noch Röhrchen mit NaF und Citrat angeboten werden sollten, um Konfusion zu vermeiden.

In der Realität akzeptieren wohl viele Labore auch Vollblut (!)-Einsendungen sowie Serumproben, bei denen keine Separierung vorgenommen wurde (kein Ausschluss einer Glykolyse), und messen darin Glukose und lehnen solche Proben leider nicht ab. Eine systematische Evaluierung dazu, welche Art von Proben (und welche Teströhrchen) aktuell in die Labors eingesandt werden und ob diese geeignet behandelt wurden, wäre in diesem Zusammenhang von hohem Interesse. Klar ist auch, dass das Drängen auf die Wiederholung eines oralen Glukosetoleranztests (oGTTs) aufgrund inadäquater Präanalytik nicht nur zu Ärger bei dem Einsender der Proben führt, sondern sich dieser ebenfalls verärgerten Patienten gegenübersieht. Weiterhin ist unklar, wer die Kosten für solche Wiederholungsmessungen/-prozeduren trägt.

Nach der Veröffentlichung der Empfehlung zur Umstellung auf citrathaltige Blutentnahmeröhrchen gab es – insbesondere von Laborärzten – diverse Rückfragen und Diskussionen zur Nutzung der adäquaten Blutentnahmeröhrchen (9). Dabei geht es einerseits um die praktische Handhabung der Röhrchen. Diese ist anspruchsvoller in Hinsicht auf die eigentliche Probenabnahme (Verwendung geeigneter Adapter bei Vakuumsystemen), exakte Füllung der Röhrchen und Mischung mit den zugesetzten Substanzen (5- bis 10-maliges Über-Kopf-Mischen). Es scheint allerdings, als ob Handhabungsprobleme in bestimmten Regionen in Deutschland häufiger auftreten als in anderen. So gibt es z. B. in Schleswig-Holstein dieses Problem bisher nicht (HK, persönliche Mitteilung).

Andererseits geht es bei einzelnen Berichten zu diesem Thema vor allem darum, dass bei mehr Frauen erhöhte Glukosewerte (+5 %?) gemessen werden (10). Als Folge der besseren Glykolyseinhibition liegen die Werte der Frauen anscheinend näher an dem wahren In-vivo-Wert und die Diagnose GDM wird häufiger gestellt, als dies bisher der Fall war. Es gilt zu betonen, dass es keine Publikationen von geeignet durchgeführten Studien gibt, die diese Aussagen eindeutig belegen, sondern dies mehr anekdotische Berichte sind. Die Daten der Perinatalstatistik sprechen eindeutig dagegen: Auf Bundesebene ist die GDM-Prävalenz nicht angestiegen.

Die Frage, die verschiedentlich an Mitglieder der AGDT/DDG gestellt wurde, ist: Müssen im Zusammenhang mit der Umstellung bei den Teströhrchen die Referenzbereiche bzw. Bewertungsgrenzen für die GDM-Diagnose angepasst werden, um eine "künstliche" Erhöhung der Prävalenz von GDM-Diagnosen (aber auch die für eine erhöhte Nüchternglukose (IFG), eine eingeschränkte Glukosetoleranz (IGT) oder andere Diabetesformen) zu vermeiden?

Die Kernfrage, die dahintersteht, ist: Wurde bei der Ermittlung der Bewertungsgrenzen für die GDM-Diagnostik (wie auch die Diabetesdiagnose insgesamt) eine geeignete präanalytische Handhabung der Proben implementiert (die de facto mit der Situation bei der Verwendung geeigneter Teströhrchen vergleichbar ist) oder nicht? Falls nicht, müssten die Bewertungsgrenzen eigentlich unter Berücksichtigung solcher methodischen Aspekte neu evaluiert werden, um zu vermeiden, dass durch die Änderung bei der Präanalytik Gesunde plötzlich als krank betrachtet werden. Eine ungerechtfertigte Zunahme der GDM-, IGT- und Diabetesdiagnosen würde zu mehr HbA1c-Messungen, oGTTs, Arztbesuchen und Insulintherapien bei Schwangeren führen. Neben den damit verbundenen Kosten gilt es, psychologische Aspekte bei den Patienten zu bedenken.

In dieser Stellungnahme sollen die verfügbaren Informationen/Daten beleuchtet werden, die zur Klärung dieser Frage verfügbar sind, wobei der Fokus auf der GDM-Diagnose liegt.

Studien zur GDM-/Diabetesdiagnose

Die aktuellen Bewertungskriterien zur GDM-Diagnose beziehen sich insbesondere auf die "Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcomes" (HAPO)-Studie (11). Für diese Studie gibt es ausführliche Literatur zur verwendeten Methodik (12). In der HAPO-Studie wurde mit einer strengen Standard Operating Procedure (SOP) und maximal möglichem Aufwand ein präanalytischer Glukoseabbau verhindert, wobei allerdings einige konkrete Fragen zur Methodik offenbleiben. Im persönlichen Gespräch mit den Leitern der HAPO-Studie konnten diese Fragen geklärt werden (persönliche Korrespondenz HK).

Bei dieser Studie wurden die Vollblutproben von 25 000 Schwangeren in 16 weltweit teilnehmenden Feldzentren sofort nach Entnahme auf Eis gelagert und innerhalb von einer Stunde in einer gekühlten Zentrifuge separiert. Das Plasma wurde dann tiefgefroren und nach Belfast (Irland) in ein Zentrallabor geschickt inkl. einer Back-up-Probe. Ein Problem bei Lagerung von Vollblutproben auf Eis ist die dabei eintretende Hämolyse. Unserer Einschätzung nach liefert diese Studie eine gute Evidenz für die Verwendung der aktuellen GDM-Diagnosewerte.

Wenn man davon ausgeht, dass solche in epidemiologischen Studien mit großen Patientenzahlen ermittelten Blutglukosegrenzwerte mit einer optimalen Methodik (s. u.) gemessen wurden, dann gilt es, diese als Goldstandard zu betrachten. Die Präanalytik im Einzelfall in der Praxis will durch die Verwendung geeigneter Blutentnahmeröhrchen eigentlich analog zum Goldstandard vorgehen, um den Glukoseverlust in vitro zu vermeiden. Idealerweise würde die Frage nach einer signifikanten Differenz in der gemessenen Glukosekonzentration durch Parallelmessungen an einer größeren Stichprobe von Menschen mit unterschiedlichen Glukosewerten geklärt.

Zu der bei dieser Studie verwendeten Methodik wurden in den genannten Berichten zwei kritische Anmerkungen geäußert:

  1. In einer aktuellen Untersuchung wurde allerdings in eisgekühltem Heparinblut ein vergleichbares Ausmaß an Glykolyse beobachtet wie bei Glykolysehemmung mit Fluorid (13). Sollten diese Daten reproduzierbar sein, würde sich wirklich die Frage stellen, ob die in der HAPO-Studie ermittelten Grenzwerte analog auf die bei Abnahme mit Fluorid-Citrat-Monovetten gemessenen Werte übertragbar sind oder ob hier dann nicht zu viele (falsch) positive Testergebnisse entstehen. Dabei wird in dieser Publikation die Verwendung von NaF-Citrat-Röhrchen für die Diabetesdiagnostik eindeutig empfohlen.
  2. Die in Deutschland für die Glukosemessung vielfach verwendete Hexokinasemethode hat ein pH-Optimum von 7,5 bis 9,0. Die Reagenzpuffer sind meist auf einen pH von 7,0 bis 8,0 eingestellt (Angabe Roche, Mannheim). Möglicherweise hat die pH-Absenkung der Blutprobe im Röhrchen auf einen Bereich von pH 5,3 bis 5,9 (Angabe Terumo, Eschborn) einen Effekt im Hinblick auf die Aktivität der Hexokinase im Reaktionsansatz.

Zu unserer Kenntnis reicht bei allen praktizierten Labormethoden, wegen der Plasmaprobenverdünnung von in der Regel 1 : 10 bis 1 : 20, die Pufferkapazität im Reaktionsansatz aus, um im basischen Optimalbereich z. B. der Hexokinasemethode messen zu können. Daher halten wir dies für kein reales Problem; weder aus dem europäischen Ausland noch aus Japan gibt es entsprechende Berichte trotz langjährigen Einsatzes z. B. der Terumo-Blutabnahmesysteme für die präanalytische Glykolysehemmung.

Die in den DDG-Leitlinien empfohlenen Diagnosekriterien für eine IFG (100 mg/dl bzw. 5,6 mmol/l) und Diabetes (126 mg/dl bzw. 7,0 mmol/l) wurden dagegen vor der Einführung von Blutentnahmeröhrchen mit geeigneten Glykolyseinhibitoren festgelegt. Deshalb stellt sich die Frage, ob bei den entsprechenden epidemiologischen Studien eine adäquate Präanalytik verwendet wurde oder nicht. Bei keiner der epidemiologischen Studien, auf denen die Grenzwerte beruhen, kann im Nachhinein im Detail nachvollzogen werden, wie die Analytik dabei durchgeführt wurde bzw. ob sich die verwendeten Methoden weiterentwickelt haben. Es kann also sein, dass durch die heute verwendeten Messmethoden Fehler vermieden werden (z. B. eben bei der Präanalytik), die bei den Studien, auf die sich die Diagnosegrenzwerte beziehen, nicht in gleicher Form berücksichtigt wurden; dadurch würde die Prävalenz ansteigen. Somit besteht die Notwendigkeit einer Reevaluierung der Grenzwerte.

GDM-Prävalenz in Deutschland

Bei der HAPO-Studie wurde eine Prävalenz von GDM von im Mittel 16 % beobachtet, die niedrigsten Raten wurden mit 9,3 % in Israel gemessen. Die Daten für Deutschland liegen dagegen seit 2011 konstant zwischen 4,3 % und 4,5 %, d. h. wesentlich niedriger. Diese Unterschiede können nun durch eine Vielzahl von Faktoren bedingt sein, aber es kann eben auch eine "Unterschätzung" der Prävalenz in Deutschland geben durch die bisherige Verwendung ungeeigneter Teströhrchen, d. h. möglicherweise gab es relativ viele falsch negative Befunde. Eine aktuelle Auswertung zu den GDM-Raten in den letzten Jahren (2011 bis 2014) hat keine Hinweise auf eine Steigerung der Prävalenz geliefert (14, 15). Interessant ist die Frage, warum diese geringere Prävalenz in Deutschland nicht zu einem energischen Nachdenken über mögliche systematische Ursachen geführt hat. Die Diskussion hätte sich ja an dem schon lange bekannten Problem der Verwendung von NaF als unzureichendem Glykolyseinhibitor entzünden können.

Von der "International Association of Diabetes and Pregnancy Study Groups (IADPSG)", einer internationalen Konsensgruppe mit Repräsentanten von zahlreichen gynäkologischen und diabetologischen Fachgesellschaften, wurden – basierend auf den Daten der HAPO-Studie – neue Empfehlungen für die Diagnose eines GDM erstellt (16). Für die GDM-Diagnose wird das Erreichen oder Überschreiten von lediglich einem der drei oGTT-Grenzwerte (Nüchtern-, 1-Stunden- und 2-Stunden-Wert) im venösen Plasma gewertet, bei Verwendung der gleichen Grenzwerte wie in den deutschen Leitlinien. Allerdings diskutierte einer der Sprecher der IADPSG bei einem aktuellen Symposium in Berlin, dass der festgelegte Grenzwert der Nüchternglykämie (92 mg/dl, 5,1 mmol/l) möglicherweise zu niedrig angesetzt ist.

Im Februar 2015 hat das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) mit der Leitlinie "Diabetes in pregnancy: management of diabetes and its complications from preconception to the postnatal period" (17) einen Kompromissvorschlag gemacht: Die Diagnose GDM wird gestellt, wenn ein nüchtern gemessener Plasmaglukosewert von ≥ 100 mg/dl (5,6 mmol/l) oder ein 2-Stunden-Wert von ≥ 140 mg/dl (7,8 mmol/l) gemessen wird. Die Zahlen für die GDM-Prävalenz dürften damit niedriger sein als bei Verwendung der IADPSG-Kriterien. Das NICE bemängelte in der umfangreichen Beurteilung der vorliegenden Daten zum GDM die schlechte Qualität der bisherigen Schwangerschaftsstudien, die prospektiv und randomisiert mit den IADPSG-Kriterien durchgeführt wurden. Weitere nationale und internationale Studien mit einem geeigneten Studiendesign/einer geeigneten Studienmethodik werden zeigen müssen, wie die Kosten-Nutzen-Relation in der GDM-Diagnostik optimiert werden kann. Dies entspricht auch einer aktuellen Initiative der Europäischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (18).

Validierung durch Praxisdaten

Leider ist nicht bekannt, in wie vielen Diabetesschwerpunktpraxen (DSPen) die Glukosekonzentration in den Blutproben unmittelbar nach der Entnahme direkt bestimmt wird oder die Blutproben an ein Zentrallabor versandt werden. Unter der Annahme, dass in den DSPen, die direkt messen, geeignete Messsysteme für die Glukosemessung verwendet werden (hochqualitative Messung unter Vermeidung von Glykolyseproblemen), sollte die Häufigkeit von GDM-Diagnosen in diesen DSPen eigentlich vergleichbar sein mit denjenigen, die nun geeignete Teströhrchen verwenden und bei denen diese Diagnose nun häufiger auftreten sollte (in der Vergangenheit müssen diese DSPen weniger solche Diagnosen gehabt haben).

Alternativen für Praxis und Klinik

Das beste Verfahren zur GDM-Diagnostik (aber auch jeder anderen Diabetesdiagnostik) ist es, jede Blutprobe sofort nach der Entnahme mit einer qualitätsgesicherten Methode zu messen. Wenn jede (!) Blutprobe innerhalb von 30 Minuten nach der Abnahme mit Sicherheit adäquat weiterverarbeitet werden kann (zentrifugiert wird), wird der glykolysebedingte Abfall in der Glukosekonzentration vernachlässigbar und die Probe kann im Labor gemessen werden. Wichtig ist, dass unmittelbar nach dem Zentrifugieren das Plasma von den Zellen getrennt wird, d. h. durch Abpipettieren in ein anderes Röhrchen überführt wird.

Dabei muss die Zentrifuge keine gekühlte Variante sein, es reicht eine eher einfache Version. Das bedeutet, dass es nicht zulässig ist, alle Proben eines oGTT stehenzulassen und diese dann erst im Labor zentrifugieren zu lassen. Dann steht die Nüchternblutprobe schon 3 Stunden. Da es nach 60 Minuten durch Glykolyse schon zu einem Absinken der Glukosekonzentration um 4 % kommt, bedeutet dies für den Grenzbereich bei allgemeiner Diabetesdiagnostik, nach 2 Stunden z. B. eine Abweichung von bis 8 mg/dl nach unten zu tolerieren, bei einem wahren Wert von 202 mg/dl. Dies kann zu systematisch falsch negativen Ergebnissen führen. Wenn eine solche rasche Probenhandhabung gewährleistet werden kann, dann kann die Blutgewinnung durch mit Eis gekühlte Heparinröhrchen (Achtung: Hämolysegefahr) oder NaF-Röhrchen erfolgen.

In vielen anderen Ländern werden oGTTs im Labor durchgeführt, d. h. wenn diese diagnostische Maßnahme zumindest bei Schwangeren vollständig dort erfolgen würde, würde die Problematik mit unzureichender Messqualität (wodurch immer bedingt) entfallen. Ein konkret in Deutschland machbarer Schritt wäre, wenn die GDM-Diagnostik gezielt nur in solchen Praxen (vermutlich insbesondere DSPen) durchgeführt würde, die zuverlässige Messergebnisse sowohl in Hinsicht auf Präanalytik wie auch auf die eigentliche Analytik gewährleisten können.

Zusammenfassung

Eine Anpassung der Bewertungsgrenzen würde im Prinzip eine entsprechende Neuauflage der HAPO-Studie verlangen. Dies ist eher nicht realistisch, sowohl aus zeitlichen Gründen (dauert ca. 5 Jahre) als auch ökonomischen Gründen (wer finanziert solch eine Studie?). Daher plädieren wir für eine Beibehaltung der in den aktuellen DDG-Praxisempfehlungen und -Leitlinien publizierten Blutglukosegrenzwerte mit den zugehörigen präanalytischen und analytischen Verfahrensoptionen. Dies bedeutet auch, dass die aktuellen Diagnosekriterien für GDM beibehalten werden; die im Zusammenhang mit der Nutzung von geeigneten Blutentnahmeröhrchen beobachtete Zunahme an positiven Diagnosen reflektiert unserer Ansicht nach die Realität. Die in dem Zusammenhang mit der Umstellung auf geeignete Blutentnahmeröhrchen initiierte Diskussion präanalytischer Probleme und der damit einhergehenden GDM-Diagnosehäufigkeit führt hoffentlich zu einer höheren Wahrnehmung der Problematik bei Diabetologen, aber auch bei Gynäkologen und Laborärzten.

Da Grenzwerte zur Diagnose keine Naturkonstanten sind, sondern auf methodischen Aspekten und Übereinkünften beruhen, hat der Vorstand der DDG in Anbetracht der Bedeutung von solchen klinisch-chemischen Parametern für eine adäquate Diabetesdiagnose und die Betreuung von Menschen mit Diabetes die Gründung einer Kommission beschlossen, die sich seit Juli 2015 vorrangig um diese Themen kümmert. Dies bedeutet, dass die AGDT dafür nicht mehr der Ansprechpartner ist, sondern die Kommission Klinische Chemie der DDG (KKD). Dabei sind Vertreter der AGDT in der KKD federführend vertreten. In der Kommission sollten auch Laborärzte und niedergelassene Kollegen vertreten sein sowie ein Epidemiologe und ein Statistiker.

Eine Aufgabe dieser Kommission wird bestimmt auch die Organisation von Fortbildungen zum Thema Labordiagnostik sowohl für die ärztlichen Kollegen, aber auch das Praxispersonal sein, um eine bessere Handhabung aller relevanten Aspekte bei den verschiedenen Laborparametern zu erreichen, auch in der Kommunikation mit dem Labor. Andere zentrale Aufgaben wären die Erstellung einer evidenzbasierten Leitlinie zur Diabetesdiagnostik und die Organisation von adäquaten Studien bei Bedarf. In Anbetracht der Bedeutung solcher Fragen (auch durch die damit zusammenhängenden Fragen, wie Prävention, und Kosten) hat solch eine Kommission auch kritische (gesundheits)politische Aspekte zu handhaben und mit den Kostenträgern, anderen Fachgesellschaften etc. zu kommunizieren.


Literatur:
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4) Deutsche Diabetes Gesellschaft: Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und ihrer Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Technologie (AGDT) zum richtigen Gestationsdiabetes mellitus-Screening: Kein Einsatz von Blutentnahmeröhrchen, die nur Natrium-Fluorid (NaF) zur Glykolysehemmung enthalten. 2014. http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteur/Stellungnahmen/Stellungnahme_Glucosemessung_GDM_final_mit_Nachtrag_14082014.pdf (Zugriff: 21.07.2015)
5) Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG): Gestationsdiabetes mellitus (GDM) – Evidenzbasierte Leitlinie zu Diagnostik, Therapie u. Nachsorge. 2011. http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteur/Leitlinien/Evidenzbasierte_Leitlinien/Gestationsdiabetes_EbLL_Endfassung_2011_08_11_.pdf (Zugriff: 21.07.2015)
6) Deutsche Diabetes Gesellschaft: Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft: Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes mellitus. Diabetologie 2012; 7 (Suppl 2): S83-S200. http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteur/Leitlinien/Praxisleitlinien/2012/DuS_S2-12_Praxisempfehlungen_Kerner-Brueckel_S84-87.pdf (Zugriff: 21.07.2015)
7) Deutsche Vereinte Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL), Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG): Aktualisierte Anforderungen an die Messqualität und Qualitätssicherung (QS) von Point-of-Care-Testing (POCT)-Blutglukose-Messsystemen mit Unit-use Reagenzien, die für die Erstdiagnostik eines manifesten Diabetes in der Schwangerschaft oder eines Gestationsdiabetes mellitus (GDM) gemäß der GDM-Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) geeignet sind – Konsensus-Empfehlung der Deutschen Vereinten Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) mit der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) 2015. http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteur/Stellungnahmen/2015/Aktualisierte_Anforderungen_an_die_Messqualit%C3%A4t_..._TK_2015_2_10.pdf (Zugriff: 21.07.2015)
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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Lutz Heinemann

Kehler Straße 24
40468 Düsseldorf

Interessenkonflikte: Lutz Heinemann ist Berater einer Reihe von Unternehmen, die neue diagnostische und therapeutische Optionen für die Diabetestherapie entwickeln. Er ist 1. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie (AGDT) der DDG und Managing Editor der Zeitschrift "Journal of Diabetes Science & Technology". Er ist Anteilseigner bei dem Profil Institut für Stoffwechselforschung in Neuss und dem Profil Institute for Clinical Research, San Diego (USA).
Theodor Koschinsky hat Vortragshonorare von den Unternehmen Bayer Vital und Nova Biomedical erhalten.
Helmut Kleinwechter hat Vortragshonorare von den Unternehmen Berlin-Chemie und Novo Nordisk sowie Vortrags- und Beraterhonorare vom Unternehmen Bayer Vital erhalten.
Guido Freckmann ist 2. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie (AGDT) der DDG. Er ist Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer des Instituts für Diabetes-Technologie Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH, das im Auftrag verschiedener Unternehmen Studien mit Medizinprodukten durchführt.


Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2015; 25 (4) Seite 279-283