400 Teststreifen pro Quartal? Oder 500? Viele Typ-1-Diabetiker haben beim Thema Blutzuckermessung Kämpfe auszutragen. Und für Typ-2-Diabetiker: 50? Mehr? Zu dieser Frage gab es bislang viel Unklarheit. Nun liegt die eindeutige Bestätigung einer offiziellen Stelle vor: Es gibt keine Höchst-menge, an die sich Ärzte halten müssen! Diabetes-Journal-Autor Oliver Ebert hat recherchiert und eindeutige Auskunft bekommen - von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, deren Aussage bundesweit gültig ist.

Blutzuckerselbstmessung nicht wegzudenken

Die Blutzuckerselbstmessung ist in der Diabetestherapie nicht wegzudenken. Ohne solche Selbsttests könnten Millionen Diabetiker in Deutschland keinen vernünftigen Alltag führen. Die Anzahl der am Tag benötigten Messungen hängt von der Stoffwechselsituation und den Lebensumständen ab. Manchen Betroffenen reichen nur wenige Messungen; andere müssen sehr oft den Blutzucker bestimmen, um Unterzuckerungen oder Gefahrenzustände zu erkennen.

Insulintherapie oder nicht? Dies macht den Unterschied

Aus diesem Grund dürfen Diabetikern mit Insulintherapie solche Teststreifen in benötigter Anzahl auf Kassenrezept verordnet werden. Der Arzt ist hierbei auch nicht in der Verordnungsmenge beschränkt. Anders ist es nur bei nichtinsulinpflichtigen Patienten: Dort ist die Verordnung grundsätzlich auf bis zu 50 Teststreifen pro Behandlungssituation gedeckelt.

Rechtslage ist eigentlich eindeutig, aber...

Die Rechtslage ist insoweit eigentlich eindeutig. Der Arzt fürchtet Regress?…Viele Patienten erhalten dennoch nicht die benötigte Anzahl an Teststreifen: Obwohl selbst die Ärzte eine höhere Teststreifenmenge für notwendig halten, wird aus Angst vor einem Regress häufig nur bis zur einer bestimmten Höchstmenge pro Quartal verordnet.

...Arzt fürchtet Regress

Begründet wird dies mit der irrigen Annahme, dass eine Überschreitung bestimmter Verordnungsmengen (in der Regel 400 Stück/Quartal) pauschal untersagt sei.

Rechtslage missverstanden

Dies liegt wohl daran, dass die von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen hierzu vermittelten Informationen oft so formuliert sind, dass Ärzte die Rechtslage missverstehen. Auch wenn dort zutreffend nur von „Richtgrößen“ oder „Orientierungsrahmen“ gesprochen wird: Der Kontext suggeriert dennoch oft, dass es sich dabei um zwingende Höchstmengen handelt, die keinesfalls überschritten werden dürften.

Viele erhalten nicht die benötigte Anzahl

Mich erreichen daher permanent Anfragen von Betroffenen, die vom Arzt nicht die benötigte Teststreifenmenge erhalten. Auch in meinen Vorträgen erlebe ich oft, dass ein erheblicher Teil der Ärzte und Dia­betesberaterinnen felsenfest behauptet, die Teststreifenverordnung sei durch bestimmte Höchstmengen „gedeckelt“, die man keinesfalls überschreiten dürfe.

Arzt: Therapiefreiheit

Mir sind schon Fälle zu Ohren gekommen, in denen Ärzte eine Teststreifenverordnung davon abhängig machten, dass der Patient eine schriftliche Erlaubnis der Krankenkasse für eine solche Verordnung vorlegt. Eine solche Bestätigung kann man aber nicht bekommen, denn die Krankenkasse hat hier gar nichts zu entscheiden. Die Krankenkasse spielt den Ball wieder zurück und verweist zu Recht auf die insoweit uneingeschränkte Therapie- und Behandlungsfreiheit des Arztes.

Oft bezahlen Betroffene selbst

Den Patienten bleibt dann nur noch die Möglichkeit, sich die zusätzlich benötigten Teststreifen auf eigene Kosten zu beschaffen – was gerade für sozial schwache Menschen oft nicht möglich ist.

Verweigern? Darf nicht sein

Nun: Es kann und darf nicht sein, dass Menschen die ihnen zustehende Versorgung mit Teststreifen verweigert wird; also müssen Unklarheiten und Missverständnisse ausgeräumt werden. Mein Eindruck war ohnehin, dass mir, obwohl Rechtsanwalt, in Vorträgen oder Publikationen bei diesem Thema nur selten so richtig geglaubt worden ist. Und wenn Patienten mit irgendwelchen Zeitungsausschnitten zu diesem Thema kommen, wird das ebenfalls nur selten ernstgenommen.


Vorabveröffentlichung aus der Diabetes-Journal-Ausgabe 4/2014

Skepsis ist aber nachvollziehbar

Die Skepsis der Ärzte kann ich aber nachvollziehen, denn wenn es wirklich zu einem Regress kommt, dann hat man als Arzt erheblichen Ärger. Die einzige Instanz, auf deren Aussage die Ärzte insoweit vertrauen, dürfte wohl die Kassenärztliche Vereinigung (KV) sein – diese wäre für die Einleitung solcher Regresse zuständig.

Teststreifen-Auskunft: Es gibt keine Obergrenze!

Daher habe ich nun einen anderen Weg gewählt: Nach dem Informationsfreiheitsgesetz hat jedermann grundsätzlichen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Ich habe daher exemplarisch die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe angeschrieben – aus dieser Region erreichten mich bislang die meisten Fragen – und um Beantwortung von 4 Fragen gebeten. Die Antwort kam prompt und enthält nun die klare, offizielle Bestätigung: Nein, es gibt keine Obergrenze zur Teststreifenverordnung bei insulinpflichtigem Diabetes!

Klare Fragen – eindeutige Antworten!

Auf die Frage: „Gibt es eine verbindliche Verordnungshöchstmenge für Blutzuckerteststreifen bei insulinpflichtigem Diabetes mellitus?“ erfolgte die klare Antwort: „nein“! Auch vorgegebene Richtgrößen oder Orientierungsrahmen sind für den Arzt nicht bindend. Die KV bestätigt hierzu zutreffend: „schon der Begriff ‚Orientierungsrahmen‘ stellt klar, dass es sich nicht um Höchstgrenzen handelt.“Schließlich wollte ich auch eine Unklarheit bei nichtinsulinpflichtigem Diabetes ausräumen:

Und ohne Insulin?

Viele Ärzte gehen nämlich davon aus, dass sie bei nichtinsulinpflichtigem Typ-2-Diabetes maximal 50 Teststreifen pro Quartal verschreiben dürften. Das stimmt aber nicht, denn der Text in der Arzneimittel-Richtlinie spricht nur von einer „Behandlungssituation“ – und eine solche kann auch mehrmals pro Quartal vorkommen. Auch hier hat die KV klar bestätigt: „Es gibt keine Begrenzung auf das Quartal!“

Erstmals eine klare Aussage - bundesweit gültig

Mit dieser Bestätigung der KV liegt erstmals eine solche klare Aussage einer offiziellen Stelle vor, die nun auch die letzten Zweifel ausräumen sollte. Die Arznei- und Hilfsmittelversorgung ist bundesweit einheitlich gesetzlich geregelt, es gibt insoweit keine länderspezifischen Unterschiede. Die vorliegende Auskunft der KV Westfalen-Lippe gilt daher bundesweit.

Offizielle Bestätigung gibt Sicherheit für alle

Mit dieser offiziellen Bestätigung sollten Sie, liebe Leser, es künftig hoffentlich deutlich einfacher haben, Probleme bei der Teststreifenverordnung zu lösen. Und auch für Ihren Arzt bietet diese Bestätigung eine Sicherheit: Denn es handelt sich dabei nicht um die bloße Aussage eines Teststreifenherstellers oder eine einzelne juristische Meinung, sondern um die amtliche Bestätigung einer KV, die auch für die Wirtschaftlichkeitsprüfungen (und somit die „Regresse“) bei Ärzten zuständig ist.

Mein Anschreiben wie auch die Antwort der KV können Sie dazu kostenfrei im Internet herunterladen und ausdrucken.



Autor:
RA Oliver Ebert, Stuttgart/Balingen

Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht, REK Rechtsanwälte, Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart sowie Friedrichstraße 49, 72336 BalingenE-Mail: sekretariat@rek.de , Internet: www.diabetes-und-recht.de


Vorabveröffentlichung aus der Diabetes-Journal-Ausgabe 4/2014