Den diesjährigen Menarini-Preis erhält Priv.-Doz. Dr. med. Martin Heni vom Universitätsklinikum Tübingen. Heni erforscht die Regulation der Nahrungsaufnahme und der daran beteiligten Hormone, wie z.B. Insulin und Glukagon. Im Rahmen seiner Forschungsprojekte entdeckte der 35-Jährige Mediziner Unterschiede zwischen schlanken und übergewichtigen Probanden bei der Verarbeitung von Essensreizen im Gehirn.

Warum können Menschen aufhören zu essen, obwohl sie zahlreiche appetitliche Speisen vor sich sehen? Weshalb schlemmen andere Menschen scheinbar ungehemmt und ohne Sättigungsgefühl weiter? – Die Regulation der Nahrungsmenge birgt noch viele Geheimnisse. Neue Erkenntnisse in diesem Forschungsbereich, wie z.B. zur Rolle des Gehirns im menschlichen Stoffwechsel, könnten wegweisend für die Therapie und das Verständnis des Diabetes sein. „Wir sind mittlerweile davon überzeugt, dass das Gehirn ein wichtiger Regulator des Stoffwechsels im ganzen Körper ist“, sagt Priv.-Doz. Dr. med. Martin Heni, Tübingen. Er betont, dass das menschliche Gehirn nicht nur auf Veränderungen im Stoffwechsel reagiere, sondern den Metabolismus im gesamten Körper beeinflusse.

Verarbeitung postprandialer Blutzuckerspiegel im Gehirn

Unterschiede bei der Verarbeitung von Essensreizen bei übergewichtigen und schlanken Menschen wies Heni bereits in früheren Forschungen nach. Dazu untersuchte er mit seinem Team mittels funktioneller Kernspintomographie den Effekt eines oralen Glukosetoleranztests (oGTT) auf die Verarbeitung von Essensreizen im Gehirn [1]. Heni konnte entschlüsseln, welche Wirkungen das postprandiale Milieu auf den Hypothalamus – die Schaltzentrale des Stoffwechsels – und den präfrontalen Kortex hat: „Der oGTT führte in vielen Hirnregionen zu Änderungen der Hirnaktivität und der Reaktion auf Nahrungsreize.“ Der Preisträger beobachtete insbesondere in Arealen Veränderungen, die für die höhere visuelle Verarbeitung von Nahrungsreizen zuständig sind und die entscheiden, wie appetitlich wir Speisen finden. „Interessanterweise gab es – sowohl im Hypothalamus als auch in frontalen Gehirnregionen – zwischen schlanken und übergewichtigen Personen große postprandiale Unterschiede.“

Glukagon – weit mehr als nur Gegenspieler des Insulins

Aufgrund seiner bisherigen Beobachtungen nimmt Heni an, dass postprandial sezernierte Hormone eine wichtige Rolle bei der Regulation der Nahrungsaufnahme spielen [1]. Zu diesen Hormonen zählt auch das Peptidhormon Glukagon, das im menschlichen Körper zahlreiche Aufgaben hat, die weit über seine allgemein bekannte Funktion als Gegenspieler des Insulins hinausgehen. So wurde beispielsweise beim Menschen nachgewiesen, dass eine Infusion mit Glukagon zusammen mit Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1) die Nahrungsaufnahme reduziert [2].

Darüber hinaus konnte Heni in eigenen unveröffentlichten Vorarbeiten beobachten, dass die postprandiale Sekretion von Glukagon nicht bei allen Menschen gleich verläuft: Der Preisträger hat mit seinem Team bei fast 2.000 Personen aus zwei unabhängigen Kohorten den Glukagonverlauf während eines oGTT untersucht. Auffällig war, dass nicht bei allen Personen dabei die Glukagonspiegel abfielen – bei etwa 20 % der Teilnehmer blieb der Spiegel stabil oder stieg sogar an. „Diese Personen waren überraschenderweise schlanker, hatten eine bessere Insulinsensitivität und ein vermindertes Prädiabetesrisiko“, berichtet Heni. „Während ein erhöhter Nüchternglukagonspiegel metabolisch ungünstig ist, könnte ein postprandialer Glukagonanstieg also für Gewicht und Stoffwechsel günstig sein“, vermutet der Wissenschaftler.

Diese Annahme wird auch durch tierexperimentelle Arbeiten unterstützt: So konnte in Studien nachgewiesen werden, dass Glukagon an der Regulation des Essverhaltens und der Thermogenese beteiligt ist [3,4] und die Wirkung des Glukagons im Gehirn die endogene Glukoseproduktion in der Leber reduziert [5].

Anschlussprojekt bereits geplant

Das Menarini-Preisgeld verwendet Heni, um sein Anschlussprojekt weiter zu finanzieren. Mit seinem Team möchte er untersuchen, wie sich Personen mit abfallenden Glukagonspiegeln während eines oGTT von jenen mit ansteigenden Glukagonspiegeln in ihrer Verarbeitung von Nahrungsreizen im Gehirn unterscheiden. „Unsere Hypothese ist, dass Personen mit ansteigendem Glukagonspiegel weniger stark auf hochkalorische Nahrungsreize reagieren und ein stärkeres Sättigungsempfinden haben“, erläutert Heni. Während der Stimulation mit Essensbildern soll die regionale Gehirnaktivität analog zu früheren Untersuchungen gemessen werden. „Wir hoffen, dass unsere Studienergebnisse zu einem besseren Verständnis der Glukagonwirkung im Gehirn beitragen und bessere Vorhersagen für die Wirkung von postprandialen Medikamenten ermöglichen.“

Mit den Ergebnissen könnte das Forschungsteam vielleicht die Frage beantworten, ob Koagonisten aus Glukagon und GLP-1, die sich momentan in klinischer Entwicklung befinden, bei allen oder nur manchen Patienten wirken. „Zudem werden wir untersuchen, ob wir die Effekte von Insulin und Glukagon im Gehirn voneinander differenzieren können und ob sie in manchen oder in allen Regionen synergistisch wirken“, so der Preisträger.


Literatur
1. Heni M et al. Differential effect of glucose ingestion on the neural processing of food stimuli in lean and overweight adults. Hum Brain Mapp 2014; 35(3): 918-28
2. Cegla J et al. Coinfusion of low-dose GLP-1 and glucagon in man results in a reduction in food intake. Diabetes 2014; 63(11): 3711-20
3. Geary N. Pancreatic glucagon signals postprandial satiety. Neurosci Biobehav Rev. 1990; 14(3): 323-38
4. Edgerton DS, Cherrington AD. Glucagon’s yin and yang effects on hepatic glucose production. Nat Med 2013; 19(6): 674-5
5. Mighiu PI et al. Hypothalamic glucagon signaling inhibits hepatic glucose production. Nat Med 2013; 19(6): 766-72

Quelle: Pressemitteilung der Berlin-Chemi AG