100 Jahre Insulin. Diesen runden Geburtstag des lebenswichtigen Hormons – es wurde 1921 durch die beiden Mediziner Frederick Grant Banting und Charles Best entdeckt – feierte diabetesDE im Juli in Berlin – teils analog, teils digital.

100 Jahre Insulin: Dank an Banting und Best!
Auf der Website www.100-Jahre-Insulin.de sind neben dem Festakt auch zahlreiche wissenschaftliche Vorträge sowie viele Geschichten von Menschen mit Diabetes und deren Behandlern zu finden.

„100 Jahre Insulin bedeutet, dass viele Menschen davon profitieren konnten, ihre Blutzuckerregulation zu managen“, erklärt etwa Dr. Nicola Haller, Vorstandsvorsitzende des VDBD. „Meinerseits ist die Begleitung, Schulung und Beratung von Menschen mit Diabetes mit und ohne Insulinbehandlung seit 1986 eine Herzensangelegenheit. Damals gab es noch freie Mischungen und tierisches Insulin im ‚handling’bei der lebenswichtigen Diabetesbehandlung“, so Haller.

Sie betont außerdem, dass die Verfügbarkeit schon damals „ein Segen“ gewesen sei, „die Schulung jedoch zeitintensiv und nicht so gut unterstützt durch Schulungsprogramme und Diabetestechnologie wie heute. Das historische Jahr 1921 ist für mich persönlich, mit heute 100 Jahre Insulin wie ein großartiger Jubilar Dank der Wissenschaftler Banting und Best.“

Gänsehaut-Momente – während des Festakts gab es sie immer wieder – ob bei den lebendigen Erzählungen zur Historie des Insulins oder den persönlichen Geschichten von Menschen mit Diabetes, die aus eigener Betroffenheit über ihren Alltag mit der Insulintherapie sprachen.

2040: 12,3 Mio. Menschen mit Diabetes?

„Heute ist ein besonderer Tag“, so der Vorstandsvorsitzende von diabetesDE –Deutsche Diabetes-Hilfe, Dr. Jens Kröger, der die rund 80 Festgäste begrüßte. „Die Entdeckung des Insulins kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.“ Aktuell gibt es knapp 8 Mio. Menschen mit Diabetes in Deutschland. Eine Hochrechnung des Robert Koch-Instituts geht von 12,3 Mio. Menschen mit Diabetes in 2040 aus. 1500 Neuerkrankungen gibt es beim Diabetes jeden Tag – und zusätzlich 2 Mio. Menschen, die nichts von ihrer Diabeteserkrankung wissen.

Insulin sei in Deutschland für circa 400 000 Typ-1-Diabetes-Patienten – darunter 35 000 Kinder – lebensrettend, betonte er. Für circa 2 Mio. Menschen mit Typ-2-Diabetes – neben einer sinnvollen Ernährung, Bewegung, Schulung und weiteren medikamentösen Optionen – ein wichtiger Therapiebaustein. Nicht zuletzt die Entwicklung neuer Insuline, aber auch neue Diabetes-Technologien wie die Insulinpumpe oder die Kontinuierliche Glukosemessung (CGM) hätten die Diabetestherapie in den zurückliegenden Jahren vorangebracht.

Jens Kröger führte hier das Beispiel eines jungen Patienten mit Typ-1-Diabetes an, das – wie viele andere Geschichten an diesem Tag – unter die Haut ging: Tim H., 12, „ist genervt, wenn sein Gerät mit lautem Piepston eine drohende Unterzuckerung anzeigt und sich dann die anderen Kinder umdrehen. Er will nicht durch seinen Diabetes auffallen. (...) Dann wünscht er sich um so mehr, dass es bald die in der Entwicklung befindliche künstliche Bauchspeicheldrüse gäbe.“ Der Festakt erinnerte auch wieder daran, was heute kaum mehr vorstellbar ist: Vor 100 Jahren verlief der Diabetes noch tödlich.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ging zunächst auf sein Dauerthema ein: den Umgang mit der Corona-Pandemie, der die politische Agenda in den zurückliegenden Monaten bestimmt und diverse Ressourcen gebunden habe, auch in seinem Ministerium, so Spahn. Hier bat er um Verständnis, dass die Umsetzung der Nationalen Diabetes-Strategie aufgrund der Pandemiesituation noch auf sich warten ließe.

Er versprach zudem – angeregt durch eine Nachfrage von Jens Kröger – nun verstärkt Druck zu machen und die geplante Aufklärungskampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Thema Diabetes anzuschieben. Spahn machte auch die Zusage, sich im Rahmen der Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) für bundeseinheitliche Unterstützungs­möglichkeiten von Kindern mit Typ-1-Diabetes in Kitas und Schulen einzusetzen, wie es sie etwa schon in England und Frankreich gibt.

Mit Blick auf die Diabetes- und Adipositasprävention hält Spahn das Disease-­Management-Programm (DMP) Adipositas, für „sehr wichtig“, das vor Kurzem gesetzlich verankert wurde (wir berichteten). Den zur Umsetzung der Nationalen Diabetes-Strategie notwendigen Schritt hatte der Bundestag im Juni beraten.

Die Einführung eines strukturierten Behandlungsprogramms für Menschen mit starkem Übergewicht (Adipositas) konnte so noch vor der Sommerpause auf den Weg gebracht werden – mit dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG).

2002: erstes Jahr der DMPs, Spahns erstes Jahr als MdB

„Ich weiß noch, als wir zum ersten Mal über Disease-Management-­Programme gesprochen haben, da hieß es immer: Rezeptbuchmedizin und Leitlinien braucht kein Mensch“, erinnerte Spahn und schob augenzwinkernd hinterher, dass er hier „etwas übertreibe“. 2002 wurden die DMPs in Deutschland eingeführt, genau in dem Jahr übrigens, als der heutige Bundesgesundheitsminister mit gerade mal 22 Jahren für die CDU in den Bundestag einzog.

Die viel diskutierten Behandlungsprogramme sollten die Diabetesversorgung verbessern, so der Plan, u. a. durch das Recht der Patienten auf Schulung und regelmäßige Kontrolltermine (Augenarzt, Fußkontrolle, Nierentest). Nach aktuellen Zahlen der Kassen­ärztlichen Bundesvereinigung (KBV) waren im zurückliegenden Jahr 4,5 Mio. Typ-2-Diabetes-­Patienten in ein DMP eingeschrieben.

Die Debatte um das Für und Wider der DMPs sei in den letzten Jahren weitergegangen, erklärte Spahn, die Therapieentscheidung jedoch immer individuell geblieben. „Aber ein DMP macht für Patienten wie für Behandelnde einen Unterschied.“ Das zeigt auch eine kürzlich publizierte Analyse zur „Versorgungssituation und Mortalität von Patienten in Deutschland innerhalb und außerhalb des DMP Typ-2-Dia­betes“, in der krankenkassenübergreifende Daten untersucht wurden.

Die Autoren kamen hier zu dem Schluss, dass die Übersterblichkeit von Patienten mit Typ-2-Diabetes in Deutschland, die in ein DMP eingeschlossen waren, niedriger ausfiel als bei den nicht eingeschriebenen Personen. Zudem hätten die Programme „vor dem Hintergrund neuerer Erkenntnisse für die Zukunft erhebliches Verbesserungspotenzial“ (vgl. www.diabetologie-online.de/a/2309330).

Derzeit werden die DMPs im Bundestag wieder kontrovers diskutiert und Forderungen einzelner Politiker laut, neben dem neuen DMP Adipositas noch weitere wie etwa für Bluthochdruck einzuführen. Geht es nach Spahn, sollte man die Programme aber eher „breiter ziehen“, da es hier häufig Parallelen gebe, etwa beim Thema „Bewegung und Ernährung“.

„Und täglich pump’ ich Insulin“, mit diesen Worten brachte Matthias Steiner, früherer Gewichtheber mit Typ-1-Diabetes, seinen Alltag mit der Insulinpumpe auf den Punkt. Er berichtete über amüsante, aber auch teils beängstigende Situationen, die er im Rahmen seiner Insulinpumpentherapie schon erlebt hat (z. B. über eine nächtliche Odyssee von Apotheke zu Apotheke, weil das benötigte Zubehör fehlte). Sie machten alle deutlich: Auch ein noch so professionalisiertes Diabetes-Management hat immer auch seine menschliche Seite.

Zum Thema „Diabetes-Strategie“ erklärte Matthias Steiner, dass man hier schon sehr viel eher ansetzen müsse – mit einer so frühzeitigen Prävention, damit die klassischen Volksleiden wie Typ-2-Diabetes oder Adipositas erst gar nicht entstehen.


Autorin:
Angela Monecke
Redaktionsbüro Angela Monecke
Kopenhagener Str. 74, 10437 Berlin


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2021; 33 (9) Seite 8-9