Chefredakteur Dr. Martin Lederle wirft einen Blick auf den Status quo der Maßnahmen und -programme zur Prävention des Typ-2-Diabetes: Wo stehen wir? Und wo müssen wir hin.

Sie kennen das sicherlich auch: ein Patient mit einem gerade erst manifestierten Diabetes mellitus Typ 2 oder einer gestörten Glukosetoleranz sitzt vor Ihnen; die „Laborauffälligkeiten“ wurden bei einer Routinekontrolle entdeckt; der Patient hat einen BMI von über 30 kg/m² und keine oder nur wenig Beschwerden. Wir wissen: wenn es dem Patienten gelingt, durch eine Modifikation seiner Ernährung und durch mehr Bewegung sein Gewicht langsam und nachhaltig vermindern zu können, dann sind die Chancen gut, dass er mittelfristig ohne antidiabetische Medikation seinen Glukosestoffwechsel im „grünen“ Bereich halten kann.

Wir bieten ihm dafür Unterstützung (z.B. Gruppenschulung für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2) an, um diesen häufig sehr anstrengenden „Weg“ auch gehen zu können. Manche Patienten können sich mit dieser Hilfe sehr gut motivieren und ihr Verhalten ändern, bei anderen sind unsere ganzen Bemühungen ohne Wirkung.

Viel Wissen – aber zu wenig, was damit gemacht wird

Diese Situation wird auch im Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2018 (1) beschrieben. Da steht im entsprechenden Kapitel:

„Diabetesprävention ist eine Erfolgsgeschichte – zumindest, wenn man die wissenschaftlichen Publikationen liest. In den letzten 20 Jahren konnten viele wissenschaftliche Studien beweisen, dass die Entwicklung eines Diabetes mellitus für den Einzelnen verzögert oder sogar aufgehalten werden kann. Programme zur Diabetesprävention wie das Diabetes Prevention Program (DPP) in den Vereinigten Staaten und die Finnische Diabetes Prevention Study (DPS) haben gezeigt, dass Prävention wirksam ist. Durch eine Umstellung der Ernährung und vermehrte körperliche Aktivität (> 30 min moderate körperliche Aktivität pro Tag) kann bei gestörter Glukosetoleranz die Manifestation von Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM) um 58 Prozent reduziert werden.

Wir wissen viel, welche Pathomechanismen und welche Interventionen wie wirksam sind; wir können aber auch gescheiterte Präventionsprogramme benennen. Die Wissensbasis ist dadurch aber kontinuierlich gewachsen. Wir können heute vorhersagen, welche Personen zu welchem Ausmaß von einzelnen Interventionen zur Diabetesprävention profitieren können. Und wir haben Konzepte, welche Angebote Nonrespondern gemacht werden können. Es gibt weiterhin gute Präventions-Managementkonzepte wie Lebensstilmaßnahmen und auch unterstützende medikamentöse Interventionen, die miteinander kombiniert werden und auch zeitlich gestaffelt ablaufen können. Was machen wir aber mit dem Wissen – nicht viel!“

Gesunden Lebensstil fördern: gesamtgesellschaftlicher Ansatz nötig

Auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) benennt in ihrem Strategie–Papier „Diabetologie 2025“ (2) im Kapitel 10 „Primärprävention und Früherkennung“ dieses Problem: „Die bisherigen Appelle an die Vernunft des Einzelnen sind gescheitert. Die Maßnahmen zur Verhaltensprävention müssen dringend durch eine wirksame Verhältnisprävention ergänzt werden. Nur durch einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz lässt sich ein Umfeld schaffen, das einen gesunden Lebensstil fördert und mit dem auch die besonders betroffenen bildungsfernen Schichten erreicht werden.“

Unter anderem fordert die DDG darum, dass zur Verbesserung der Früherkennung des Diabetes Typ 2 die Erfassung des Diabetesrisikos in den „Check-up 35“ integriert werden sollte („Check-up 35 plus D“), indem nicht nur der Nüchtern-Blutglukosewert, sondern auch der HbA1c-Wert gemessen wird.

Die Gesundheitsuntersuchung zur Früherkennung von Krankheiten, kurz „Check-up 35“, ist eine Vorsorgeuntersuchung, die in Deutschland seit 1989 den über 35-jährigen Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen in den Hausarztpraxen angeboten wird. Daran nehmen im Verlaufe von zwei Jahren etwa die Hälfte der Anspruchsberechtigten teil, wobei man ein soziales Gefälle mit einer geringeren Inanspruchnahme bei niedrigem Sozialstatus berichtet hat.

Fachgesellschaften fordern Weiterentwicklung des Check-up 35

Die Inhalte des Check-up 35 sind seit 1989 im Wesentlichen unverändert: Anamnese, körperliche Untersuchung, Blutdruckmessung, Bestimmung von Gesamtcholesterin und Nüchtern-Glukose sowie im Urin Eiweiß, Glukose, Erythrozyten, Leukozyten und Nitrit. Hinzu kommt eine kurze ärztliche Beratung. Mehrere medizinische Fachgesellschaften kritisieren inzwischen, dass dieser Check zur Früherkennung nicht mehr wirklich taugt und fordern eine Weiterentwicklung.

Die Deutsche Akademie für Präventivmedizin (DAPM) hat vor kurzem die Kritik am Check-up 35 in einem Positionspapier zugespitzt und gleichzeitig Verbesserungsvorschläge präsentiert (3). Ich finde dieses Statement sehr lesenswert.



Autor: Dr. Martin Lederle
Chefredakteur Diabetes-Forum
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Tel.: 02561 - 992500

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (4) Seite 3