In diesem Jahr ist der EASD-Kongress komplett ins Internet umgezogen. Folgerichtig ist eines der wichtigen Tagungs-Themen "COVID-19 und Diabetes mellitus". Wie groß dessen Bedeutung auch in der Wissenschafts-Community ist, zeigt die Zahl der Publikationen: In der Datenbank PubMed sind bei mehr als 56.000 Artikeln zum Thema COVID-19 insgesamt 2.047 Artikel zur Kombination COVID-19 und Diabetes zu finden. Beide Erkrankungen weisen eine Reihe von Parallelen auf, unter anderem erfordern sie Regierungshandeln und intersektorales und individuelles Handeln.

Das Interesse am europäischen Diabeteskongress, der vom 21. bis zum 25. September in Wien stattfinden sollte, ist sehr groß – wahrscheinlich auch dank des kompletten Umzugs ins Internet wegen COVID-19. Knapp 20.000 Teilnehmer sind registriert. Wie Stefano Del Prato, Präsident des Veranstalters EASD (European Association for the Study of Diabetes) berichtete, haben sich diesmal mehr Teilnehmer aus Ländern angemeldet, die sonst die weite Reise und ihre Finanzierung scheuten; vor allem sind dies Teilnehmer aus Brasilien. Del Prato sieht darin eine Demokratisierung des Kongresses.

Diabetes und COVID-19 mit vielen Parallelen

COVID-19 und Diabetes war folgerichtig auch eins der wichtigen Themen während des Kongresses. Wie groß die Bedeutung dieses Themas auch in der Wissenschafts-Community ist, zeigt die Zahl der Publikationen, wie Professor Juliana Chan aus Hongkong (China) darstellte. So sind in der Datenbank PubMed bei mehr als 56.000 Artikeln zum Thema COVID-19 insgesamt 2.047 Artikel zur Kombination COVID-19 und Diabetes zu finden.

Chan sieht viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden Erkrankungen: Beide sind globale Pandemien, beide sind stille Killer, beide gibt es aufgrund von Veränderungen im Ökosystem und im Verhalten der Menschen, beide können das Gesundheitssystem und die Ökonomie kollabieren lassen, beide sind potentiell entdeckbar, vorbeugbar und behandelbar und beide erfordern Regierungshandeln und intersektorales und individuelles Handeln.

Diabetes erhöht die Mortalität

Das gleichzeitige Auftreten von Diabetes und COVID-19 birgt ein hohes Risiko. So starben laut einer Untersuchung von Barron et al. (2020) in Großbritannien im Februar 2020 23.698 Menschen im Krankenhaus an COVID-19. Davon waren 1,5% Typ-1-Diabetiker und 31,4% Typ-2-Diabetiker. Die adjustierte Odds Ratio betrug 3,51 für Typ-1- und 2,03 für Typ-2-Diabetiker.

Glukosekontrolle wichtiger Faktor

Professor Catarina Limbert, Kinderärztin aus Lissabon (Portugal), ordnete die britischen Zahlen weiter ein, basierend auf einer Publikation von Holman et al. (2020). So wurde deutlich, dass die glykämische Kontrolle einen unabhängigen signifikanten Risikofaktor darstellt. Bezogen auf das HbA1c ergab sich für Typ-1-Diabetiker ein erhöhtes Risiko, wenn der Wert >10% war, während das Risiko für Typ-2-Diabetiker bereits bei einem HbA1c >7,5% stieg.

Bei Typ-1-Diabetes spielte auch die Diabetesdauer eine entscheidende Rolle: Über 80% der Verstorbenen hatten mindestens 15 Jahre Diabetes. Von diesen 80% waren es gut 60% mit einer Diabetesdauer von mehr als 20 Jahren. Die meisten dieser Patienten wiesen kardiovaskuläre Komorbiditäten auf. Ein erhöhtes Mortalitätsrisiko besteht also vor allem für diese fragile Gruppe, so Limbert. Sie betonte: „Eine gute Glukosekontrolle ist ein Schutzfaktor.“

Glukosekontrolle schnell verbesserbar

Auch Professor Daniel J. Drucker aus Toronto (Kanada) bestätigte noch einmal den Nutzen einer guten Glukosekontrolle: „Eine exzellente Glukosekontrolle scheint tatsächlich das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf zu reduzieren.“ Verglichen mit einer Reduktion des Körpergewichts – Übergewicht erhöht ebenfalls das Risiko für einen schweren Verlauf – ist es bei der Glukosekontrolle innerhalb kurzer Zeit möglich, die Situation zu verbessern, betonte er.

Diabetes durch COVID-19?

Limbert griff auch den Fall des 19-Jährigen auf, der nach einer SARS-CoV-2-Infektion an Diabetes erkrankte. Ob das Virus die Ursache war, lässt sich nach heutigem Kenntnisstand nicht sagen, die Daten sind kontrovers. Die diabetesspezifischen Antikörper bei dem jungen Mann sind negativ, aber das HbA1c lag bei Diabetesdiagnose bei 16,8%, sodass der Verdacht besteht, dass die Glukosewerte bereits länger vor der Infektion erhöht waren, erläuterte die Pädiaterin. Die Tatsache, dass SARS-CoV-2 im Körper an den ACE2-Rezeptor andockt, spricht laut Drucker auch eher gegen eine kausale Verknüpfung, denn ACE2 wird im Endothel und in Gangzellen exprimiert, nicht aber in den endokrinen Zellen des Pankreas.

Zusammenhang zwischen Glukosewerten und Arbeit?

Dr. Federico Boscari und Kollegen aus Padua (Italien) untersuchten in einer Gruppe von Typ-1-Diabetikern in Italien, wie sich die Glukosesituation während des Lockdowns durch COVID-19 entwickelte. Dabei unterschieden sie zwei Gruppen: Gruppe 1 hörte auf zu arbeiten, Gruppe 2 arbeitete in systemrelevanten Berufen und arbeitete weiter. Es zeigte sich, dass die Time in Range (70-180 mg/dl bzw. 3,9-10,0 mmol/l) im Durchschnitt in Gruppe 1 drei Monate vor dem Lockdown deutlich geringer war als in Gruppe 2 (56,3% vs. 65,1%).

Während der ersten Woche des kompletten Lockdowns in Italien hatten sich die TIR-Werte der beiden Gruppen angeglichen (65,2% vs. 68,3%), in beiden Gruppen hatte sich die Time above Range reduziert. Über die Ursache dieser Unterschiede lässt sich laut Boscari nur spekulieren. Auf Nachfrage ergab sich: Gruppe 1 behandelte sich ausschließlich mit intensivierter Insulintherapie, während in Gruppe 2 60% eine Insulinpumpentherapie durchführten.



Autorin: Dr. Katrin Kraatz
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