Patienten mit Diabetes und Herzerkrankungen müssen engmaschig und besser betreut werden. Um dieses Thema ging es bei einem Pressegespräch der Stiftung DHD.

Für herzkranke Diabetiker wird im deutschen Gesundheitssystem mehr Geld ausgegeben, als wenn die Kosten für Herzpatienten und die Kosten für Diabetespatienten miteinander addiert werden. Das dürfte eine Aussage sein, die bislang noch keiner getroffen hat. Präsentiert wurden die Zahlen zu den Ausgaben der GKV (Gesetzlichen Krankenversicherung) beim Pressegespräch der Stiftung DHD (Der herzkranke Diabetiker) am Weltdiabetestag 2019 im Haus Deutscher Stiftungen in Berlin.

Sprunghafter Anstieg bei Komorbidität

“Der komplikationsfreie Diabetiker ist aus gesundheitsökonomischer Sicht kein besonders auffälliger Zeitgenosse“, meinte Prof. Dr. Jürgen Wasem vom Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen. Dieser Patient koste jährlich im Durchschnitt etwa 360 Euro mehr als ein gesetzlich Versicherter ohne Diabetes in gleichem Alter. Aber schon, wenn der Diabetespatient mit Insulin behandelt werde, stiegen die Aufwendungen deutlich.

„Und bei Komplikationen steigen die Kosten dann noch einmal sprunghaft an. Dann sind wir im Durchschnitt schon bei 7.000 bis 8.000 Euro im Jahr.“ Für die GKV ein riesiger Kostenblock seien Patienten mit Diabetes und Herzerkrankung, das betreffe nach Daten der Krankenkassen immerhin 1,8 Mio. Patienten. Bei ihnen kämen verschiedene zusätzliche Ausgaben dazu, die je nach Morbiditätsgruppe im Schnitt bei 20.000 bis 21.000 Euro liegen können. „Das sind schon sehr beeindruckende Zahlen. Wir geben zu viel Geld für eine schlechte Versorgung aus“, führte Wasem aus.

Indikator für Versorgungsproblem

„Herzkranke Diabetiker stellen ein großes Risiko für die Krankenkassen dar, weil deren Ausgaben höher sind, als wenn man die Summe der Ausgaben für Diabetes und Herzerkrankungen zusammenzieht.“ Die Interaktion beider Erkrankungen exponenziere das Risiko. Ein Versicherter mit Diabetes und Herzproblem sei deutlich teurer als ein Patient, der nur eines von beidem habe. „Dies ist ein Indikator für Versorgungsprobleme im System.“

Insgesamt werden rund 16 Mrd. an direkten Kosten für Diabetiker ausgegeben, wobei ein erheblicher Teil davon mit Komorbiditäten assoziiert ist, an vorderster Stelle die kardiovaskulären Probleme. Aus ökonomischer Sicht sei der herzkranke Diabetiker ein exemplarisches Beispiel für sektor- und indikationsübergreifende Steuerung, die verbessert werden könne. Es würden gute Leitlinien existieren, die nur bruchstückhaft in die Versorgung übersetzt werden.

„Dafür mag es rationale Gründe geben. Wenn wir aber aus Anreizgründen nicht das tun, was zu tun wäre, haben wir ein ethisches Problem“, betonte Wasem. Dann müsse man mit der primären Konsequenz leben, ein schlechteres Outcome zu produzieren. Das werde langfristig zu mehr Folgekosten führen und kurzfristige Einsparungen überlagern.

Eine Pauschale für zwei Fälle

Mit welchen Problemen sich Kliniken der Maximalversorgung auseinandersetzen müssen, skizzierte Prof. Dr. Wolfgang Motz am Beispiel zweier Szenarien. Motz ist Mitglied im Kuratorium der Stiftung DHD und ärztlicher Direktor vom Herz- und Diabeteszentrum MV (Mecklenburg-Vorpommern) in Karlsburg. „Im ersten Fall wird ein 65-jähriger Patient mit arterieller Hypertonie und Angina pectoris kardiologisch behandelt.

Die Klinik führt ein Belastungs-EKG und eine Herzkatheter-Untersuchung durch. Der Patient hat zwei Stenosen, er bekommt Drug-Eluting-Stents. Codiert wird das mit DRG (Diagnosis Related Group) F58B. Je nach Bundesland, bei uns in der Klinik bedeutet das einen Erlös von 3400 Euro.“

Im zweiten Fall habe der 65-jährige Patient kardial das gleiche Krankheitsbild, aber zusätzlich noch Diabetes, der seit 17 Jahren bekannt sei. Abgerechnet werde dann ebenfalls DRG F58B, obwohl dieser Patient länger in der Klinik verweilte und sein Diabetes ergänzend zur kardiologischen Intervention behandelt wurde.

Schlussendlich komme dann auch noch der MDK (Medizinische Dienst der Krankenkassen) und moniere, warum dieser Patient zwei Tage länger in der Klinik gelegen habe. Das sei leider die Realität in der Versorgung. Expertise und Personal für Behandlung und Beratung bei Diabetes werden vorgehalten, aber letztlich nicht vergütet. „Trotzdem machen wir das in Karlsburg, obwohl es sich wirtschaftlich kaum trägt.“

Bessere Allokation der Mittel

Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) erklärte in Berlin: „Die Honorierungs- und Anreizsystematik sowohl im stationären als auch im vertragsärztlichen Bereich ist überholungsbedürftig. Ich meine, gleiches Regelleistungsvolumen über alle Morbiditäten muss sein.“

Man sollte aber zunächst einmal vorurteilsfrei miteinander diskutieren und von der Notwendigkeit vernünftiger und effizienter Versorgung kommen, nicht immer sofort mit dem Ansatz, dass Ärzte mehr Geld fordern. „Ich möchte, dass die Allokation der Mittel so stattfindet, dass gesagt werden kann, es wird gute Medizin gemacht“, stellte der BÄK-Präsident in aller Deutlichkeit heraus.

Aus Sicht von Reinhardt als Hausarzt, der seit 27 Jahren Patienten in der niedergelassenen Praxis erlebt: „Diabetes und herzkranke Diabetiker gehören neben Skeletterkrankungen und psychischen Problemen zu den großen chronischen Entitäten, die 80 Prozent aller Gesundheitsausgaben überhaupt ausmachen, um die wir uns mit ausreichender Sorgfalt kümmern müssen.“ Das beginne nicht in der Arztpraxis, in der sich manches sicher noch besser machen ließe, es betreffe auch die Primär- und Sekundärprävention, damit Folgen erst gar nicht entstehen.

Es liege mitunter auch an der verfügbaren Zeit, die man habe. Ärzte könnten aber sicher noch mehr tun, auch synchron mit anderen Beteiligten. „Wir müssen uns konzertiert auf den Weg machen seitens der Ärzteschaft, auch begleitend, informierend und nicht intervenierend. Wenn wir es nicht tun, werden Kosten auf uns zu kommen, die schwierig zu stemmen sein werden.“

Gesicherte Erkenntnisse kommen nicht an

Immer dann, wenn Menschen Diabetes haben, komme das, was an Daten längst gesichert sei, nicht in der Versorgung an, stellte Prof. Dr. Dr. Diethelm Tschöpe von der Stiftung DHD klar. Das betreffe die Therapie mit Devices genauso wie die Entscheidung, ob Stent-Implantation oder Bypass-OP.

Die Verbundleitlinie der europäischen Kardiologen und Diabetologen ernte zwar am meisten Zustimmung, werde aber nach dritter Revision am wenigsten umgesetzt, kritisierte Tschöpe, der auch Klinikdirektor der Diabetologie im Herz- und Diabeteszentrum NRW (Nordrhein-Westfalen) in Bad Oeynhausen ist. Warum das so sei, könne aus pathophysiologischer Sicht schwer beantwortet werden, ergänzte Prof. Dr. Dr. Wolfram Döhner von der Charité Berlin und Arbeitsgruppenleiter im DZHK (Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung).

„In der wissenschaftlichen Welt haben wir viel Zuwachs, in der Welt der Versorgung haben wir mit Problemen der Refinanzierung zu tun.“ Da werde die Evidenz der Wissenschaft von Klinikleitungen, die mehr wirtschaftlich als medizinisch getriggert sind, nicht bereitwillig aufgenommen.

Unterversorgung in der Überversorgung

„Der herzkranke Diabetiker ist ein Beispiel der Unterversorgung in der Überversorgung“, meinte Tschöpe. Dieser Patient passe nicht in eine Tätigkeitsschublade allein, hier brauche es mehr Verknüpfung, eine bessere Allokation der Disziplinen. Bei Patienten mit DFS (Diabetischem Fußsyndrom) bspw. müsse der Angiologe mehr machen als nur Katheter, weil er weiß, wenn dieser Patient an einer Stelle eine Stenose hat, können auch an anderen Stellen Stenosen sein. Da sollte vielleicht einmal der Kardiologe hinzugezogen werden.

Zudem kann es sinnvoll sein, den Hausarzt zu konsultieren, ob in der Vorgeschichte schon Untersuchungen stattgefunden haben, die wichtige Informationen enthalten. In der sich ändernden Kliniklandschaft gebe es mittlerweile regelrechte Exzesse, fügte Prof. Dr. Wolfgang Motz hinzu. Mancherorts kommuniziere die Kardiologie schon gar nicht mehr mit der Rhythmologie.

„Da wird nur noch gebrannt, gehobelt, gesägt und gelötet, weil das belohnt wird, und andere Sachen bleiben auf der Strecke.“ Für mehr Interdisziplinarität brauche es vor allem einen Rahmen. Das verspreche mehr Nutzen für Patienten und das fordere die Stiftung DHD.

Nationale Diabetesstrategie vor Abschluss

Einen geeigneten Rahmen wünscht sich auch MdB Dietrich Monstadt von der CDU, Sprecher der Sektion Diabetes und Vertreter der Arbeitsgruppe Gesundheit im Deutschen Bundestag. Bei der nationalen Diabetesstrategie seien sich die Koalitionspartner einig. Die Strategie werde bald kommen, wenn auch, so der Stand aktuell, in etwas abgespeckter Form.

„Der Ernährungsteil wird nun ausgekoppelt, weil der Konsens mit der Ernährungspolitik fehlt. Als Berichterstatter für Adipositas bin ich aber optimistisch, dass Ernährung im nationalen Adipositasplan eine stärkere Gewichtung findet“, sagte Monstadt. „Zunächst ist damit zu rechnen, dass die nationale Strategie zur Eindämmung des Tsunamis Diabetes Ende des Jahres, spätestens im ersten Quartal 2020 abgeschlossen sein wird.“

Monstadt versicherte, dass die Morbiditätsdimension in der nationalen Diabetesstrategie berücksichtigt werde. Probleme gebe es bei Anzahl der Lehrstühle Diabetologie für die Ausbildung des Nachwuchses.

DMPs sollen erhalten bleiben

„Wir haben bei Hausärzten auch die Situation, dass an manchen Fakultäten nur vier Stunden Diabetes im Lehrplan vorgesehen ist.“ Über das Vergütungssystem müsse man sich ebenfalls Gedanken machen. Es dürfe nicht sein, dass Klinikdirektoren das Handtuch werfen und reihenweise Abteilungen für Diabetologie geschlossen werden. In der Gesundheitspolitik habe sich Monstadt auch dafür eingesetzt, dass die aufs Coaching zielenden Disease Management Programme (DMPs) erhalten bleiben.

„Bei den DMPs stellt sich vor dem Hintergrund der Komorbididät Herz und Diabetes die Frage, in welches DMP der herzkranke Diabetiker eingeschrieben wird“, mahnte Prof. Dr. Dr. Diethelm Tschöpe, Vorsitzender der Stiftung DHD, an. Ein Verbund-DMP sei in Sachsen zuletzt krachend gescheitert. „Utopisch ist, dass der Patient in allen drei Behandlungsprogrammen (DMP „Diabetes mellitus“, DMP „Koronare Herzkrankheit“, DMP „Chronische Herzinsuffizienz“) berücksichtigt wird.

„ An Lösungen müsse gearbeitet werden, das könne nicht Aufgabe der Politik sein, da müsse auch die Selbstverwaltung der Ärzteschaft ran, entgegnete Monstadt.



Autorin: Katrin Hertrampf
Pressestelle Stiftung DHD
Georgstraße 11, 32545 Bad Oeynhausen
E-Mail: info@stiftung-dhd.de

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2019; 18 (12) Seite 6-8