Erektile Dysfunktion und Vulvovaginale Atrophie sind ein ungleiches Paar: In der Behandlungspraxis haben beide Störungen leider einen sehr unterschiedlichen Stellenwert. Das soll sich in Zukunft ändern, hofft Professor Reinhard Zick.

Gibt man bei Google den Suchbegriff Vulvovaginale Atrophie ein, so findet man 5 960 Einträge. Für den Begriff erektile Dysfunktion finden sich 424.000 Einträge. Dieses Missverhältnis bedeutet dass die Vulvovaginale Atrophie der breiten Öffentlichkeit, Patienten und medizinisches Personal mit eingeschlossen, schlichtweg unbekannt ist. Und jetzt können Sie nachvollziehen warum wir uns entschlossen haben, diesen Schwerpunkt für Sie zu schreiben.

Anatomie und Physiologie der Vaginalwand

Die Vaginalwand ist mit 3 mm relativ dünn. Die Oberfläche, ein mehrschichtiges, nicht verhornendes Plattenepithel, ist reich an Glykogen und arm an Drüsen, enthält aber reichhaltig elastische Fasern. Dieses Epithel befindet sich in einem ständigen Umbauprozess der bei Frauen im reproduktiven Alter vor allem abhängig von der Östrogenkonzentration ist. Die Serum Östradiolspiegel liegen bei der reproduktiven Frau zwischen 147 und 1468 pmol/l und fallen nach der Menopause auf < 70 pmol/l ab.

Bei der normalen Abschilferung der oberen Schichten des Plattenepithels zersetzten die sogenannten Döderlein Bakterien das Glykogen und es entsteht Milchsäure. Diese Laktobazillen sind für das physiologisch saure Milieu (pH 4) der Scheide und ihre Feuchtigkeit verantwortlich. Bei einem pH Wert von 4 wird vor allem auch das Wachstum anderer Keimen gebremst.

Wandel der Anatomie und Physiologie der Vulva und Vagina bei Östrogenmangel

Mit dem Abfall der Östrogene in der Postmenopause flacht das Scheidenepithel deutlich ab und es fehlt an der Vaginaloberfläche das Glykogen, das als Nährboden für die Laktobazillen dient.

Damit verschiebt sich der pH-Wert der Scheide in den Bereich von 6,0 – 8,0. Dieser mehr alkalische pH führt zu einer Veränderung innerhalb der Vaginalflora hin zu mehr koliformen Bakterien und ist zusammen mit anderen atrophen Veränderungen verantwortlich für eine erhöhte Anfälligkeit und Häufigkeit von Infektion ebenso für Schmerzen (Dispareunie) bis hin zu Blutungen beim Geschlechtsverkehr.

Durch Atrophie der Vaginalschleimhaut und dem damit verbundenen Verschwinden der Laktobazillen trocknet die Scheide förmlich aus. Postmenopausale Frauen haben ein totales Volumen an Vaginalsekret von 0,0825 ml in einem Sammlungszeitraum von 15 Minuten verglichen mit 0,214 ml bei fertilen Frauen. Die vaginale Atrophie wird klinisch 4 bis 5 Jahre nach der Menopause, also in der späten Postmenopause manifest. Objektive Veränderungen und subjektive Beschwerden sind bei 25 bis 50 % aller postmenopausalen Frauen vorhanden.

Atrophien im Vaginalbereich bei nicht-postmenopausalen Frauen

Neben postmenopausalen Frauen sind auch rund ein Viertel der jungen Frauen die mit oralen Kontrazeptiva verhüten von Atrophien im Vaginalbereich betroffen. Bei Ihnen wird ein lokales Östrogendefizit durch Suppression der endogenen Östrogenproduktion hervorgerufen. In diesen Fällen ist die Menge an Ethinylestradiol, die dem weiblichen Organismus durch Einnahme moderner niedrig dosierter Kontrazeptiva zugeführt wird zu gering, um die Hormonsuppression zu kompensieren.

Eine weitere große Gruppe von Frauen bei denen es zu einer Vulvovaginalen Atrophie kommen kann sind die Patienten die wegen eines Mammakarzinoms adjuvant mit Tamoxifen oder Aromatasehemmern behandelt werden.

Weitere charakteristische Veränderungen durch Östrogenmangel

Der Östrogenmangel führt bei der Frau auch zu weiteren charakteristischen Veränderungen im Genitaltrakt. Durch Verlust des labialen Fettpolsters schrumpfen die Labia majora und es kommt zu einem Verlust der Definition zwischen den großen und kleinen Schamlippen.

Durch eine Verkürzung des Präputiums kann die Klitoris übermäßig exponiert werden. Die zusätzliche Möglichkeit der Vergrößerung der Klitoris durch Anstieg des freien und biologisch wirksamen Testosterons bei der postmenopausalen Frau wurde an anderer Stelle bereits erwähnt. Nicht unerwähnt bleiben soll die Ausdünnung oder auch der komplette Verlust der Pubesbehaarung.

Gravierender ist jedoch dass durch Änderung des pH Wertes der Scheide diese Verschiebung zum Alkalischen auch den Vulvabereich betrifft. In der Folge kommt es gehäuft zu einer Besiedlung mit Kolibakterien in dieser genitalen Region. Dabei spielt zusätzlich die anatomische Enge zwischen Anal- und Vulvabereich eine wichtige Rolle.

In Analogie zum Scheidenepithel wird die Schleimhaut im Vulvabereich durch den Östrogenentzug dünner und gleichzeitig empfindlicher gegenüber chemischen und physikalischen Reizungen. Blutungen nach mechanischer Belastung sind deshalb nicht selten.

Symptome einer Vaginalatrophie

Die vorherrschenden Symptome einer Vaginalatrophie sind:

  • Vaginaltrockenheit
  • Dyspareunie
  • Juckreiz, Brennen und Schmerzhaftigkeit der Scheide
  • Petechien und Ulzerationen der Vagina
  • Anstieg des Vaginal-pH > 5
  • Dysurie
  • rezidivierende Harnwegsinfekte
  • Inkontinenz

Eine Trockenheit der Scheide wird bei ca. 75 %, die Dyspareunie bei ca. 38 % und ein Juckreiz und Schmerzhaftigkeit der Scheide bei ca. 15 % der Patientinnen mit vaginaler Atrophie beobachtet.

Der Östrogenmangel in der Postmenopause führt auch an der Blase und Urethra zu charakteristischen Veränderungen. Als Folge davon kann es zu Dysurie, rezidivierenden Harnwegsinfekten und Inkontinenz kommen.

Da die Veränderungen durch den Östrogenmangel an der Vagina und an Blase/Urethra nicht isoliert betrachtet werden sollten, wurde sinnvoller Weise von der Nordamerikanischen Menopause Gesellschaft der neue Terminus "Urogenitales Menopause Syndrom" vorgeschlagen. Wir beschränken uns in diesem Schwerpunkt jedoch aus Platzgründen auf die genitalen Veränderungen der Frau in der Postmenopause.

Klinische Diagnostik der Vaginalatrophie

Die Klinische Diagnostik der Vaginalatrophie gehört in die Hand der gynäkologischen Kolleginnen/Kollegen und ist per se nicht Aufgabe der Diabetologen/Endokrinologen. Wichtig ist nur dass wir Diabetologen/Endokrinologen unsere postmenopausalen Patientinnen motivieren sich gynäkologisch untersuchen zu lassen.

Die Tabelle 1 versteht sich als Leitfaden zur klinischen Diagnostik der Vaginalatrophie der eine Einordnung der Schwere der Vaginalatrophie auch für den Nicht-Gynäkologen erlaubt. Dabei hat sich der Vaginale Maturationsindex (VMI) als Standard Score in der zytologischen Diagnostik einer Vaginalatrophie bewährt. Der VMI beschreibt das relative Verhältnis von Parabasal- und Intermediärzellen zu den superfiziellen Zellen des Vaginalepithels. Ein Anteil von > 15 % ans Superfizialzellen wird als physiologischer Befund erklärt. Bei postmenopausalen Zellen zeigt sich der Wert unter 5 %.

Warum ist die vulvovaginale Atrophie bisher ein Stiefkind in der ambulanten Betreuung?

Bei den Frauen die jetzt in die Menopause kommen oder bereits in der Postmenopause sind, zeigt sich ein merkwürdiges Paradoxon.

Während die meisten von ihnen die Freiheiten der sexuellen Revolution in ihrer Jugend bereitwillig genossen und auch ausgelebt haben, werden viele von ihnen mit dem Älterwerden verlegen und zögern lange, bevor sie ihre vulvovaginalen Symptome besprechen. Nach aktuellen epidemiologischen Daten überwindet nur jede 4. betroffene Frau ihre Scheu und sucht medizinischen Rat.

Hinzu kommt, dass wir Diabetologen/Endokrinologen uns um dieses Thema unsere postmenopausalen Patientinnen schlichtweg nicht gekümmert haben, weil ... sicher auch das Interesse gefehlt hat oder weil wir aus einem Schamgefühl heraus mit unseren Patientinnen über dieses Thema nicht sprechen wollten. Der Autor dieses Schwerpunktes schließt sich dabei bewusst mit ein.

Ergebnisse des „European Revive Survey“ zeigen, wie hoch der Leidensdruck ist

Zum Nach- und Umdenken brachte mich der European Revive Survey von Nappi et al (2016) in dem die Ergebnisse einer Internet Befragung von 3.768 Frauen mit Vulvovaginaler Atrophie aus Deutschland Italien Spanien und Großbritannien zusammen gestellt sind.

Dabei zeigte sich, dass viele der oben angegeben Beschwerden der Vulvovaginalen Atrophie bereits in der Perimenopause nachweisbar waren und dass der Beschwerdehöhepunkt innerhalb der ersten postmenopausalen Jahre lag. Aber es wurde auch evident, dass viele Frauen auch 5 Jahre nach der Menopause unter heftigen Symptomen litten (Abb. 1).

Die Abbildung 2 aus diesem Survey macht deutlich, welchen gravierenden Einfluss die Vulvovaginale Atrophie auf die Partnerschaft und auf das Sexualleben der peri- und postmenopausalen Frau ausübt. Aber es bleiben selbst der Schlaf, der Sport, das Reisen und die Suche nach einem neuen Partner nicht unberücksichtigt. Und besonders gravierend: 40 % der Frauen gaben an dass die Beschwerden der Vulvovaginalen Atrophie ihre Lebensfreude deutlich einschränken.

Gesprächsinitiative muss vom Arzt oder medizinischen Personal ausgehen

Wenn man bedenkt wie einfach die vielen Beschwerden der Vulvovaginalen Atrophie dauerhaft zu behandeln sind, kann man nur hoffen, dass die Deutsche Diabetologie/Endokrinologie sich in Zukunft dieses bisherigen Stiefkindes annimmt.

Denn in einem Punkt muss Klarheit bestehen: Die Initiative, über das Thema der Vulvovaginalen Atrophie zu sprechen, muss vom Arzt oder medizinischen Personal ausgehen. Und die Angaben von 70 % der postmenopausalen Frauen, dass ihre ärztlichen und nicht ärztlichen medizinischen Fachpersonen nur selten oder nie nach den Problemen der Vulvovaginalen Atrophie fragen, sollten in Zukunft der Vergangenheit angehören. Unsere Hoffnung ist es, dass unser Schwerpunkt hilft, diese Zukunft bald wahr werden zu lassen.

Schwerpunkt Klimakterium


Autor: Dr. med. Prof. Dr.Reinhard Zick
Medicover Osnabrück
Möserstraße 4a, 49074 Osnabrück

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2017; 29 (6) Seite 16-18