Diabetes und Vorhofflimmern ist nach aktueller Studienlage miteinander assoziiert. Über die effektivsten Behandlungsmöglichkeiten berichten wir hier.

Viele Schlaganfälle gehen auf das Konto von Vorhofflimmern (VHF). Das Risiko ist fünffach erhöht. Die Herzrhythmusstörung wird für jede dritte Hospitalisierung verantwortlich gemacht. VHF ist auch häufige Arrhythmie bei herzkranken Patienten mit Diabetes. Fehlt die Gerinnungshemmung, wächst die Bedrohung für den Schlaganfall. Der Nutzen der dauerhaften Antikoagulation bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern (nvVHF) ist nachgewiesen.

Diabetes mit Vorhofflimmern assoziiert

Zahlreiche Studiendaten weisen auf den Zusammenhang von Diabetes mellitus (DM) und Vorhofflimmern hin. In einer Übersichtsarbeit mit fast 1,7 Mio. Patienten konnte eine Risikoerhöhung von 34% für VHF durch DM errechnet werden. In ADVANCE (Action Diabetes an Vascular Disease – Preterax and Diamicron Modified Release Controlled Evaluation) wurde gezeigt, dass VHF mit einer Prävalenz von 8% in der diabetischen Subgruppe auftritt.

Die Autoren von ARIC (Atherosclerosis Risk in Communities) konnten feststellen, dass DM selbst nach Adjustierung anderer Kenngrößen signifikant mit der Entstehung von VHF assoziiert war. Sie fanden einen linearen Zusammenhang zwischen HbA1c-Wert und VHF-Risiko und zudem bei der diabetischen Subgruppe eine Korrelation zwischen Nüchternglukosekonzentration und Auftreten von VHF.

Stoffwechselerkrankungen wie DM und das VHF selbst führen zu morphologischen Veränderungen des Vorhofmyokards mit vermehrter Fibrose und Myozytenapoptose. Beides begünstigt als prothrombotisches Geschehen das erhöhte Risiko für Schlaganfall.

Risiko mit CHAD2DS2VASc-Score abschätzen

Mit Zunahme der Lebensjahre steigt parallel zum Erkrankungsrisiko für Diabetes die Wahrscheinlichkeit für Vorhofflimmern und für Minderdurchblutung organversorgender Arterien. Nur bei etwa der Hälfte der insgesamt 1,8 Mio. Betroffenen macht sich VHF mit Symptomen wie innere Unruhe, Abgeschlagenheit, Herzrasen, Luftnot, Schmerzen in der Brust und Schwindelgefühl bemerkbar.

Zwischen Alter und VHF-Prävalenz gibt es eine lineare Beziehung. Mehr als 11% der Menschen über 85 Jahre und weniger als 1% zwischen 55 und 59 Jahren sind an VHF erkrankt. Bei VHF-bedingten Schlaganfällen sind Ischämien fulminant ausgeprägt, Funktionseinschränkungen können resultieren. Die Indikation zur Antikoagulation und das Behandlungsmanagement bei VHF richten sich nach Konsensus-Leitlinien der Fachgesellschaften [1].

Das Schlaganfallrisiko sollte mittels CHAD2DS2VASc-Score quantifiziert werden. Der Score gewichtet Vorerkrankungen wie Schlaganfall, transitorisch ischämische Attacke (TIA), systemische Embolie, Herzinsuffizienz, Diabetes, Hypertonie und Faktoren wie hohes Alter und weibliches Geschlecht (Tab. 1). Schon im Vorfeld struktureller Herzerkrankungen sollte bei Patienten mit entsprechendem Risiko nach VHF gesucht werden.

Tabelle 1: CHA2DS2-VASc-Score zur Abschätzung des Schlaganfallrisikos für Patienten mit VHF (adaptiert nach Leitlinien DGK, Pocket-Guidelines VHF).

Neue Substanzen im Therapiespektrum

Jahrelang dominierten Vitamin-K-Antagonisten (VKA) die orale Antikoagulation. Durch Einführung der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK)* konnte das therapeutische Spektrum erweitert werden. Während VKA (Phenprocoumon, Warfarin) die hepatische Produktion der Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren hemmen, sind NOAK (Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban) selektive Hemmstoffe der Gerinnungsfaktoren IIa (Thrombin) und Xa.

Die unter VKA erforderliche Routinemessung "international normalized ratio" (INR) zur Intensität der Gerinnungshemmung entfällt unter NOAK-Therapie. Hier kann mit fixer Gabe und bei entsprechender Adhärenz des Patienten eine verlässliche Wirkung garantiert werden. Mit Idarucizumab gibt es inzwischen auch ein erstes Antidot für den Thrombininhibitor Dabigatran. Die Zulassung weiterer Substanzen wird erwartet. Das Fehlen von Antidota wurde lange kritisiert.

Doch auch bei schweren Blutungskomplikationen unter VKA ist kein direkt wirksames Antidot verfügbar. Im Notfall kommt nur die Substitution mit Gerinnungsfaktoren wie Prothrombinkomplexkonzentrat infrage. Bei elektivem Eingriff muss die VKA-Therapie unterbrochen und ggf. mit Heparin überbrückt (bridging) werden. Bei NOAK kann auf bridging wegen der geringen Halbwertzeit meist verzichtet werden. Nach 24 Stunden hat die gerinnungshemmende Wirkung nachgelassen.

Die Wiederaufnahme der NOAK-Therapie hängt von der Intervention ab. Bei einfacher Darmspiegelung kann sofort wieder begonnen werden. Bei Polypabtragung oder komplizierten Eingriffen sollte der Arzt über die Dauer der Therapiepause entscheiden.

Weniger Risiko für intrakranielle Blutungen

Eine Metaanalyse der Zulassungsstudien mit insgesamt 70000 Patienten bestätigte den Nutzen der NOAK im Vergleich zu Warfarin hinsichtlich Gesamtmortalität und Inzidenz schwerer Blutungen. Bei ROCKET-AF (Rivaroxaban Once Daily, Oral, Direct Factor Xa Inhibition Compared with Vitamin K Antagonisten for Prevention of Stroke and Embolism Trial in Atrial Fibrillation) kam es unter Rivaroxaban seltener zu intrakraniellen (0,5% vs. 0,7%) und tödlichen Blutungen (0,2% vs. 0,5%).

In RELY (Randomized Evaluation of Long term anticoagulant therapY) schnitt die Dosierung 150mg Dabigatran beim kombinierten Endpunkt (Insult, Embolie) besser als Warfarin ab. Die Rate schwerer (2,7% vs. 3,4%), intrakranieller (0,2% vs. 0,7%) und lebensbedrohlicher Blutungen (1,2% vs. 1,8%) war in der Dosierung von Dabigatran 110mg geringer. In beiden Dosierungen kam es aber häufiger zu gastrointestinalen Blutungen (1,1% bei 110mg; 1,5% bei 150mg vs. 0,9%).

Bei ARISTOTLE (Apixaban for Reduction in Stroke and Other Thromboembolic Events in Atrial Fibrillation) konnte die Rate von Schlaganfällen, Tod, Embolien und schweren Blutungen unabhängig von der Nierenfunktion reduziert werden. Apixaban war beim kombinierten Endpunkt (Schlaganfall und Embolie) überlegen (1,3% vs. 1,6%), auch bei der Reduktion von Mortalität (3,5% vs. 3,9%) und schweren Blutungskomplikationen (2,1% vs. 3,1%). Vor allem intrakranielle Blutungen wurden reduziert (0,3% vs. 0,8%).

In ENGAGE-AF-TIMI 48 (Effective Anticoagulation With Factor Xa Next Generation in Atrial Fibrillation-Thrombolysis in Myocardial Infarction Study 48) mit Edoxaban war die Rate schwerer Blutungen in beiden Dosierungen niedriger als unter Warfarin (2,7% bei 60mg; 1,6% bei 30mg vs. 3,4%), ebenso die kardiovaskuläre Mortalität (2,7% bei 60mg; 2,7% bei 30mg vs. 3,2%). In Bezug auf Schlaganfall, Mortalität und schwere Blutungen scheinen die NOAK den VKA überlegen zu sein. Vor allem das intrakranielle Blutungsrisiko ist im Vergleich zu Warfarin bei NOAK niedriger.

Reduzierte Dosis bei eingeschränkter Nierenfunktion

Bei der Wahl des Antikoagulans müssen Risiken und Nutzen individuell abgewogen werden. Das gilt insbesondere für hochbetagte Patienten mit stärkerer Blutungsneigung. Das per se im Alter erhöhte thromboembolische Risiko, vorhandene Multimorbidität, veränderte Pharmakokinetik, funktionelle Einschränkungen und Probleme aufgrund von Polymedikation können Hindernisse bei der Therapie mit NOAK sein.

Eine Umstellung auf NOAK wird bei Patienten erwogen, die trotz regelmäßiger Einnahme von VKA stark schwankende INR-Werte aufweisen oder bei denen eine kontinuierliche INR-Bestimmung schwierig ist. Die "time in therapeutic range" (TTR) ist gering, wenn der INR-Bereich zwischen 2 und 3 nicht erreicht wird. Unter INR 2 sinkt der antikoagulatorische Effekt ab, oberhalb von INR 3 steigt das Blutungsrisiko signifikant an. Bei Interaktionen mit bestimmten Arznei- oder Nahrungsmitteln** unter VKA-Therapie können NOAK eine Option sein.

Über klinisch relevante Wechselwirkungen von NOAK mit anderen Arzneimitteln ist bislang wenig bekannt. Interaktionen gibt es vor allem mit Substanzen, die über P-Glykoprotein (P-gp) oder Cytochrom (CYP)3A4 verstoffwechselt werden. Die Gabe von P-gp-Induktoren führt zu einer Wirkabschwächung des Antikoagulans.

Weniger Wechselwirkungen

NOAK können mit häufig verordneten Antiarrhythmika interagieren. Verglichen mit VKA scheinen Wechselwirkungen unter NOAK geringer zu sein. In jedem Fall muss bei mäßig eingeschränkter Nierenfunktion (CrCl 30-50ml/min) die Dosis von Dabigatran, Rivaroxaban und Edoxaban aufgrund der renalen Elimination reduziert werden.

Zusätzliche Plättchenhemmung sorgfältig abwägen

Eine Herausforderung sind VHF-Patienten mit koronarer Herzerkrankung (KHK) und/ oder akutem Koronarsyndrom (ACS), bei denen nach Stentimplantation zusätzlich die Indikation zur dualen Plättchenhemmung besteht. Sowohl die einfache als auch die doppelte Thrombozytenaggregationshemmung in Ergänzung zu Antikoagulation ist mit einem deutlich erhöhten Blutungsrisiko assoziiert. Das gilt für NOAK wie für VKA gleichermaßen, wenn Plättchenhemmer wie Acetylsalicylsäure (ASS) und/oder Thienopyridine (Prasugrel, Ticagrelor, Clopidogrel) kombiniert werden.

Viele Fragen zur ergänzenden Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern sind noch offen. Der Hersteller von Edoxaban rät, ASS nur niedrig dosiert (≤ 100mg/tgl.) einzusetzen. Es empfiehlt sich, mit Bedacht vorzugehen. Vor allem bei hochbetagten Patienten können Blutungen unbeherrschbar werden. In jedem Fall muss die Notwendigkeit der ergänzenden Plättchenhemmmung nach sorgfältiger Indikationsprüfung erfolgen und gegen die zusätzlichen Risiken des älteren, komorbiden Diabetikers abgewogen werden.

Die Antikoagulation gilt als effektivste Form der Schlaganfallprävention überhaupt. Mit ihr sollte rechtzeitig begonnen werden. Nur etwa die Hälfte der VHF-Patienten wird überhaupt angemessen antikoaguliert. In einer aktuellen Registerstudie fehlte die adäquate Gerinnungstherapie sogar bei 84% der Schlaganfallpatienten trotz Risiko im Vorfeld [2].

Therapie nicht vorenthalten

Die Wahrscheinlichkeit für Blutungen muss in die Therapieentscheidung einfließen genauso wie die Frage, ob der Nutzen der Antikoagulation höher ist als das Risiko für intrazerebrale Blutung und weitere Komplikationen. Auch wenn die Datenlage für die Gruppe älterer Patienten limitiert ist, konnte in Subgruppenanalysen bestätigt werden, dass sie profitieren. Ein Patient müsste im Jahr 295 mal stürzen, um den positiven Effekt der Antikoagulation aufzuheben [3, 4].

In jedem Fall müssen Nierenfunktion sowie Begleitmedikation regelmäßig überprüft werden. Das Blutungsrisiko steigt bei zusätzlicher Thrombozytenaggregation und Medikamenten mit Interaktionspotenzial. Dies sollte nicht dazu verleiten, Patienten mit VHF eine wichtige Therapie vorzuenthalten.


Literatur:
1. Kirchhof P, Benussi S, Kotecha D, et al. 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. Europace 2016;18(11):1609-78.
2. Xian Y, O’Brien EC, Liang L, et al. Association of Preceding Antithrombotic Treatment With Acute Ischemic Stroke Severity and In-Hospital Outcomes Among Patients With Atrial Fibrillation. JAMA 2017;317(10):1057-67.
3. Tinetti ME, Speechley M, Ginter SF. Risk factors for falls among elderly persons living in the community. The New England Journal of Medicine 1988;319(26):1701-7.
4. Man-Son-Hing M, Nichol G, Lau A, Laupacis A. Choosing antithrombotic therapy for elderly patients with atrial fibrillation who are at risk for falls. Archives of Internal Medicine 1999;159(7):677-85.



Autoren: Prof. Dr. med. Dr. h.c. Diethelm Tschöpe,
Vorsitz Stiftung DHD (Der herz-kranke Diabetiker)

Katrin Hertrampf
Stiftung DHD (Der herzkranke Diabetiker)

Georgstr.11, 32545 Bad Oeynhausen

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2017; 29 (5) Seite 19-21