Das metabolische Syndrom ist ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Typ-2-Diabetes. Dr. Ronald Biemann erläutert das Problem mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Behandlung des Übergewichtes.

Diabetes mellitus Typ 2 ist häufig mit typischen Begleiterkrankungen wie einem arteriellen Hypertonus, Fettstoffwechselstörung oder einer bauchbetonten Adipositas assoziiert. Zusammen werden Sie auch als metabolisches Syndrom bezeichnet. Dr. Ronald Biemann (Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie des Universitätsklinikums Magdeburg) beschreibt uns in seinem Beitrag für das Diabetes Forum 11/2016 nicht nur die Risiken dieser Krankheiten.

Ein besonderer Schwerpunkt seines Artikels ist die Behandlung des Übergewichtes. Dazu wurde in der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg das "ABC- Programm" entwickelt und wissenschaftlich evaluiert. Durch Nutzung neuer technischer Hilfsmittel konnte hier gezeigt werden, dass Therapiemaßnahmen zur Gewichtsreduktion auch einen bleibenden Erfolg bei den Patienten haben können. Außerdem wird uns das Leistungsspektrum der Magdeburger Lipidambulanz unter Leitung von Prof. Dr. med. Berend Isermann vorgestellt.

Dr. med. Thomas Werner, Dr. med. Johannes Huber – BVKD

Ein gemeinsames Auftreten von viszeraler Adipositas, Insulinresistenz und weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren wird als metabolisches Syndrom zusammengefasst. Das metabolische Syndrom stellt ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit Folgen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall dar. Besonders tückisch ist zudem, dass obwohl sich das metabolische Syndrom langsam entwickelt, es von Anfang an zur Gefäßschädigung beiträgt.

Hinzu kommt, dass es oft über viele Jahre nicht erkannt wird. Epidemiologische Daten weisen darauf hin, dass das Vorkommen des metabolischen Syndroms mit dem Grad der Adipositas ansteigt. In diesem Sinne ist es als besonders besorgniserregend zu bewerten, dass sich der Anteil der an Adipositas Erkrankten trotz verschiedener Diätprogramme seit 1990 weltweit mehr als verdoppelt hat und voraussichtlich weiter zunehmen wird.

Prävalenz von nahezu 25 Prozent in Industrienationen

Diese Zunahme wird von einer aktuellen Prävalenz des metabolischen Syndroms von nahezu 25 % in den Industrienationen begleitet, was mit einer gesteigerten Morbidität und Mortalität kardiovaskulärer und metabolischer Erkrankungen und einem enormen Anstieg der Kosten der öffentlichen Gesundheitssysteme einhergeht.

Obwohl die Gründe für den rasanten Anstieg vielfältig sind, lassen sie sich in den meisten Fällen auf einen ungesunden Lebensstil, gekennzeichnet durch hyperkalorische Ernährung gepaart mit einem Mangel an Bewegung, zurückführen. Die daraus resultierende positive Energiebilanz führt zur Zunahme des Fettgewebes, welches hormonell aktiv ist und eine Vielzahl an Signalstoffen produziert, die ans Blut sowie an umgebende Zellen abgegeben werden. Dabei ist es vom Füllungsgrad der Fettzellen abhängig, welche dieser als Adipokine bezeichneten Signalstoffe gebildet werden.

Bekanntestes Beispiel ist das 1994 entdeckte Adipokin Lep-tin, welches vorrangig von hypertrophen Fettzellen sezerniert wird und dessen Funktion es unter anderem ist, den Appetit zu regulieren und die Nahrungszufuhr zu drosseln. Neben Leptin werden von hypertrophen Fettzellen aber auch eine Vielzahl weiterer Adipokine freigesetzt, von denen heute bereits über 600 identifiziert werden konnten. Ein großer Teil dieser Signalstoffe ist mit Entzündungsprozessen assoziiert und hat einen Einfluss auf Prozesse der Blutgerinnung, Komplementaktivierung, Antioxidation sowie der Immunantwort.

Komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Pathomechanismen

Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass es sich beim metabolischen Syndrom um einen inflammatorischen Zustand handelt. Dabei werden im Blut zirkulierende Immunzellen von gestresstem Fettgewebe angelockt. Diese Immunzellen wandern ins Fettgewebe ein und sezernieren ihrerseits entzündungsfördernde Substanzen.

Der entstehende Zytokin-Cocktail führt einerseits zu einer zunehmenden Insulinresistenz, und andererseits zu chronischen subklinischen Entzündungsreaktionen im gestressten Fettgewebe. In der Folge steigen die Insulin- und Glukosespiegel, und es kommt zu einer ständigen Aktivierung des Immunsystems. Spätestens hier wird deutlich, dass es sich beim metabolischen Syndrom um ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Pathomechanismen handelt, die in der Summe kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen fördern.

Wichtigstes Ziel der Behandlung des metabolischen Syndroms ist es, Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verhindern. Aus diesem Grund sollte das metabolische Syndrom frühestmöglich diagnostiziert und behandelt werden.

Konventionelle Therapie des metabolischen Syndroms

Da die Hauptursachen des metabolischen Syndroms Fehlernährung und körperliche Inaktivität sind, stellt eine Korrektur der Lebensweise eine ursächliche und damit sehr effektive Behandlung dar. So können bereits 5-7% weniger Körpergewicht das Diabetesrisiko nachhaltig senken. Empfohlene Programme zur Gewichtsreduktion bestehen dabei aus einer kombinierten Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie.

Bei der Umstellung der Ernährung handelt es sich um einen längerfristigen Prozess, der mit einer Änderung von Gewohnheiten verbunden ist und eine dauerhafte Anpassung des Stoffwechsels zur Folge haben sollte. Entscheidender Nachteil der vorhandenen Therapieoptionen ist, dass Patienten häufig rückfällig werden, die initiale Gewichtsreduktion der meisten Programme unter 5% liegt und die Abbrecherquote mit bis zu 42% relativ hoch ist. Der stetige Anstieg der Adipositasprävalenz belegt, dass die gegenwärtig eingesetzten Maßnahmen unzureichend sind.

Nachhaltige Gewichtsreduktion durch Telemedizin

Eine alternative Therapie für das metabolische Syndrom ist das telemedizinische Active Body Control (ABC)-Programm ( http://www.abcprogramm.de ), welches am Universitätsklinikum Magdeburg entwickelt wurde. Bei diesem 6-monatigen Lifestyleprogramm nehmen Patienten an einer einmaligen Schulung teil, welche den Zusammenhang zwischen Glukose und Insulin sowie Leber und Fettgewebe im Rahmen des metabolischen Syndroms im Dialog erläutert.

Die Patienten lernen ihren persönlichen Kalorienbedarf zu ermitteln und den Kaloriengehalt sowie den glykämischen Index von Lebensmitteln einzuschätzen. Bezüglich des Ernährungsverhaltens wird empfohlen, täglich 500 kcal einzusparen, und Lebensmittel mit niedrigem glykämischen Index zu bevorzugen. Zudem wird empfohlen, täglich mehr als 500 kcal durch moderate Bewegung bei einem Puls unter 120 Schlägen pro Minute zu verbrennen.

Die Teilnehmer des Programms erhalten außerdem einen Minicomputer von der Größe einer Streichholzschachtel, welcher täglich in der Tasche zu tragen ist. Mittels eingebauten Bewegungssensors wird die körperliche Aktivität erfasst. Zudem erfragt das Gerät die tägliche Ernährung sowie das tägliche Gewicht. Diese Daten sind kontinuierlich abrufbar, wobei die aktuelle Energiebilanz ständig auf dem Display angezeigt wird. Diese Rückkopplung hilft innerhalb des 6 monatigen Programms individuelle Ernährungs- und Alltagsgewohnheiten nachhaltig zu verändern.

Direktes Feedback im wöchentlichen Motivationsbrief

Die Daten werden wöchentlich per USB-Schnittstelle an Server der Universitätsklinik Magdeburg übertragen, und vom Betreuer in einem wöchentlichen Motivationsbrief verarbeitet. Der Brief enthält die individuelle Abnehmkurve des Teilnehmers, welche mit Abnehmkurven anderer Teilnehmer der Gruppe kombiniert werden kann. Dem Teilnehmer wird so die eigene Gewichtsentwicklung sowie der Abnehmerfolg anderer Teilnehmer der Schulungsgruppe im Vergleich dargestellt.

Zudem enthält der Brief je eine Grafik über die täglich verbrannten Kalorien sowie die vom Teilnehmer erfasste tägliche Kalorienaufnahme. Diese Grafiken werden automatisiert in den Brief eingesetzt und mit einem individuellen Text beurteilt, welcher durch Anmerkungen einen persönlichen Bezug zum Teilnehmer herstellt und zur Aufrechterhaltung der Motivation beiträgt. Die Betreuungsdauer wurde auf 6 Monate standardisiert, da wir an verschiedenen Kollektiven nachweisen konnten, dass die meisten Teilnehmer in diesem Zeitraum ihr Gewichtsminimum erreichen.

Zur Stabilisierung des neu erlernten Lebensstiles kann die telemedizinische Überwachung in Einzelfällen individuell verlängert werden. Ein weiterer Vorteil des Programms liegt im geringen Zeitaufwand für die Patienten, da diese nach einer einmaligen Schulung fernbetreut werden. Die Betreuung wird dabei ausschließlich von zertifizierten Ärzten, Ökotrophologen, Diätassistenten oder Fachkräften gesundheitsnaher Berufsgruppen angeboten, welche zu diesem Zweck im Universitätsklinikum Magdeburg geschult wurden.

Die aktuellen Gesamtkosten des 6-monatigen Programms belaufen sich inkl. Material und Betreuerhonorar auf 471 Euro. Die verschiedenen Erstattungskriterien der Krankenkassen sind auf der Homepage des ABC-Programms beschrieben.

Wirksamkeit und Nachhaltigkeit des ABC-Programms in Studien evaluiert

Die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit des ABC-Programms wurde in mehreren wissenschaftlichen Studien evaluiert und publiziert. Insgesamt zeigt sich, dass Teilnehmer mit metabolischem Syndrom im Mittel 23,6% Gesamtkörperfettmasse reduzieren, was zu einer mittleren Gewichtsabnahme von 12,6% führt. Im Zuge dessen kommt es zu einer deutlichen Verbesserung metabolischer Parameter wie Blutzucker, Blutfettwerte, sowie Insulinsensitivität.

Diese Verbesserungen gehen mit einer deutlichen Reduktion von Entzündungsparametern, sowie einer Senkung des Blutdrucks und einer Verminderung des Medikamentenbedarfs einher. Gleichzeitig konnte im Vergleich zur Kontrollgruppe eine Senkung der Inzidenz des Typ-2-Diabetes und eine Verbesserung arteriosklerotischer Gefäßveränderungen nachgewiesen werden. Im zweiten Jahr kommt es typischerweise zum Wiederanstieg des Körpergewichts um ca. 25% der vorher erzielten Gewichtsabnahme.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, dass bei der initialen Gewichtsabnahme mindestens 10% angestrebt werden sollten. Verglichen mit anderen gegenwärtig in Deutschland angebotenen kommerziellen, konservativen Abnehmprogrammen wird deutlich, dass im ABC-Programm diese initiale Gewichtsreduktion erzielt werden kann. Die hohe initiale Gewichtsreduktion, kombiniert mit den innerhalb der 6-monatigen Überwachungsphase erlernten Strategien zum Selbstmanagement bildet schließlich die Grundlage für die Nachhaltigkeit des Programms.

Lifestyleprogramme: Welche molekulare Mechanismen werden aktiviert?

Obwohl Lifestyleprogramme wie das hier vorgestellte ABC-Programm für eine nachhaltige Therapie des metabolischen Syndroms besonders geeignet sind, ist bislang kaum etwas über die molekularen Mechanismen bekannt, die der Wirkung solcher Programme zugrunde liegen. Welchen Einfluss hat die Lifestyletherapie beispielsweise auf das Fettgewebe und die Immunzellen? Wie verändert sich die Genexpression in den betroffenen Zellen? Und können diese Veränderungen durch übergeordnete regulatorische Mechanismen induziert werden?

Solche Fragen sind von besonderer Bedeutung, da hier ein therapeutischer Schlüssel gegen die zunehmende Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Adipositas, sowie zahlreicher weiterer Folgeerkrankungen verborgen liegen könnte. Um Antworten auf diese Fragen zu finden, arbeiten wir derzeit in einem Kooperationsprojekt mit Wissenschaftlern der Medizinischen Fakultät der Universität des Saarlandes sowie dem Luxemburger Zentrum für System Biomedizin (LCSB) zusammen.

Wir haben es uns darin zur Aufgabe gemacht, die gesundheitsfördernde Wirkung des ABC-Programms in 74 männlichen Patienten mit metabolischem Syndrom auf genregulatorischer Ebene im Fettgewebe und in Immunzellen zu untersuchen.

Unser Ziel ist, molekulare Mechanismen zu identifizieren, die durch das Lifestyleprogramm aktiviert werden und zur Senkung subklinischer Entzündungsprozesse sowie zur Verbesserung der Insulinsensitivität beitragen.

Vorstellung: Lipidambulanz des Universitätsklinikums Magdeburg
Am Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie des Universitätsklinikums Magdeburg besteht seit 20 Jahren eine Ambulanz für Patienten mit schweren Fettstoffwechselstörungen (lipidambulanz@med.uni-magdeburg.de). Diese langjährige Kombination aus Hochschulambulanz mit regelhafter Patientenversorgung wird unter der Leitung des ärztlichen Direktors Prof. Dr. Berend Isermann fortgesetzt.

Durch eine enge Zusammenarbeit zwischen klinikinternen, regionalen und überregionalen Zuweisern konnte die Betreuung von Patienten mit schweren Dyslipidämien in Mitteldeutschland optimiert werden. Hauptschwerpunkt ist die Diagnostik von Fettstoffwechselstörungen, die durch eine enge Kooperation mit dem dazugehörigen Lipid-Speziallabor am Institut ermöglicht wird. Neben einer zeitnahen Labordiagnostik erfolgt die Bestimmung des Lipidstatus u.a. mittels Lipid-Ultrazentrifugation sowie regelhafter APOE-Fokussierung.

Durch Anamnese, körperliche Untersuchung, Laboruntersuchung und Erstellung des Stammbaumes wird das kardiovaskuläre Risikoprofil der Patienten mit Störungen des Fettstoffwechsels erfasst. Der Lipidstoffwechsel kann in vielfältiger Weise gestört sein mit der Folge von Veränderungen der Funktion bzw. der Konzentration plasmatischer Lipoproteine.

Einige dieser Störungen wie die familiäre Hypercholesterinämie (FH) oder die Remnant-Disease (HLP Typ III nach Fredrickson) haben eine herausragende Bedeutung für die kardiovaskuläre Prävention. Im Fokus steht weiter die Optimierung lipidsenkender Therapien nach den aktuellen Guidelines in Kombination mit innovativen Therapiekonzepten. Behandlungskonzepte wie eine Lipidapheresetherapie werden interdisziplinär diskutiert und für die internistischen und hausärztlich tätigen Kollegen zur Verfügung gestellt.

Ein wesentlicher zeitintensiver Teil der Arbeit mit den Patienten in der Lipidambulanz ist die Gesprächsführung zur Lebenstilintervention. Neben der Betreuung von Patienten werden klinische und experimentelle Studien zur Erforschung von Dyslipidämien und deren Behandlung durchgeführt. Beispielsweise das oben beschriebene Forschungsprojekt zur Gewichtsreduktion bei Patienten mit metabolischem Syndrom (ABC-Programm).

Außerdem werden Patienten in Studien betreut, die mit einer neuen Antikörper-basierten Therapie zur LDL-Cholesterin-Reduktion (PCSK9-Hemmer) behandelt werden. Forschungsschwerpunkt ist hierbei neben der standardisierten Evaluierung von Nebenwirkungen auch die Evaluierung relevanter off-Target-Effekte in verschiedenen Organsystemen wie z.B. Niere und Fettgewebe.


Korrespondenzadresse: Dr. troph. Ronald Biemann
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Medizinische Fakultät
Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie
Leipziger Str. 44
39120 Magdeburg
Tel.: 0391-67-13900
Fax: 0391-67-13902

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2016; 28 (11) Seite 34-39