Für Diabetes und andere Erkrankungen gibt es durch den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich mehr Geld. Hat dies dafür gesorgt, dass Krankenkassen Diagnosen manipuliert haben, um finanziell davon zu profitieren? Eine wissenschaftliche Untersuchung der LMU München erhärtet diesen Verdacht.

Beeinflussen Krankenkassen Diagnosen, um mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten? Eine Studie unter Beteiligung der LMU-Ökonomin Amelie Wuppermann liefert Hinweise auf einen entsprechenden Zusammenhang. Manipulieren Krankenkassen Diagnosen, um mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten? Ein entsprechender Vorwurf des Chefs der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, sorgte im Herbst vergangenen Jahres für Aufsehen, aber auch für Widerspruch.

Hintergrund ist der sogenannte „morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich“. Aus diesem erhalten die Krankenkassen seit dem Jahr 2009 mehr Geld für Versicherte mit Krankheiten, die besonders häufig, langwierig und teuer in der Behandlung sind. Zu den ausgewählten 80 Krankheiten gehören zum Beispiel Diabetes, Hämophilie und bestimmte Krebserkrankungen. Dieser Mechanismus soll dafür sorgen, dass Krankenkassen, die überproportional viele kranke Mitglieder haben, im Wettbewerb finanziell nicht benachteiligt sind.

Nachweis für systematische Änderungen der gemeldeten Diagnosen

"Wir haben uns die Frage gestellt, ob sich die Häufigkeit jener Diagnosen, die beim Risikostrukturausgleich eine Rolle spielen, seit der Reform verändert hat", sagt Amelie Wuppermann, Juniorprofessorin für Mikroökonometrie an der volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU.

Zusammen mit ihren Ko-Autoren, unter anderem vom Center for Global Development in den USA und vom Bundesversicherungsamt, hatte sie Zugriff auf 1,2 Milliarden Diagnosen aus den Jahren 2008 bis 2013, die die Krankenkassen dem Bundesversicherungsamt im Rahmen des Risikostrukturausgleichs meldeten. In ihrer Studie weisen die Autoren nun systematische Änderungen der gemeldeten Diagnosen im Zeitverlauf nach.

Die Ergebnisse sind aktuell als CESifo-Working Paper veröffentlicht und werden demnächst auch im Fachjournal Journal of Health Economics erscheinen.

Zusätzliche Vergütungen für Diagnosekodierungen mittlerweile verboten

Die Studie zeigt, dass die Häufigkeit jener Diagnosen, die beim Risikostrukturausgleich eine Rolle spielen, seit Einführung der Reform überproportional gestiegen ist. "Unser Studiendesign lässt den Schluss zu, dass dies eine Folge der vermehrten Aufzeichnung dieser Diagnosen durch Ärztinnen und Ärzte ist und dass nicht etwa die Verbreitung dieser Krankheiten gestiegen ist", sagt Wuppermann. Ob und wie Krankenkassen diese Veränderungen veranlasst haben, lässt sich jedoch anhand der Daten nicht sicher belegen.

"Eine Möglichkeit waren die sogenannten Betreuungsstrukturverträge, die zwischen Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen geschlossen wurden und wonach Ärzte für bestimmte Diagnosen zusätzlich Geld erhielten", sagt Amelie Wuppermann. Inzwischen hat der Gesetzgeber reagiert und zusätzliche Vergütungen für Diagnosekodierungen verboten. Allerdings bleiben noch gewisse Schlupflöcher. "Ob die im April in Kraft getretenen gesetzlichen Maßnahmen angesichts der starken finanziellen Anreize ausreichen, bedarf daher noch weiterer Untersuchungen", so Wuppermann.


Quelle: Pressemitteilung der Ludwig-Maximilians-Universität München