Aktuell regt sich Widerstand bei den Handelnden im Gesundheitssystem. Die Ökonomisierung fordert Opfer. Das Thema brennt, die Zukunft ist ungewiss. Abgestraft werden Bereiche mit unzureichender Erlössituation.

Abgestraft werden Bereiche mit unzureichender Erlössituation. Nachdem erste Klinikabteilungen in Ballungszentren wegrationalisiert wurden, melden sich Fachgesellschaften zu Wort. Vor allem die "sprechende Medizin" ist in der Existenz bedroht. Mit ihr werden weniger Erlöse erzielt als mit der "apparativen Medizin". In Krankenhäusern wächst der Druck auf Ärzte, ihr Handeln der Gewinnmaximierung unterzuordnen (1).

Ökonomie darf nicht dominieren

Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) drängt auf eine Diskussion über Werte. Sie plant den Ärzte-Klinik-Kodex, der professionell-ärztliches Handeln nach ethischen Prinzipien fördern soll. Die Indikationsstellung richtet sich zu oft nach dem betriebswirtschaftlichen Vergütungssystem mit Fallpauschalen, den DRGs (Diagnosis Related Groups) (1).

In ethischen Grundsätzen zum ärztlichen Handeln schreibt auch die Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL): "Die medizinische Indikationsstellung als Kernelement der ärztlichen Tätigkeit und Identität ist von medizinfremden Erwägungen und Einflüssen freizuhalten. Ökonomische Interessen dürfen nicht ausschlaggebend für die Erbringung medizinischer Leistungen sein." (2) Im März 2016 forderte der Deutsche Ethikrat die Kliniken auf, das Patientenwohl in den Fokus zu rücken (3).

Ethik und Auftrag werden diskutiert

Von Medizinethikern und Stiftungen werden die Folgen der Ökonomisierung schon lange kritisiert. Die Deutsche Herzstiftung (DHS), die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe (SDSH) und die Stiftung "Der herzkranke Diabetiker" (DHD) haben 2012 ein gemeinsames Statement verfasst (4). Darin heißt es: Das Patientenwohl muss im Mittelpunkt stehen. Die medizinische Indikation hat immer Vorrang. Über- und Unterversorgung (lukrative versus nicht lukrative Prozeduren) sind Resultate der Fehlanreize im System. Vier Jahre später bleibt die Feststellung, dass sich wenig geändert hat – bis auf die Tatsache, dass Ethik und Auftrag der Medizin zunehmend diskutiert werden. Vom Arztberuf in der Krise ist die Rede, auch von Medizinern, denen es schwerfällt, zu benennen, was gut an ihrer Tätigkeit ist.

Es wird weitergemacht wie bisher

Der Internist und Ethiker Professor Dr. Giovanni Maio spricht von einem medizinfremden, der Produktionslogik folgenden System, das ärztliche Leistung entwertet und zum Aktionismus einlädt. Er betont, dass ärztliche Betreuung nicht auf die Summe von Vollzügen, auf die Anzahl der Eingriffe reduziert werden kann. Das eigentliche Merkmal der ärztlichen Leistung ist der Reflexionsprozess, nicht die bloße Durchführung einer Prozedur. Die Kernqualifikation des Arztes liegt im gekonnten Umgang mit Komplexität. Mediziner sollten ihre Qualifikation mit Rückgrat verteidigen. Zu einer Kultur, Notwendiges zu tun und Unnötiges zu unterlassen, muss zurückgefunden werden (5). Die Ärzteschaft applaudiert stets, wenn Maio referiert. Das Bewusstsein steigt, die Systemzwänge sind geblieben. Die Sanktionen reichen von Kündigung bis zur Schließung ganzer Abteilungen. Deshalb wird im Versorgungsalltag so weitergemacht wie bisher.

Medizin im falschen Fahrwasser

Von Verwaltungsmacht gegenüber ärztlichen Direktoren und von Aktionären, die ihre Interessen über das Wohl der Patienten und ihrer Betreuer stellen, sprach Dr. Marianne Koch bei der 50-Jahrfeier des Diabeteszentrums in Nordrhein-Westfalen. Sie folgte der Einladung über die Stiftung DHD, eine Festrede in Bad Oeynhausen zu halten. Für die Stiftung DHD ist Marianne Koch eine Ärztin, die sich authentisch für Patienten und eine bessere Medizin einsetzt. Die Internistin beklagte: "Wenn einem Arzt die Zeit fehlt, sich ans Bett eines verunsicherten oder gar verzweifelten Patienten zu setzen, (…) wenn er womöglich im mehr oder weniger gehetzten Vorbeigehen gar nicht mehr wahrnimmt, dass da ein Verzweifelter liegt. Oder wenn eine Krankenschwester einen Anpfiff bekommt, weil sie zu lange für die Pflege einer alten Frau gebraucht hat (…), dann stimmt etwas nicht mehr im System." Medizin schwimme im falschen Fahrwasser.

Verstehen, sprechen und handeln

Keine Zeit ist das Schlimmste für die vertrauensvolle Beziehung zwischen Arzt und Patient. "Wenn man sich den Nöten der Patienten nicht mehr stellen kann, dann hat man de facto eine der Primärtugenden des Arztberufs, nämlich das Zuhören und Beraten, mit einem Wort, die sprechende Medizin abgeschafft", meinte Koch. Der Berufsstand der Ärzte sei an diesem Dilemma selbst mit schuld. Man habe sich nicht wirklich gewehrt, als die angemessene Honorierung der verbalen Medizin gestrichen wurde. Leidtragende sind die Patienten, die sich mit ihren Fragen, ihren Ungewissheiten alleingelassen fühlen.

Die Unsicherheit der Patienten bekommen auch Stiftungen zu spüren. Sie werden um Zweitmeinung gebeten, klären über Krankheitsbild, Behandlung und Linderung von Beschwerden auf. Gute Medizin ist vor allem eine Kunst des Verstehens, Sprechens und Handelns zum Wohl des Patienten.


Literatur:
1) Schumm-Draeger PM, Mann K, Müller-Wieland D, Fölsch UR: Der Patient ist kein Kunde, das Krankenhaus kein Wirtschaftsunternehmen. Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 1183-1185
2) Ärztekammer Westfalen-Lippe: Ethische Grundsätze für das ärztliche Handeln. http://www.aekwl.de/uploads/media/Ethische_Grunds%C3%A4tze_f%C3%BCr_das_%C3%A4rztliche_Handeln.pdf (Zugriff: 22.11.2016)
3) Deutscher Ethikrat: Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus. http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-patientenwohl-als-ethischer-massstab-fuer-das-krankenhaus.pdf (Zugriff: 22.11.2016)
4) Hertrampf K: Stiftungen im Gesundheitswesen: Das höchste Gut ist Glaubwürdigkeit. Diabetes Stoffw Herz 2012; 21: 280-281
5) Hertrampf K: Entzug von Vertrauen schafft Raum für Aktionismus. Diabetes Stoffw Herz 2015; 25: 121-214


Korrespondenzadresse: Katrin Hertrampf
Presse Stiftung DHD
Georgstraße 11
32545 Bad Oeynhausen

Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2016; 26 (6) Seite 374-375