Die Ad-hoc-Kommission Nutzenbewertung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e.V. fordert in einem Positionspapier zur frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel, die Methodik der Bewertung zu erweitern. Es sei wichtig, das patientenrelevante Outcome stärker einzubeziehen und damit zu einem wichtigen Kriterium der Bestimmung eines Zusatznutzens werden zu lassen. Das AWMF-Positionspapier wurde auf der Basis einer umfassenden Analyse der Ergebnisse aller AMNOG-Verfahren von 2011 bis 2016 formuliert, das die AWMF bei ihrer Delegiertenkonferenz in Frankfurt vorstellte. Darin fordert die Kommission zudem mehr Transparenz im Verfahren der Preisbildung und bei den Kriterien zur Festlegung der Aussagesicherheit.

Seit 2011 werden neu in den Markt eingeführte Medikamente oder bereits etablierte Arzneien mit erweitertem Indikationseinsatz einer sogenannten „frühen Nutzenbewertung“ durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) unterzogen. Gesetzliche Basis ist das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG). Es hinterfragt, ob ein neues Medikament gegenüber bereits verfügbaren Präparaten einen Zusatznutzen aufweist. Es geht dabei nicht um die Qualität, Wirksamkeit oder Sicherheit einer neuen Therapie. Dies wurde bereits vor der Zulassung vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geprüft. Die Ergebnisse dieser Bewertung dienen vielmehr den Preisverhandlungen zwischen den Herstellern und dem GKV-Spitzenverband.

Schwächen in der derzeitigen Methodik

„Kommt als Ergebnis ein ‚erheblicher oder beträchtlicher Zusatznutzen‘ heraus, sind höhere Preise für das Medikament möglich“, so Professor Dr. med. Rolf Kreienberg, Präsident der AWMF. Wird kein Zusatznutzen belegt, wirkt sich das ebenfalls auf die Preisverhandlung aus: Das Medikament darf dann nicht teurer abgegeben werden als die Vergleichstherapie. Die AWMF unterstützt grundsätzlich das Verfahren der Nutzenbewertung. „So wird sichergestellt, dass der Mehrwert neuer Entwicklungen geprüft wird, um unnötige Kosten im Gesundheitssystem zu vermeiden“, fasst Kreienberg zusammen. Allerdings zeigt eine aktuelle Analyse der AWMF-Ad-hoc-Kommission Nutzenbewertung beunruhigende Entwicklungen. „Bei aller Zustimmung zu diesem Instrument sieht die AWMF in der derzeitigen Methodik Schwächen, die Innovationen bremsen könnten“, so der AWMF-Präsident.

Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen Fachgebieten

Die Ad-hoc-Kommission, in der mehr als 20 Vertreter medizinsicher Fachgesellschaften mitarbeiten, analysierte die insgesamt 224 bis Ende 2016 abgeschlossenen Verfahren. Bei mehr als 60 Prozent war ein „Zusatznutzen nicht belegt“, 16 Prozent wurde ein „geringer Zusatznutzen“ und nur 12 Prozent ein „beträchtlicher Zusatznutzen“ beschieden. „Am Auffälligsten ist das Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen Fachgebieten, das nicht allein durch Unterschiede in Design und Qualität der zugrunde liegenden Studien zu erklären ist“, kritisiert Professor Dr. med. Bernhard Wörmann, Vorsitzender der Kommission. In Onkologie, Infektiologie oder Pneumologie wurden 45 Prozent der geprüften Arzneimittel kein Zusatznutzen bescheinigt; in der Diabetologie, Neurologie oder Ophthalmologie lag die Quote bei fast 90 Prozent.

Höhere Gewichtung des patientenbezogenen Outcomes nötig

Nach Einschätzung der Kommission liege der Hauptgrund darin, dass die Endpunkte der Studien unterschiedlich bewertet werden. Verbessert ein neues Arzneimittel die Krankheitsbelastung und die Lebensqualität des Patienten, wird das nicht ausreichend erfasst. „Wir brauchen eine höhere Gewichtung von Funktionstests, Verbesserung bei Alltagsfunktionen oder belastenden Symptomen“, fordert Wörmann. Die Methodik muss erweitert werden, um unzureichende Bewertungen des patientenbezogenen Outcomes zu beseitigen, so das Fazit der Kommission.

Die Kommission weist in ihrem Papier auf weitere methodische Mängel hin: Wird kein Zusatznutzen bescheinigt, erbrachte der G-BA keinen Beleg für die Sicherheit dieser Aussage. Lediglich ein Prozent der bisherigen AMNOG-Entscheidungen wird mit der höchsten Aussagesicherheit eines Belegs getroffen. Die zugrundeliegenden Kriterien müssten auf alle Festlegungen angewandt und damit nachvollziehbar werden. Kritisch sehen die Experten zudem das Verfahren der Preisbildung, das heute weder rechtssicher noch transparent sei. Jetzt heißt es, die Verantwortlichen des AMNOG-Verfahrens beim Wort zu nehmen, denn sie sprechen seit dessen Einführung von einem „lernenden System“. „Die von der Ad-hoc-Kommission analysierten Entwicklungen stellen den langfristigen Wert des Verfahrens in Frage, wenn nicht methodisch nachgebessert wird“, bilanziert AWMF-Präsident Kreienberg.


Quelle: Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF)