Praktische Tipps zur Betreuung von Diabetikern - 12 Empfehlungen für den Diabetologen, Teil 2. Lesen Sie jetzt die nächsten sechs Empfehlungen.

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Empfehlung Nr. 7

So oft wie nur möglich Metformin für die Behandlung des Typ-2-Diabetes verwenden! Metformin hat bekanntlich eine bewegte Geschichte hinter sich, bis 1998 beim Kongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Barcelona die UKPDS (United Kingdom Prospective Diabetes Study) zeigte, dass allein Metformin als orales Antidiabetikum in der Lage war, die Herzinfarkt- und Mortalitätsrate bei Diabetikern zu senken. Bis dahin hatten wir und andere Autoren größte Schwierigkeiten, die diabetologische Mitwelt von den offenkundigen Vorteilen der Substanz zu überzeugen.

Metformin wirkt über die Bremsung der Glukoneogenese extrapankreatisch blutzuckersenkend, macht also keine Hypoglykämien, senkt die Lipide (vor allem die Triglyzeride), bewirkt eine Stimulierung der körpereigenen Inkretinsekretion, wirkt appetitmindernd und gewichtsreduzierend, verlängert offenkundig das Leben der behandelten Patienten (sogar im Vergleich zu Nichtdiabetikern!) und hat einen antikarzinogenen Effekt. Was will man mehr von einem oralen Antidiabetikum? Außerdem ist Metformin, wie unten beschrieben wird, der ideale Kombinationspartner für andere blutzuckersenkende Tabletten oder auch für Insulin.

Natürlich ist die Indikation Typ-2-Diabetes unumstritten, während beim Typ-1-Diabetes offiziell noch keine Verwendungsmöglichkeit existiert, allenfalls "off label", wenn der Verdacht auf einen Double Diabetes besteht, d. h. wenn zum Typ-1-Diabetes sich ein Typ-2-Diabetes hinzugesellt. Natürlich kann man das nicht beweisen, aber doch vermuten, wenn eine entsprechende Familienanamnese mit Typ-2-Diabetes vorliegt und der Patient mit Typ-1-Diabetes infolge der Insulinresistenz des hinzugekommenen Typ-2-Diabetes stark an Gewicht zunimmt und höhere Insulindosen benötigt.

Es gibt nur wenige Nachteile für das Metformin. So soll es bei schweren anoxischen Zuständen, vor allem aber bei Niereninsuffizienz, nicht verordnet werden. Gerade hier hat sich aber Erfreuliches getan, indem – endlich – in Deutschland die viel zu hohe GFR (glomeruläre Filtrationsrate)-Grenze von 60 ml/min auf 45 ml/min bei gleichzeitiger Dosishalbierung des Metformins als Schwellenwert für Kontraindikationen gesenkt werden konnte. In den USA liegt diese Grenze sogar bei 30 ml/min.

Dennoch sollte man, gerade wenn gastrointestinale Infekte mit Exsikkose und fieberhaften Zuständen auftreten, den Patienten streng überwachen und Metformin vorübergehend absetzen. Die gelegentlich mitgeteilten Reduzierungen der Vitamin-B12- und der TSH (Thyroidea-stimulierendes Hormon)-Spiegel sind von keinem wesentlichen praktischen Interesse.

Empfehlung Nr. 8

Rechtzeitig orale Antidiabetika kombinieren, womöglich mit Insulin! Wir haben als Erste bereits 1958 über die bis dahin unbekannte Kombinationstherapie mit oralen Antidiabetika berichtet, wobei seinerzeit Biguanide (Phenformin, Buformin) und Sulfonylharnstoffe (Tolbutamid) in Frage kamen. Später hat W. Bachmann aus unserer Gruppe über die erste Kombinationsbehandlung eines oralen Antidiabetikums (damals Glibenclamid) mit Insulin berichtet. Die Kombinationen gestalten sich heute anders, da – wie in Teil 1 dieser Empfehlungen berichtet – die Sulfonylharnstoffe praktisch ausgespielt haben. Dafür sind aber neue Möglichkeiten der gemeinsamen Verabreichung von Antidiabetika initiiert worden, wobei – wie gesagt (siehe oben) – Metformin eine entscheidende Rolle spielt.

So hat sich die Kombination von Metformin mit DPP (Dipeptidylpeptidase)-4-Hemmern (Gliptinen) sehr bewährt und dabei besonders mit dem seit über acht Jahren im Handel befindlichen Sitagliptin. Auch die neueren SGLT (sodium-dependent glucose cotransporter)-2-Rezeptorenhemmer (Gliflozine) mit dem Marktführer Dapagliflozin sowie Empagliflozin bewähren sich als extrapankreatisch wirksame Substanzen in Kombination mit Metformin oder als Triple-Therapie mit Gliptinen und Metformin hervorragend.

Gliptine haben sowohl einen insulinotropen Effekt (ohne Hypoglykämien hervorzurufen!) als auch eine Bremsung der Glukagonsekretion im Gefolge, während Gliflozine über die verstärkte Glukosurie blutzuckersenkend, blutdrucksenkend (infolge Natriurese), gewichtsreduzierend (200 – 300 kcal/Tag) und anhaltend ohne "Jo-Jo-Effekt" mit gleichbleibendem, niedrigem Körpergewicht wirksam sind. Bei den Gliflozinen ist noch zu beachten, dass interessanterweise Untersuchungen der Körpergewebe zeigten, dass der Kalorienverlust vor allem zu Lasten des unerwünschten viszeralen Fettgewebes geht.

Wie bereits in Ausgabe 6/2015 erwähnt, hat die EMPA-REG-OUTCOME-Studie darüber hinaus für Empagliflozin sensationell wichtige Ergebnisse gebracht. Schon nach ca. 3 Jahren ergaben sich nicht nur eine Nichtunterlegenheit der Prüfgruppe gegenüber den Kontrollen, sondern sogar signifikante Vorteile: 38 % geringere kardiovaskuläre und 32 % geringere Gesamtmortalität sowie 35 % weniger stationäre Einweisungen wegen Herzinsuffizienz. Man spricht hier von einem Durchbruch in der oralen Therapie (DDG) und erklärt diese Ergebnisse mit einer Reduzierung des HbA1c-Werts und der Blutdruckwerte (Natriurese!) sowie einer Abnahme des Körpergewichts und des Taillenumfangs (neben einer womöglich spezifischen Wirkung von Empagliflozin). Die Nebenwirkungen beschränken sich auf gelegentliche harmlose mykotische Genitalinfektionen (vor allem bei Frauen).

Als orale Kombinationspartner kommen theoretisch noch Acarbose (wegen der gastrointestinalen Nebenwirkungen und des hohen Preises selten eingesetzt) und Pioglitazon, was nicht mehr von den gesetzlichen Krankenkassen ersetzt wird, in Betracht. Wichtiger ist hingegen die Kombination mit GLP (glucagon-like peptide)-1-Rezeptoragonisten wie Exenatide, Liraglutide, Albiglutide und Dulaglutide. Diese wirken ähnlich wie die Gliptine, reduzieren Appetit und Körpergewicht und sind vor allem auch mit Insulin gut kombinierbar. Dies haben wir als ISI (incretin supported insulin therapy oder insulin supported incretin therapy) bezeichnet. Auf eine der wichtigsten Kombinationen (Insulin plus orale Antidiabetika) wird unten noch näher eingegangen.

Empfehlung Nr. 9

Nicht zu spät Insulin spritzen! Die Studie ORIGIN (Outcome Reduction with Initial Glargine Intervention) hat gezeigt, dass bei Verwendung von Insulin glargin zu 28 % seltener Diabetiker einen manifesten Diabetes entwickelten im Vergleich zur ohne Insulin behandelten Gruppe. Auch sind in dieser Situation – wohl wegen der noch vorhandenen Regulation durch endogenes Insulin – die Hypoglykämierate und das Ausmaß der Gewichtszunahme sehr gering.

Dennoch wird man hier in der Regel noch nicht zum Insulin greifen, wohl aber später, wenn orale Antidiabetika unzureichend wirksam sind und nur noch einen Teileffekt entfalten. In letzterer Situation hat sich die BOT (basal unterstützte orale Therapie) sehr gut bewährt, wobei die zur Erlangung optimaler Blutzuckerwerte nicht mehr ausreichenden Antidiabetika, die aber doch immer noch etwas wirksam sind, beibehalten werden und mit einem langwirkenden Insulin (vorzugsweise Insulinanaloga, siehe unten) kombiniert werden.

Äußerst wichtig ist die Feststellung, dass gerade sehr alte Menschen mit einem lange laufenden Typ-2-Diabetes, der letztlich ebenfalls zum mehr oder weniger vollkommenen Sistieren der körpereigenen Insulinsekretion führt, hervorragend auf Insulin ansprechen. Diese Patienten leben unter dem "Wundermittel" Insulin geradezu auf, was mit dem anabolen Effekt im Hinblick auf Blutzuckersenkung, Regulierung des Fettstoffwechsels und Bekämpfung der Exsikkose zu erklären ist.

Empfehlung Nr. 10

Bei der Insulinbehandlung möglichst Insulinanaloga bevorzugen! Was im Ausland schon längst gang und gäbe ist, hat sich in Deutschland langsamer und immer noch unvollkommen, wenn auch inzwischen überwiegend durchsetzen können: die Behandlung mit kurz- oder langwirksamen Insulinanaloga.

Die Insulinanaloga wirken in der Tat humaner als "Humaninsulin", indem die kurzwirkenden den ersten Peak der körpereigenen Insulinsekretion besser nachahmen als das Normalinsulin und indem die langwirkenden Substanzen durch ihr flaches Wirkprofil der körpereigenen Insulinsekretion viel mehr ähneln, als dies beim NPH (Neutrales Protamin Hagedorn)-Insulin mit seiner Wirkungsspitze der Fall ist. Dieses Wirkungsmaximum führt übrigens vermehrt zu Hypoglykämien und zur Gewichtszunahme; beides ist bei langwirkenden Insulinanaloga deutlich reduziert.

Die kurzwirkenden Insulinanaloga (Insulin lispro, Insulin aspart, Insulin glulisin) benötigen keinen Spritz-Ess-Abstand und können im Bedarfsfall sogar nach dem Essen gespritzt werden, während die langwirkenden Insuline dominiert werden von dem Goldstandard Insulin glargin und seinem Nachfolgepräparat Insulin glargin 300, was noch weniger Hypoglykämien aufweist, sowie dem Insulin detemir (zwei Spritzen erforderlich). Alle diese langwirkenden Insulinanaloga haben den weiteren Vorteil, dass sie in klarer Lösung vorliegen im Vergleich zur trüben NPH-Suspension. Letztere muss von den Patienten vor der Injektion durchmischt werden, was nach Jahr und Tag viele Patienten nicht mehr tun und was nach Bolli zu einer Art "NPH brittle diabetes" infolge unterschiedlicher Insulinkonzentrationen führen kann.

Empfehlung Nr. 11

Ketoazidose adäquat behandeln! Noch immer beginnen viele Typ-1-Diabetiker, vor allem Kinder und Jugendliche, ihre Manifestation mit einer Ketoazidose. Mit der Fr1da-Studie wird bayernweit versucht, durch die Bestimmung von Autoimmunmarkern bei allen zwei bis fünf Jahre alten Kindern anlässlich der üblichen Vorsorgeuntersuchung einen Hinweis auf eine mögliche spätere Diabetesmanifestation zu gewinnen. Die Eltern von positiv getesteten Kindern werden über den Befund informiert und auf die mögliche Diabetesmanifestation hingewiesen, um den Start mit einer Ketoazidose durch rechtzeitige Einstellung der Betroffenen zu verhindern.

Eine ausgeprägte Ketoazidose, die auch dem niedergelassenen Kollegen bei bereits bekannten Typ-1-Diabetikern infolge Behandlungsfehlern (Weglassen des Insulins bei gastrointestinalen Infekten!) begegnet, muss sofort stationär behandelt werden. Dabei kann der Hausarzt schon Gutes tun, wenn er sofort eine Kochsalzinfusion anlegt.

Das Wichtigste bei der Behandlung der Ketoazidose ist nämlich der Ausgleich des bis zu 10 % des Körpergewichts aufgetretenen Flüssigkeitsdefizits der Betroffenen und dann erst in der Klinik die Gabe kleiner Insulinmengen. Letzteres hat sich besser bewährt als übergroße Insulindosen, da diese mit Hypokaliämien einhergehen können. Die Wirkung von Insulin ist ja u. a. darin zu sehen, dass es neben der Blutglukose auch das Serumkalium in die Zellen treibt und somit zur Hypokaliämie führt. Bestimmungen dieses Elektrolyten sind deswegen ebenso klinisch zwingend wie eine langsame Reduktion der Blutzuckerwerte und ein relativ rascher Ausgleich des Flüssigkeitsdefizits.

Empfehlung Nr. 12

Stets sollte bedacht werden, dass Menschen mit Diabetes in erster Linie durch mikro- und makrovaskuläre Schäden lebensbedrohlich gefährdet sind und dass der – meist neuropathische – diabetische Fuß ein besonders trauriges, eigenes Kapitel darstellt.

Die Fahndung nach einer Mikroangiopathie beginnt mit zweierlei Maßnahmen: Spiegelung des Augenhintergrunds, ob eine Retinopathie vorliegt, und Untersuchung des Urins auf eine Mikroalbuminurie, was für eine beginnende diabetische Nephropathie spricht. Hier und natürlich vorher schon ist eine strikte Diabeteseinstellung zwingend, da gerade die Mikroangiopathie hervorragend auf die Normalisierung der Blutzuckerwerte anspricht. Dies haben die Studie DCCT (Diabetes Control and Complications Trial)-EDIC (Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications) für Typ-1-Diabetes und die UKPDS sowie die STENO-2-Studie für Typ-2-Diabetes bewiesen. Erfreulicherweise ist es in der Tat gelungen, in den letzten Jahren die Mikroangiopathie etwas zurückzudrängen und insbesondere damit präventiv gegen Erblindungen bzw. Nierenversagen tätig zu werden.

Die Makroangiopathie ist ein Bestandteil des Metabolisch-vaskulären Syndroms, wenn gleichzeitig eine Hypertonie, eine Dyslipoproteinämie, eine androide Fettsucht, eine Fettleber und/oder Gerinnungsstörungen bestehen. Studien von Hafner sowie von Schramm haben gezeigt, dass das Vorkommen eines Typ-2-Diabetes per se ein koronares Risiko darstellt, eine Situation, die das Wort vom an sich "milden Altersdiabetes" ad absurdum führt: Typ-2-Diabetiker ohne vorangegangenen Herzinfarkt wiesen das gleiche koronare Risiko auf wie Nichtdiabetiker mit vorangegangenem Infarkt, der bekanntlich einen besonderen Risikofaktor darstellt!

Die gute Diabeteseinstellung ist im Hinblick auf die Prävention der Makroangiopathie nicht so rasch evident, aber letztlich doch bedeutsam, wie die UKPDS und die STENO-2-Studie gezeigt haben. Hier kam es erst nach vielen Jahren zu einer signifikanten Besserung der kardiovaskulären Erscheinungen, wenn solche Diabetiker schon zu Krankheitsbeginn gut und scharf eingestellt waren. In Teil 1 dieser Ausführungen wurde darauf hingewiesen, dass gemäß einer individualisierten Therapie die HbA1c-Werte anfänglich möglichst zwischen 6,5 und 7,0 % liegen sollen, während später – zur Vermeidung der schädlichen Hypoglykämien – "mildere Kriterien" möglich und nötig werden.

Abschließend zur 12. Empfehlung soll noch auf die Prävention des diabetischen Fußes hingewiesen werden, eine Maßnahme, die viel Leid und große Kosten ersparen kann. So soll der Diabetiker in der Schulung – und damit schließt sich der Kreis der Empfehlungen für den Diabetologen – ausführlich darauf hingewiesen werden, dass kein zu enges Schuhwerk getragen werden soll, dass neue Schuhe erst am Nachmittag, wenn der Fuß etwas geschwollen ist, anprobiert werden sollen, dass Strümpfe ohne Naht getragen werden sollen (Druckstellengefahr!) und dass die Füße einmal täglich bei 37 °C Wassertemperatur gewaschen, aber nicht mit scharfen Bürsten bearbeitet werden sollen.

Zwingend notwendig ist die Forderung, die Fußnägel durch einen erfahrenen Angehörigen oder Fußpfleger behandeln zu lassen, wenn das eigene Sehvermögen und die Beweglichkeit dazu nicht mehr ausreichen. Die Verwendung von scharfen Scheren oder gar Skalpellen ist zu vermeiden. Im Übrigen soll der Patient einmal täglich seine Fußsohlen betrachten, was infolge mangelnder Beweglichkeit und Übergewicht oft nur mit Hilfe eines entsprechenden Spiegels gelingt. Bei Vorliegen von Blasen oder anderen Verletzungen soll unbedingt sofort der Hausarzt aufgesucht werden.



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© Verlag Kirchheim
Prof. Dr. Hellmut Mehnert

Forschergruppe Diabetes e. V.
Drosselweg 16
82152 Krailling

Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2016; 26 (1) Seite 36-38