Welchen Beitrag kann eHealth zur Verbesserung der Versorgung leisten? Wie profitieren Patienten am besten? Bernd Altpeter vom Deutschen Institut für Telemedizin und Gesundheitsförderung weiß es.

Bundesgesundheitsminister Gröhe hat sich das Thema eHealth auf die Fahne geschrieben: "Mit dem eHealth-Gesetz haben wir Tempo gemacht, damit der Nutzen der Digitalisierung endlich bei den Versicherten ankommt", versprach er. Darüber hinaus lag ihm der Patient am Herzen: "Im Mittelpunkt müsse dabei stets der Patient stehen."

Das sind recht vollmundige Ankündigungen. Sie lassen die Erwartungshaltung bei den Versicherten in die Höhe schnellen. Aber was genau steckt dahinter und wie weit verbessert sich dadurch die Versorgungssituation für die Patienten?

Begrenztes Interesse der Leistungserbringer

Tatsächlich soll mit dem Gesetz zunächst lediglich die digitale Speicherung von Patientendaten vorangetrieben werden. Nach Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) soll es möglich werden, dass u.a. Ärzte in Notfallsituationen Informationen des Patienten über Vorerkrankungen, Allergien und verschriebene Medikamente durch Auslesen der eGK erhalten.

Konkret bedeutet es, dass Ärzte und Zahnärzte sogenannte Stammdaten austauschen können, also Informationen über Name, Anschrift und Versicherung des Patienten. Patienten, die drei oder mehr Medikamente einnehmen, haben Anspruch auf einen schriftlichen Medikationsplan. Später soll dieser dann elektronisch abrufbar sein.

Eigentlich im Jahre 2017 kaum vorstellbar, dass diese Leistung, welche in zahlreichen europäischen Nachbarländern wie in der Schweiz und in Dänemark bereits selbstverständlich ist, als große Errungenschaft angesehen wird. Aber das Gesetz ist wichtig: Weil wir uns im deutschen Gesundheitswesen noch immer im digitalen Mittelalter befinden und anscheinend bei Leistungserbringern nur begrenztes Interesse besteht, an diesem Sachverhalt etwas zu ändern.

Innovationsfonds fördert Versorgungsprojekte

Laut einer eHealth-Studie der Stiftung Gesundheit im Jahr 2015, durchgeführt von der Gesellschaft für Gesundheitsmarktanalyse mbH (GGMA), stimmen nur 7,3 % aller Ärzte vollumfänglich zu, dass die Services für Patienten in der Summe besser, schneller und komfortabler sein werden. Nur 9,8 % glauben, dass sie auch qualitativ verbesserte Services bieten werden. Immerhin stimmen zwischen 20 und 30 % zu, dass es wahrscheinlich ist.

Überzeugend ist das nicht. Wo doch der Bedarf gerade beim Patienten sehr hoch ist (Abb. 1). Bereits heute ist der Wunsch seitens der Patienten nach digitalen Services von den Ärzten größer als die Bereitschaft der Ärzte, diese Services auch anzubieten.

Aber wo stehen wir gut ein Jahr nach der Einführung des Gesetzes? Und was kommt von der "digitalen Revolution" beim Patienten schon an? Das Ergebnis fällt ernüchternd aus. In der Versorgungsrealität hat sich das Thema eHealth bis auf einige Pilotprojekte nicht wirklich etabliert. Zwar konnten in dem Gesetz einige technischen Rahmenbedingungen geklärt werden, aber noch immer gibt es keine eindeutigen Richtlinien, wie und welche Angebote den Zugang in die Regelversorgung finden. Erst wenn eHealth-Leistungen fester Bestandteil der Versorgung und somit verschreibungsfähig sind, werden sie in der Breite für die Patienten erlebbar und wirksam.

Der 2016 ins Leben gerufene Innovationsfonds hat genau diese Zielsetzung. In einer ersten Vergabewelle wurden 91 Projekte zur Verbesserung der Versorgung bewilligt, darunter zahlreiche eHealth-Ansätze. Ab Juli 2017 wird die Videosprechstunde ärztlich vergütet, doch fehlen den meisten Ärzten und Patienten die technischen Voraussetzungen dafür. 61,3 % der von GGMA befragten Ärzte schließen eine Nutzung der Videosprechstunde für sich kategorisch aus.

eHealth unterstützt Arzt-Patienten-Interaktion

Warum ist eHealth wichtig für die Verbesserung der Versorgung unserer Patienten? 18 Mal im Jahr geht jeder Deutsche im Durchschnitt zum Arzt (Quelle: Befragung T-Online). An einem Spitzentag muss ein niedergelassener Mediziner laut einer aktuellen Studie im Auftrag der Gmünder Ersatzkasse (GEK) bis zu 70 Patienten am Tag betreuen. Pro Patient bleiben dem Arzt also im Schnitt sechs Minuten Zeit, wobei Hausärzte und Internisten gemessen am höheren Beratungsbedarf am wenigsten Zeit hätten.

Der Patient will aber keine Diagnose und Therapie im Schnelldurchlauf, wenn er zum Arzt geht. "Er möchte Trost, Beruhigung und Antworten", erklärt Johanna Lalouschek von der Universität Wien. Sie befasst sich seit vielen Jahren mit Patientenbedürfnissen und der Interaktion zwischen Arzt und Patient. Lalouschek sieht den Trend, dass Kommunikation in der Arztpraxis zunehmend wichtiger wird und nennt dafür drei Gründe:

  1. Patienten nehmen in der Alternativmedizin wahr, dass andere Behandlungs- und Gesprächsformate möglich sind und fordern diese in der Schulmedizin ein.
  2. Junge Ärzte reagieren zunehmend unzufrieden, wenn sie feststellen, dass ihr Traumberuf am Menschen vorbei geht und zur Fließbandmedizin mutiert.
  3. Älter werdende Patienten und chronisch Kranke brauchen eine andere Form der Behandlung und Betreuung. Sie müssen selbstständig auf die Krankheit reagieren können. Das geht nur, wenn die Erkrankung verstanden wird und der Arzt in den Jahren des Krankseins als verlässlicher und ansprechbarer Partner erlebt wird.

Genau in diesem Bereich kann eHealth die Mediziner, aber vor allem auch die Patienten unterstützen. Vielerorts konnte gezeigt werden, dass Patienten ihr Erkrankungswissen durch digital zur Verfügung gestellte Informationen verbessern können. Auch Therapieadhärenz und Compliance wurden gesteigert. Die Übermittlung krankheitsrelevanter Parameter an Ärzte oder Gesundheitscoaches helfen den Patienten in der Zeit zwischen den Praxisbesuchen.

Mit Daten-Monitoring kann bei Bedarf schneller bzw. gezielter interveniert werden. Für den Arzt liegt der Vorteil darin, auch ohne Konsultation nah am Patienten zu sein. Patienten, die telemedizinisch betreut werden, nehmen ihre Medikamente zuverlässiger ein und fühlen sich stärker für ihre Gesundheit verantwortlich.

Telemedizin leistet Beitrag zur Versorgung

Das Deutsche Institut für Telemedizin und Gesundheitsförderung (DITG) bietet seit 2013 telemedizinische Konzepte für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und Typ 1 an. Das DITG unterstützt Ärzte in der Betreuung ihrer Patienten, vor allem in dem Bereich der Lebensstil-änderung. Denn: Verhaltensmodifikation erreicht man nicht mit einer Gesprächsdauer von sechs Minuten in der Arztpraxis. Patienten benötigen neben engmaschigem Monitoring der Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten auch den regelmäßigen Dialog über ihr Krankheitsbild und die Bedeutung der Therapieadhärenz.

Durch einen 12-monatigen Interventionspfad, bei dem die Patienten anfangs wöchentlich kontaktiert und alle Daten über Aktivitäten, Ernährung, Gewicht und Glukoseverlauf täglich digital an das Fachpersonal übermittelt werden, gelingt es z.B. bei 30 % der Typ-2-Diabetiker, die seit 11 Jahren oder länger insulinisiert sind, das Insulin komplett abzusetzen. Das Feedback der Patienten zeigt, dass eine intensive telemedizinische Betreuung die Motivation und Adhärenz deutlich steigern kann:

  • "Das Programm motiviert, meinen Lebensstil positiv zu ändern – besonders das Coaching steigert mein Durchhaltevermögen. Es ist super, einen kompetenten Ansprechpartner zu haben."
  • "Ohne das Programm und vor allem das Coaching hätte ich wahrscheinlich weiterhin an Gewicht zugenommen."
  • "Mein Coach unterstützt mich sehr und motiviert mich immer wieder, am Ball zu bleiben."
  • "Mehr Bewegung im Alltag ist für mich zur Selbstverständlichkeit geworden – ich bin jetzt viel agiler und wacher als früher und habe das Gefühl, jetzt mehr zu schaffen, auch auf der Arbeit."

Die Ergebnisse der kürzlich in Diabetes Care veröffentlichten TeLIPro-Studie zeigen, welchen Beitrag Telemedizin zur Verbesserung der Versorgung leisten kann (Tab. 1). In der Schweiz gehören solche Konzepte mittlerweile zur Regelversorgung. Jeder Patient hat hier die freie Wahl, ob er von einem niedergelassenen Arzt, von einem telemedizinischen Zentrum oder in Kombination von beiden betreut werden soll. Es wäre zu wünschen, dass das Potenzial in Deutschland erkannt wird, spätestens dann, wenn die nächsten Beschlüsse im eHealth-Gesetz anstehen.



Autor: Bernd Altpeter
CEO Deutsches Institut für Telemedizin und Gesundheitsförderung (DITG)
Kölner Landstrasse 1, 40591Düsseldorf

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2017; 29 (7/8) Seite 14-16