Das Motto „Fortschritt für unsere Patienten“ griff die zweite Pressekonferenz des Diabetes Kongresses am 26. Mai 2017 in Hamburg konkret auf. Dabei spannten die Referenten den Bogen von den kleinsten bis zu den ältesten von Diabetes Betroffenen.

Immer mehr Typ-1-Diabetiker in Europa

„Weltweit nimmt die Neuerkrankungsrate an Typ-1-Diabetes im Kindes- und Jugendalter zu, sie steigt jährlich um drei bis vier Prozent in allen Ländern Europas“, berichtete Professor Dr. Andreas Neu aus Tübingen. Jedes 600. Kind in Deutschland hat einen Typ-1-Diabetes, das sind etwa 31.000 Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 20 Jahren. Warum es immer mehr Kinder werden, die Typ-1-Diabetes bekommen, wird derzeit noch diskutiert. So kann eine bessere Erfassung der Erkrankten eine Rolle spielen, aber auch ein veränderter Genpool, weil durch Schwangere mit Typ-1-Diabetes die Gene entsprechend weitergegeben werden. Möglicherweise beeinflussen auch veränderte Lebensumstände die Diabeteshäufigkeit, allerdings ist auch hier unklar, welche das sein können. Interessant ist, dass sich nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 die Raten der Menschen mit Typ-1-Diabetes in den westlichen und östlichen Bundesländern einander anglichen.

Stoffwechsel geschult hybrid steuern

Der Aufgabe, den Kindern, und auch Erwachsenen, das Leben mit Typ-1-Diabetes zu verbessern und zu erleichtern, haben sich Forscher vom Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover verschrieben – mit der Entwicklung eines Closed-Loop-Systems. Professor Dr. Olga Kordonouri: „Wir haben akademische Gruppen, aber auch Firmen, die sehr intensiv an diesem Traum arbeiten.“ Inzwischen ist in den USA ein Hybrid-Closed-Loop-System zugelassen: Dieses System kann bei abfallenden Glukosewerten die Insulinzufuhr drosseln, bei steigenden Werten die Insulinzufuhr steigern. „Man hat mittlerweile sehr gut gesehen, dass solche Systeme nachts bei mahlzeitenunabhängiger Insulinversorgung sehr gut funktionieren.“ Aber auch tags bietet das System Vorteile. Eine Aufgabe verbleibt noch bei den Patienten: „Für die Mahlzeiten muss der Patient selbst Insulin verabreichen, den Bolus abgeben – deshalb heißt es hybrides System.“ Eins darf dabei nicht vergessen werden, denn völlig automatisiert läuft das System wie beschrieben noch nicht und die Anwender müssen die vielen Daten verstehen und umsetzen: „Man braucht weiterhin eine Schulung.“

Pflegebedürftige Diabetiker haben besondere Probleme

Um die ältesten Patienten geht es Dr. Jürgen Wernecke aus Hamburg. Die Zahl der zu pflegenden Menschen, und damit auch die Zahl der Diabetiker, steigt und wird immer weiter steigen. Dieses Problem muss langfristig angegangen werden, aber auch kurzfristige Lösungsansätze gibt es. „Die Demenzrate bei älteren Menschen mit Diabetes mit schweren Hypoglykämien ist doppelt so hoch. Dem müssen wir einfach mit differenzierten Therapiezielen gegenüberstehen.“ Wahrscheinlich sterben mehr pflegebedürftige Menschen an einer Hypoglykämie, als bekannt ist, weil ein kardialer Tod angenommen wird, wenn sie morgens tot im Bett liegen. Die DDG hat für die Schulung des Pflegepersonals Programme aufgelegt: „Wir haben jetzt schon seit ein, zwei Jahren ein sogenanntes Langzeitprogramm für die Klinik und auch für die stationäre Pflege mit 160 Ausbildungsstunden.“ Es soll aber weitergehen, z.B. mit einem modularen Schulungssystem.

Versorgung sichern durch Nachwuchsförderung

Damit die Patienten mit Diabetes auch weiterhin ausreichend Ärzte finden, die diabetologisch ausgebildet sind, engagiert sich die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) in der Nachwuchsförderung. Kongress-Präsidentin Professor Dr. Annette Schürmann erläuterte, dass durch die Ökonomisierung in der Medizin Diabetes-Abteilungen in Kliniken und diabetologische Lehrstühle an Universitäten verlorengehen. „Da versuchen wir seit geraumer Zeit entgegenzuwirken.“ Deshalb wird der ärztliche und naturwissenschaftliche Nachwuchs mit Stipendien zum Kongress eingeladen, im Jahr 2017 waren es 154 Empfänger, ausgewählt aus 220 Bewerbern. Während des Kongresses werden die Stipendiaten von Mentoren betreut und können an speziellen Sitzungen teilnehmen, zuvor gab es einen speziellen Nachwuchstag. „Das wird sehr gut angenommen.“ Ein Drittel der Stipendiaten bewerben sich wiederholt um die Stipendien, worin sich ein nachhaltiges Interesse am Thema Diabetes zeigt. Auch im Medizinstudium muss die Diabetologie einen höheren Stellenwert bekommen – ebenfalls ein Anliegen der DDG.

Diabetes-Rucksack erleichtern durch Selbsthilfe

Die medizinische Versorgung ist das eine, die Beteiligung der Diabetiker selbst das andere: Selbsthilfe ist das Stichwort. Dr. Jens Kröger, Vorstandvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe: „Ich glaube, ganz wichtig ist, dass wir den Patienten eine Stimme geben und mehr für Gehör sorgen aus Sicht der Patienten.“ Denn: „Ein Mensch mit Diabetes hat einen Rucksack zu tragen – ich wünsche dem Menschen immer, dass er viele Phasen hat, wo dieser Rucksack möglichst leicht ist.“ In diesem Rucksack befinden sich viele Wackersteine, z.B. Unterzuckerungen, Blutzuckermessen und -dokumentieren, Gedankenmachen über Ernährung. Die SHILD-Studie zeigt, wie Diabetiker Selbsthilfe bewerten: „Viele haben gesagt, dass sie sich durch die Selbsthilfe entlasteter fühlen, weil sie sich austauschen können.“ Aber auch die organisierte Selbsthilfe findet Kröger wichtig: „Patienten müssen aus unserer Sicht ein Stimmrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss haben – oder traut man ihnen nicht zu, mündig genug zu sein, um ein Urteil abzugeben? Ich glaube, das kann auf keinen Fall der Fall sein!“ Er wird deutlich: „Ich glaube, Selbsthilfe wird zunehmend an Bedeutung gewinnen.“


von Dr. med. Katrin Kraatz
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