CGM interpretieren – Grundlagen, Technologie, Charakteristik des kontinuierlichen Glukosemonitorings. Wir haben mit Dr. Andreas Thomas gesprochen, einem der Autoren.

Diabetes-Forum (DF): Wieso halten Sie das Erscheinen des Buches gerade jetzt für wichtig?
Dr. Andreas Thomas:
CGM gibt es bereits seit 1999, wenn auch damals zunächst ohne Anzeige der Werte also als „verblindetes System“. Als Gerät mit Anzeige der aktuellen Glukosewerte („Real-Time CGM, bzw. rtCGM) kam es ab 2005 auf den deutschen Markt. Trotz zahlreicher Studien mit positiver Auswirkung der Therapieunterstützung auf die Diabeteseinstellung hatte CGM in Deutschland aber nur einen geringen Stellenwert, weil es für die Patienten praktisch nicht erhältlich war, falls sie sich das System nicht selbst kauften. Die Krankenkassen bezahlten CGM nur in ganz besonderen Ausnahmesituationen. Die Folge war, dass die Verbreitung von CGM und damit auch die Erfahrung von Ärzten, Diabetesberaterinnen und Patienten eingeschränkt blieb.

Beschränkt blieb folglich auch die Erfahrung mit der Datenauswertung. Jetzt, da es seit Juni 2016 die Empfehlung des GBA gab CGM als Leistung der Krankenkassen anzuerkennen entsteht ein starkes Interesse an einer effektiven Datenauswertung. Dem stellt sich unser Buch. Das heißt es kommt genau in dem Moment auf den Markt, in dem es benötigt wird. Einen besseren Zeitpunkt konnte es nicht geben.

DF: Wieso hat der Prozess mit der Kostenübernahme von rtCGM so lange gedauert?
Dr. Andreas Thomas:
Die ersten Vorgespräche zur Beantragung der Kostenübernahme beim Spitzenverband der Krankenkassen gab es bereits 2007. Klar war, dass damals die Studienlage noch nicht ausreichend gut den Nutzen von CGM begründete. Auch war man sich unsicher, wie die Methode zu bewerten ist. Handelte es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode oder nicht? Wenn ja, dann gehört das Verfahren in die Beurteilung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), welcher das IQWiG anruft. Genauso geschah es dann. In der Zwischenzeit lagen mehr als 10 randomisierte, kontrollierte Studien zum Vergleich von rtCGM mit der Blutzuckermessung vor.

Auch erstellte die Arbeitsgemeinschaft Diabetestechnologie (AGDT) der DDG auf Anfrage ein Konsensiuspapier, welches auch international publiziert wurde. Die AGDT, die AGPD (Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie) und verschiedene Firmen verfassten ihre Stellungnahmen für das IQWiG. Viele Beteiligte leisteten also einen großen Beitrag, um den in Deutschland existierenden Anforderungen gerecht zu werden. Wir vier Autoren waren daran unmittelbar beteiligt. Zweifellos wurde sehr kritisch geprüft mit positivem Ergebnis. Das ist das gute Recht der Gesundheitsbehörden und sichert, dass die Patienten wirklich nur sinnvolle Hilfsmittel für ihre Therapie erhalten. Dass das lange gedauert hat, nun ja, in dieser Zeit wurde CGM in 13 europäischen Ländern als Kassenleistung zugelassen. Aber das soll keine Kritik sein. Die Prozesse laufen in Deutschland eben gründlich.

Im Kirchheim-Shop:

CGM interpretieren

Alles Wichtige zu Grundlagen, Technologie und Charakteristik des kontinuierlichen Glukosemonitorings (CGM).
A. Thomas et al.; 1. Auflage 2016; 24,90 €
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DF: Was muss ein Diabetesprofi nun anders machen als bisher, wenn er CGM-Daten beurteilt?
Dr. Andreas Thomas:
Bei der Blutzuckermessung gibt es genau einen Wert. Man weiß nicht in welche Richtung sich der Glukosespiegel gerade bewegt. Beim CGM gibt es zu dem Wert die Information über den Glukosetrend. Liegt der Glukosewert beispielsweise bei 110 mg/dl und der Trendpfeil zeigt an, dass der Glukosespiegel mit einer Geschwindigkeit von 2 mg/dl pro Minute sinkt, so weiß der Patient, dass in 20 Minuten die Schwelle von 70 mg/dl unterschritten wird, also eine Hypoglykämie droht. Das Diabetesteam hat nun also nicht mehr einzelne Werte zu beurteilen, sondern Bilder im Zeitverlauf. Weiterhin wird der Glukoseverlauf lückenlos dargestellt, was viele Details offenlegt, die nicht unbedingt immer sofort einleuchtend sind. Die CGM-Kurve ist nun einmal das Ergebnis von der angewendeten Diabetestherapie plus der Lebensweise des Patienten in diesem Zeitraum.

Schließlich ist noch zu beachten, dass die CGM-Messung im Gewebe stattfindet, nicht im Blut. Im Zustand stabiler Glukosespiegel sind die Glukosewerte gleich, im Zustand sich rasch ändernder Glukosewerte jedoch nicht. Das sind keine Messfehler, sondern das ist bedingt durch die Messung in unterschiedlichen Kompartimenten. Es handelt sich also um physiologische Effekte. Das alles ist zu beachten und darauf wird in dem Buch ausführlich eingegangen.

DF: Dauert es denn nun nicht sehr lange, wenn man CGM-Profile beurteilen will?
Dr. Andreas Thomas:
Anfangs muss man sich daran gewöhnen, dass man viele Details im Zeitverlauf als Bild präsentiert bekommt. Das ist aber eine Frage der Übung. Alle Autoren des Buches haben enorm große Erfahrungen mit CGM-Profilen - die Mitautoren aus ihrer täglichen Praxis, ich durch Forschungsarbeiten und Studien seit fast 20 Jahren Wir benötigen deshalb dafür nur wenige Minuten. Diese Erfahrungen weiterzugeben, einen Algorithmus zu beschreiben wie man effektiv ans Ziel kommt, das war ein Anliegen des Buches. Deshalb befinden sich darin auch sehr viele Beispiele, welche verschiedene Situationen beschreiben, die in den CGM-Profielen zu sehen sind.

DF: Was haben die Diabetesprofis von der Auswertung von CGM-Daten?
Dr. Andreas Thomas:
Insbesondere kommen viele Details über die Stoffwechselregulierung zum Vorschein. Das hilft die Therapie zu optimieren, falls sich das als notwendig erweist. Klar, CGM demaskiert die Diabeteseinstellung. Das ist aber faszinierend! Jeder, der sich damit auseinandersetzt wird merken, dass er ständig etwas Neues sieht und wird darauf nicht mehr verzichten wollen. Wenn man so will: ohne CGM war die Stoffwechseloptimierung eines Patienten auf die Intuition und Erfahrung des Diabetesteams angewiesen. Es ist schon toll, dass es in der Vergangenheit häufig gelang auf Grundlage weniger Blutzuckermessungen viele Patienten gut einzustellen.

Aber mit CGM bekommt die „Erfahrungsdiabetologie“ eine kräftige Unterstützung und wird damit zur „Datenbasierenden Diabetologie“. Damit gelingt es auch die „schwierigeren“ Fälle gut zu behandeln. Das zu erleben ist schon toll. Vor allem aber werden die Diabetesteams viele zufriedene Patienten erleben, wenn aufgrund der CGM-Messung ein deutlich besserer Glukoseverlauf entsteht, einfach weil die Therapie, egal ob ICT oder Pumpentherapie damit unterstützt wird.

DF: Wollen Sie damit sagen, dass es einfach ist CGM zu beurteilen?
Dr. Andreas Thomas:
Es ist eine Erfahrungssache. Schwer oder einfach sind Kriterien, die unter dem Aspekt der Erfahrung ihren Sinn verlieren. Was man beherrscht ist einfach. Neues zu erlernen wird als schwer empfunden. Wir vier Autoren hoffen, dass wir mit dem vorliegenden Buch die Schwelle zur Einfachheit erreichen. CGM ist in der modernen Diabetologie unverzichtbar. Mit den Daten schnell und effektiv zu Recht zu kommen ist möglich. Wir hoffen, dass wir mit dem Buch so unterstützen, dass das schnell gelingt.

DF: Dr. Thomas, wir bedanken uns sehr herzlich bei Ihnen für das Gespräch.



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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2017; 29 (1/2) Seite 32-33