Diabetes vorbeugen, früh erkennen und erfolgreich behandeln. Diesen Themenbogen hat die Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) im November in Nürnberg gespannt.

Ein Fazit nach 5 Jahren Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) zog DDG-Präsident Prof. Dr. Baptist Gallwitz. Seit 2011 werden neue Medikamente einer frühen Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) im Rahmen des AMNOG unterzogen (wir berichteten mehrfach). Dieser Untersuchung folgen dann Preisverhandlungen zwischen Herstellern und dem GKV-Spitzenverband. Das ganze Verfahren soll der Preisfindung und der Kostenkontrolle neuer Arzneimittel dienen.

Vom Markt genommen oder gar nicht erst eingeführt

Mehr als 20 Nutzenbewertungen von Diabetesmedikamenten gab es inzwischen, zu denen die DDG Stellung genommen hat. Und seit sie den AMNOG-Prozess durchlaufen haben, sind 6 Arzneimittel für Diabetiker in Deutschland nicht mehr zu haben. Bei den DPP-4-Hemmern wurde Linagliptin als erstes Diabetesmedikament des AMNOG-Verfahrens gar nicht erst eingeführt, weil ihm "kein Zusatznutzen" bescheinigt wurde: Der Hersteller brachte es einfach nicht in die Preisverhandlungen.

Vildagliptin erhielt ebenfalls keinen Zusatznutzen. Der GKV-Spitzenverband als auch das betreffende Unternehmen waren sich dann beim Preis nicht einig. Die Folge: Es wurde vom Markt genommen. Ähnliche Karrieren durchliefen Insulin degludec und die Kombination Insulin degludec plus Liraglutid sowie der GLP-1-Rezeptoragonist Lixisenatid. Der Hersteller des SGLT-2-Hemmers Canagliflozin und der entsprechenden Fixdosiskombination mit Metformin entschied sich nach negativer Nutzenbewertung, die Präparate vom deutschen Markt zu nehmen.

Empagliflozin hat jetzt im zweiten Durchlauf des Verfahrens in evidenzbasierten Indikationen einen beträchtlichen Zusatznutzen erhalten. Dies wertet Gallwitz als "ein sehr positives Signal in der Entwicklung des AMNOG".

Kritik am Ablauf des AMNOG-Verfahrens

Die frühe Nutzenbewertung von neuen Medikamenten sei "ein wichtiger und prinzipiell richtiger Schritt" gewesen, erklärte er. Allerdings gebe es weiterhin von der DDG, von zahlreichen anderen Fachgesellschaften und von der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) als Dachorganisation entschiedene Kritik, was die Abläufe des Verfahrens, die Festlegung der sog. zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT) in den einzelnen Verfahren, den Umgang und die Bewertung von Studien und Evidenz sowie die Festlegung von Endpunkten angeht.

Diese Kritikpunkte hat die DDG schon 2015 in einem Positionspapier zusammengefasst:

  1. Bei der Festlegung der zVT sollen im Vorfeld unabhängige klinische Fachexperten zusätzlich gehört werden und ihre Expertise zur Beurteilung der vorliegenden Evidenz beisteuern.
  2. Die evidenzbasierten Leitlinien sollten als verpflichtender integraler Bestandteil im Begutachtungsprozess des G-BA, im Dossier des Herstellers und im evidenzbasierten Gutachten des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) enthalten sein. Spricht der Bundesausschuss Empfehlungen aus, die den Leitlinien widersprechen, sollte dies für Ärzte nachvollziehbar sein. Der Widerspruch muss wissenschaftlich plausibel dargelegt werden.
  3. Endpunkte müssen präzise definiert sein. Ihre Hierarchisierung muss mit der Definition der zVT unter Einbeziehung unabhängiger medizinischer Fachexperten und betroffener Patientenvertreter erfolgen.
  4. Bei der Subgruppenbildung, die das IQWiG im Rahmen seiner Nutzenbewertungsgutachten vornimmt, müssen Evidenz, Plausibilität, statistische Aussagefähigkeit und vor allem klinische Anwendbarkeit kritisch betrachtet werden.
  5. Eine gesundheitsökonomische Evaluation neuer Therapien im umfassenden Sinn findet im Nutzenbewertungsverfahren bislang nicht statt. Um die wissenschaftliche Grundlage der Erstattungsvereinbarungen zu verbessern, fordert die AWMF die frühe Nutzenbewertung um Evidenz zur Wirtschaftlichkeit der neuen Arzneimittel zu ergänzen.
  6. Bezüglich der Rahmenbedingungen halten die AWMF, die DDG und die anderen Fachgesellschaften eine europäische Harmonisierung der auf den patientenrelevanten Nutzen bezogenen Kriterien und Anforderungen für Zulassungsverfahren für dringend erforderlich.

"Leider sind die im Positionspapier dargelegten Forderungen bislang weitestgehend unerfüllt", betonte der DDG-Präsident. Für eine bessere Patientenversorgung bei chronischen Krankheiten sei es deshalb dringend notwendig, den Dialog zwischen der AWMF, den einzelnen Fachgesellschaften, dem G-BA und dem IQWiG zu intensivieren.

Neuentwicklung: GKV-Versorgungsstärkungsgesetz

Eine Neuentwicklung bei der Umsetzung des AMNOG ist das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (VSG). "Es soll die Regionalisierung der Arzneimittelsteuerung und Wirtschaftlichkeit ab 2017 auf dem Boden von Vereinbarungen zwischen Landesverbänden der Kranken- und Ersatzkassen mit den zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen regeln", führte er aus. Ein einheitlicher transparenter Kriterienkatalog, der auf den Ergebnissen des AMNOG bzw. des G-BA auf Bundesebene beruht, sei bisher nicht vorgesehen.

Gallwitz sieht hier die Gefahr einer "regionalen Willkür" und zusätzlicher regionaler Nutzenbewertungsverfahren. Die Verschreibungsvorgaben könnten so die Therapiefreiheit des Arztes einschränken und zu einer föderalen Ungleichheit der Patientenversorgung führen. Gallwitz: "Auch hier ist aus unserer Sicht sehr dringender Handlungsbedarf."

Diabetologen und Apotheker besser vernetzen

Der Apotheker Manfred Krüger aus Krefeld-Linn, Vorstandsmitglied der AG Prävention der DDG, fordert eine unkomplizierte, umfassende und fachkundige Betreuung von Diabetikern – nicht nur bei Diagnosestellung, sondern lebenslang. Hier stellte er die Kommission EADV (Einbindung der Apotheker in die Diabetikerversorgung) der DDG und der Bundesapothekerkammer (BAK) vor. Deren Ziel: eine bessere Kommunikation und Koordination im Kompetenznetzwerk Patient-Arzt-Apotheker.

"Wie kann sich dies im Alltag, der in den Praxen und Apotheken immer mehr durch Terminnot und Personalmangel geprägt ist, positiv für die Menschen mit Diabetes auswirken?", fragte Krüger. Als Stichworte nannte er die abgestimmte Beratung und Dienstleistungen nah am Patienten sowie die Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS).

"Die Therapie des Diabetes setzt auf die Eigenverantwortung und in vielen Punkten auf das Selbstmanagement der Patienten", erklärte er. Dazu braucht es Kenntnisse und Fertigkeiten und die nötigen Anlaufstellen bei Problemen." Damit meinte er nicht nur medizinische, sondern auch pharmazeutische. Dies sei wichtig, um Medikationsfehler zu vermeiden.

Apotheken: Keine Termine, lange geöffnet

Neben der Arztpraxis ist hier die Apotheke mit ihrer niedrigen Eintrittsschwelle – keine Termine, lange Öffnungszeiten – zu einem wichtigen Ansprechpartner geworden. Krüger: "Ob das Blutzuckermessgerät ungenau anzeigt, der Pen am Wochenende seinen Geist aufgibt,

Unsicherheiten mit Schulungsinhalten oder Therapievorgaben existieren: Die Apotheke unterstützt und versorgt." Arzt und Apotheker sollten dabei gemeinsame Ziele verfolgen. So würden z.B. mehr als 40 Prozent der in Haushalten befindlichen Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung in der Apotheke gekauft. Gerade bei Diabetikern könnten Symptome wie schlecht heilende Wunden, Pilzinfektionen, Hauterkrankungen und Sensibilitätsstörungen auf eine nicht optimal laufende Diabetestherapie hinweisen. Vor allem die sog. Polypharmazie sei eine Herausforderung, führte er an, und eine der Hauptgründe für Krankenhausaufenthalte älterer Menschen.

Der Gesetzgeber (Paragraph 31a SGB V) hat deshalb den Anspruch auf einen Medikationsplan für alle Patienten vorgeschreiben, die 3 oder mehr verordnete Arzneimittel gleichzeitig anwenden. Bislang sei dies zwar eher eine Medikationsliste, die durch den Hausarzt oder Facharzt erstellt und vom Apotheker auf Wunsch des Patienten aktualisiert wird.

Er wertete dies aber als wichtigen Start für eine sinnvolle, elektronische Lösung auf der Gesundheitskarte ab 2018/19. Der Medikationsplan soll alle aktuell vom Patienten genutzten Arzneimittel, also auch die Selbstmedikation, übersichtlich zeigen, was auch die tägliche Einnahme erleichtert.

Medikationsanalyse nötig!

"Aber: Ein Medikationsplan ohne abgestimmte Medikationsanalyse, das heißt ohne medizinische und pharmazeutische Prüfung potenzieller Risiken, verbessert nicht die Arzneimitteltherapie- und damit Patientensicherheit", sagte der Apotheker. Hier bestehe noch erheblicher Handlungsbedarf durch den Gesetzgeber. "Es fehlt eine klare Einbindung in die Regelversorgung."



Autorin: Angela Monecke
Redaktion Diabetes-Forum, Kirchheim-Verlag
Kaiserstraße 41, 55116 Mainz
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2016; 28 (12) Seite 6-8