Die Behandlung des Diabetes und seiner Folgekomplikationen erfordert eine enge Vernetzung von Diabetologen, Haus- und Fachärzten. "Diabetes interdisziplinär" lautete auch das Motto des Diabetes Kongresses 2016, der im Mai über 6.000 Teilnehmer nach Berlin lockte.

Wie vielschichtig eine effektive Diabetesbehandlung erfolgen muss, machte die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) bei ihrer Jahrestagung deutlich. So konnte in zahlreichen Studien bewiesen werden, dass die interdisziplinäre und multiprofessionelle Behandlung im Rahmen von Diabetes-Teams zu besseren Behandlungsergebnissen führt.

Das Programm des Diabetes Kongresses war breit gefächert – von den neuesten wissenschaftlichen und klinischen Entwicklungen zum Typ-1- und Typ-2-Diabetes über die Erforschung von Behandlungsmöglichkeiten bei Adipositas bis zu den Effekten von Sport als Bestandteil der Diabetestherapie.

30 Prozent der stationären Patienten haben Diabetes

Dr. Sybille Wunderlich aus Berlin erklärte, dass etwa 30 Prozent aller Patienten, die im Krankenhaus liegen, Diabetes haben. Auf der Ebene der stationären Versorgung sind aktuell 9 Berliner Kliniken durch die DDG als Diabeteszentrum für erwachsene Typ-1- und Typ-2-Diabetiker zertifiziert; 3 Berliner Kinderkliniken als pädiatrisches Diabeteszentrum bzw.Diabetologikum; 6 Krankenhäuser Berlins dürfen sich als Klinik mit besonderem Diabetesmanagement zur Behandlung von Patienten mit der Nebendiagnose Diabetes bezeichnen.

Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes werden in diabetologischen Schwerpunktpraxen in enger Zusammenarbeit mit Frauenarztpraxen und spezialisierten Kliniken begleitet. Und für Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom sind aktuell 8 Kliniken mit dem Qualifikationsnachweis der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der DDG verfügbar. Sie kooperieren mit 18 diabetologischen Fußambulanzen.

Derzeit fehle es jedoch an einer systematischen Vernetzung, was die patientenbezogene Kommunikation zwischen Hausarzt, Schwerpunktpraxis und Klinik vereinfachen und beschleunigen würde, kritisierte sie. Hier seien noch Gespräche zwischen den Leistungserbringern auf der Ebene von Praxis und Klinik, aber auch mit Kostenträgern und politischen Entscheidungsträgern nötig. Auch in der hausärztlichen Praxis ist Diabetes eine häufige Behandlungsdiagnose.

Nicht nur einzelne Organe betrachten

"Unser Augenmerk gilt dem gesamten Menschen und nicht nur einzelnen Organen", sagte der Kongresspräsident Prof. Dr. Andreas Hamann aus Bad Homburg. Die Diabetologie sei ein echtes Querschnittsfach. Trotz der bekannten positiven gesundheitlichen Auswirkungen der Bewegung – wie die Verringerung von Herz-Kreislauf-Risiken bei Menschen mit Typ-2-Diabetes – wird die Gesellschaft weniger mobil.

So hat eine aktuelle Befragung der Techniker Krankenkasse (TK) gezeigt, dass der Anteil der Menschen zum Beispiel in Berlin, die nie oder nur selten Sport treiben, bei 53 Prozent liegt. Viele Großstädter, so auch 40 Prozent der Berliner, nutzen lieber Auto, Bus oder Bahn, um ans Ziel zu kommen, statt mit dem Rad zu fahren oder zu Fuß zu gehen.

Die meiste Zeit im Sitzen

Und nur 11,5 Prozent der jungen Menschen sind täglich mindestens 60 Minuten körperlich aktiv, wie es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt. Erwachsene sollten sich 2,5 Stunden pro Woche bewegen, was jedoch nur 20 Prozent in die Tat umsetzen. Die Menschen verbringen demnach einen immer größeren Teil ihres Tages im Sitzen. Die Folge: ein Anstieg der Diabeteserkrankungen.

Für die Patienten Motivator und Vorbild sein

"Wir Diabetologen müssen für unsere Patienten zunehmend auch die Rolle als Motivator und Vorbild übernehmen", sagte Hamann. Einer der Gründe, warum es den jährlichen Diabetes-Lauf beim Kongress gibt, bei dem diesmal rund 400 Ärzte, Diabetesberater und Diabetespatienten dabei waren. Olympiasieger Dieter Baumann, erfolgreichster Langstreckenläufer Deutschlands, machte am Start das Warm-Up, gab Motivationstipps und lief die 5 Kilometer selbst mit.

Seit seinem 10. Lebensjahr treibt er jeden Tag Sport, früher mehrere Stunden, heute nur noch eine. Doch diese eine Stunde Sport am Tag und an der frischen Luft sei für ihn "aktive Erholung" und "der wichtigste Termin des Tages", erklärte er beim Kongress gegenüber der Presse. "Ich mache Sport, ich lebe Sport, ich liebe Sport."

"Dicke Bretter bohren", dabei reichen 10 Minuten am Tag

Bei Menschen, die sich ihr ganzes Leben lang nicht oder nicht gern bewegt haben, müsse man allerdings "dicke Bretter bohren, um sie zu einem etwas bewegteren Leben hinzuführen", so Baumann. Viele Menschen hätten zum Beispiel auch einfach das positive Bild eines schönen Spaziergangs verloren, bei dem man Abstand zum Alltag bekommen könne.

"Und genau dieses Bild treibt einen dann immer wieder raus", so der Goldmedaillen-Gewinner über 5.000 m bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona. Schon 10 Minuten Bewegung am Tag seien effektiv. "Einmal um den Block zu laufen, das schafft man auch in der Mittagspause."

Über 2 Millionen Diabetiker pro Jahr in der Klinik

PD Dr. Erhard Siegel, Past-Präsident der DDG, stellte aktuelle Zahlen vor: Jährlich werden weit mehr als 2 Millionen Diabetespatienten in einer Klinik behandelt. Neueste Studienergebnisse zeigen eine Diabetes-Prävalenz von 40,5 Prozent der über 55-Jährigen in Deutschland. Die Prävalenz eines neu diagnostizierten Diabetes im Krankenhaus liegt bei 13,3 Prozent. Bei 34,7 Prozent lag der HbA1c bei Aufnahme bei mehr als 8 Prozent.

"Sie wollen sicher sein, dass ihre Grunderkrankung kompetent berücksichtigt wird, auch wenn sie sich etwa wegen eines Eingriffs an Hüfte oder Herz in eine Klinik begeben, die über keine diabetologische Fachabteilung verfügt", erklärte Siegel. "Sie möchten sich darauf verlassen können, dass ihr Blutzuckerspiegel bedarfsgerecht überwacht wird, die Narkose auf ihre Diabeteserkrankung abgestimmt ist oder Notfallequipment für den Fall einer Blutzucker-Entgleisung bereit steht."

Doch noch immer gäbe es bedenkliche Fälle, die zeigen, dass es in vielen Krankenhäusern an Diabeteskompetenz mangelt. Als Beispiel nannte er das Entfernen der Insulinpumpe aus Unwissenheit durch das OP-Team.

"Eine Zukunft ohne Diabetes"

"Eine Zukunft ohne Diabetes" – mit dieser Vision ging das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) 2009 an den Start und sorgte für eine enge Zusammenarbeit führender deutscher Diabetesforschungseinrichtungen, die eine Vielzahl von innovativen Forschungsansätzen und Ergebnissen in Deutschland erbrachten.

Sie sind, was Ihre Eltern gegessen haben! Experimentelle Arbeiten der DZD-Forschergruppen von Prof. Martin Hrabe de Angelis und Prof. Dr. Johannes Beckers zeigen, dass eine fettreiche Ernährung zu einer molekularen Veränderung der Keimzellen (Spermien und Eizellen) führt. Diese erworbene Eigenschaft erhöht u. a. beim Nachwuchs das Risiko für einen Typ-2-Diabetes.

In enger Zusammenarbeit mit der DZD-Forschergruppe um Prof. Dr. Hans-Ulrich Häring wird derzeit untersucht, inwieweit diese wichtige Erkenntnis auf den Menschen übertragen werden kann. Aber auch der genetische Code selbst spielt eine Rolle: Im Rahmen des europäischen Konsortiums EUMODIC identifizierten DZD-Wissenschaftler in mutierten Mäusen 69 stoffwechselrelevante Gene. Deren Erforschung könnte neue therapeutische Ansätze gegen Diabetes eröffnen.

Wie funktioniert die Betazelle?

Die DZD-Sammlung von humanem Pankreasgewebe, die "Human Islet Biobank" unter der Koordination von Prof. Michele Solimena, ist die Grundlage zur Erforschung der Biologie der Betazellen. Zum Beispiel gibt es erstmals die Möglichkeit,Gewebeproben von verschiedenen Diabetestypen (Typ-2, Typ-3c) bzw. Diabetesvorstufen (IGT) mit denen von Gesunden zu vergleichen.

Ein Drittel aller deutschen Erwachsenen hat eine nichtalkoholische Fettleber und somit ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sind diese Patienten stark übergewichtig, besteht ein hohes Risiko für eine spätere gefährliche Fettleberentzündung (NASH).

Prof. Michael Roden und seine DZD-Kollegen beschreiben einen Zusammenhang der Abnahme bestimmter Zellaktivitäten in den Leberzellen mit dem Fortschreiten der Erkrankung. Unter der Leitung von Prof. Norbert Stefan testete das DZD in einer Kooperationsstudie mit Hoffmann-La Roche erfolgreich eine Substanz zur medikamentösen Therapie der Fettleber, die den dramatischen Folgen entgegenwirken könnte.

Insulin-Wirkung im Gehirn

Zahlreiche Studien des DZD-Teams von Prof. Hans-Ulrich Häring belegen die zentrale Rolle des Insulins im Gehirn bei der Steuerung des Stoffwechsels. Die Behandlung der Insulinresistenz könnte einen vielversprechenden Ansatz für die Prävention von Übergewicht und Typ-2-Diabetes sein.

Basierend auf den Daten der EPIC-Potsdam- und der KORA-Studie entwickelt das DZD unter der Leitung von Prof. Matthias Schulze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) den DIfE – Deutscher Diabetes-Risiko-Test weiter. Der Test ermöglicht die Einschätzung des persönlichen Risikos, in den kommenden 5 Jahren an einem Typ-2-Diabetes zu erkranken ( http://www.dzd-ev.de ).

Mit Hausärzten arbeiten
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hat ihre 51. Jahrestagung im Mai in Berlin veranstaltet. Mehr als 6000 Teilnehmer diskutierten unter dem Motto "Diabetes interdisziplinär" neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Entstehung, Vorbeugung und Therapie des Diabetes.

"Der größte Teil der über 6 Millionen Menschen in Deutschland wird vom Hausarzt betreut. Eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Diabetologen ist daher unverzichtbar", sagte Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Präsident der DDG.

OGTT soll abgelöst werden

Parallel dazu arbeitet das DZD-Team von Prof. Jurek Adamski und Dr. Rui Wang-Sattler auch an einem diagnostischen Test zur vereinfachten Diagnose eines Prädiabetes beruhend auf kürzlich identifizierten Biomarkern, der den aufwändigen und für den Patienten unangenehmen oralen Glukosetoleranztest (OGTT) ersetzen soll.



Autorin: Angela Monecke
Redaktion Diabetes-Forum, Kirchheim-Verlag
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2016; 28 (6) Seite 6-9